«Trinkender Landsknecht» oder «vorbildlicher Bauer»? Über die Ursprünge des fasnächtlichen Grossanlasses und seines Namensgebers – Bruder Fritschi – gibt es unterschiedliche Theorien.
Hugo Bischof
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In 23 Tagen geht es los mit der diesjährigen Fasnacht. Ein Höhepunkt des Schmutzigen Donnerstags ist der Fritschi-Umzug, den die Zunft zu Safran durchführt. Ein Zug originell geschmückter Fasnachtswagen, begleitet von schränzenden Guuggenmusigen, zieht dabei vom Luzernerhof über die Seebrücke zum Bundesplatz. Jeder Wagen steht unter einem Motto – mit Bezug zur aktuellen Politik oder einfach nur ein Fantasiegebilde.
Zehntausende Menschen, viele von ihnen fasnächtlich gekleidet, stehen jeweils am Strassenrand und verfolgen den farbenprächtigen Umzug. Doch woher stammt der Fritschi-Umzug? Wie hat er früher ausgesehen? Ein Blick in die spärlich vorhandenen Quellen gibt Auskunft.
Gemäss der gängigen Theorie, die auch von der Zunft zu Safran vertreten wird, geht der Fritschi-Brauch auf den Alten Zürichkrieg zurück. Am Fridolinstag, dem 6. März 1446, besiegten die Eidgenossen – mit Hilfe von Luzerner Zünften – die österreichische Übermacht bei der Schlacht bei Ragaz. Der Rat von Luzern verordnete danach, dass der Tag alljährlich festlich begangen werde, mit Gottesdienst und weltlichen Feiern. Dazu sollte auch eine Waffen- und Harnischschau gehören, an der die militärpflichtigen Luzerner mit Waffen durch die Stadt zu ziehen hatten. Mitten im Kriegsharst zog Bruder Fritschi (abgeleitet von Fridolin) als übergrosse Strohpuppe durch die Stadt. Der Fritschi-Umzug war demnach ursprünglich ein militärischer Gedenkanlass. Gemäss späteren Erzählungen soll unter den Luzernern bei der Schlacht von Ragaz auch ein gewisser Fridolin gewesen sein. Er wird als «trinkender und dem weiblichen Geschlecht hingezogener Landsknecht» geschildert.
Wie gings weiter? «Ganz natürlich mögen sich in diese Umzüge von Bewaffneten fasnächtliche Gestalten gemischt haben», hielt der 2016 verstorbene Volkskunde-Professor Paul Hugger 1997 in einem Essay fest. Einer der ersten zeitgenössischen Berichte stammt vom Chronisten Diebold Schilling, geboren um 1460. Er schrieb: «Von alter har ist ein löbliche Gewohnheit und järlicher fassnacht schimpf zuo Lucern gewäsen, uff eine gesellschaft und trinkstuben, genannt zum Fritschi. Die hand einen ströwinen man, genannt bruoder Fritschi, den sy järlich uff den schmutzigen donstag vor der pfaffen fassnacht erlich in irem harnesch mit allen gesellschafften der Stadt Lucern mit eim vennli, pfiffen, trummen, tanzen und was sich mag zuo fröuden ziehen, infürend.» Der Fritschi-Umzug verband also von Anfang an Ernst und Schalk, Standesritual und Ausgelassenheit. Weil die Trink- und Essgelage in den Zunftstuben nicht in die Fastenzeit passten, verlegte der Rat der Stadt Luzern die Waffenschau vom Aschermittwoch auf den Schmutzigen Donnerstag – ein Datum, das bis heute gilt.
Luzerns Stadtschreiber Renward Cysat (1545–1614) liefert eine andere Deutung. Demnach geht der Fritschi-Tag auf eine historische Persönlichkeit zurück, einen waschechten Luzerner, Fridolin an der Halden. Der vorbildliche Bauer und ehemalige Krieger soll um 1480 gestorben sein. Gemäss Cysat lebte er zurückgezogen und kümmerte sich um seinen Bauernhof. Nur einmal im Jahr, am Schmutzigen Donnerstag, ging er in die Zunftstube der Safrangesellschaft, um dort mit seinen Freunden zu zechen. Mit der Zeit habe man diesen Tag «Fritschis Tag» und die Gesellschaft «Fritschi-Gesellschaft» genannt. Damit kommt die um 1400 als Gesellschaft der Krämer gegründete Zunft zu Safran ins Spiel. Während viele andere um dieselbe Zeit gegründete Zünfte sich im Lauf der Jahrhunderte auflösten, blieb die Zunft zu Safran bestehen – als bürgerliche Vereinigung mit Interesse an luzernischem Brauchtum und Traditionen.
Fasnächtliches Treiben gab es schon im Mittelalter, nicht immer zum Gefallen der Herrschenden. Gemäss Renward Cysat wurden «larven oder blitzen oder böggen werck» schon früh obrigkeitlich untersagt. 1412 sei das Verbot erneuert worden – wegen eines üblen Vorfalls, bei dem jemand schwer zu Schaden kam. Eine Satzung der Regierung drohte demjenigen Gefängnis und Geldbusse an, «wölcher fürhin jn böggenwys, ja jns tüffels wys gat und sich änderst verkleidt oder vermacht dann er offenlich ze kilchen und Strassen gat». Im 16. Jahrhundert zogen die Zünfte und Handwerker am Aschermittwoch «den ganzen Tag mit Trommeln, Pfeifen, Saitenspiel und viel Lärm durch die Stadt, trunken und voller Übermut», schreibt Volkskundler Paul Hugger in seinem Essay. Gegen Abend hätten sich die jungen Bürger in zwei Parteien zu einem «Scherzkrieg» vor der Stadt getroffen. Das sei 1580 durch die Obrigkeit untersagt worden.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts häuften sich die Fasnachtsverbote – wegen des Einflusses der Jesuiten, schreibt Hugger. 1590 wurde beim Fritschi-Umzug alles Böggenwerk und «was unzüchtiges» untersagt. 1671 wurde der Umzug ganz verboten; an seine Stelle traten militärische Übungen. Ab 1745 kam es gemäss Hugger gelegentlich zu Fritschi-Umzügen mit Schaubildern, «jetzt aber ohne militärischen Gepränge».
Erst als sich die 1819 gegründete Maskenliebhaber-Gesellschaft daran beteiligte, nahm der Fritschi-Umzug wieder Fahrt auf. Eine Fotografie von Carl Hirsbrunner zeigt den Fritschi-Umzug 1897 beim Wendepunkt am Luzernerhof. Der Umzug präsentierte sich damals aber noch schlicht und beschaulich: Pferdedroschken und kleine Personengruppen, teils mit militärischem Zeremoniell, paradieren an lichten Zuschauerreihen vorbei (Bild oben). Was für ein Unterschied zur heutigen Grossveranstaltung mit Tausenden von Zuschauern!
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts lag den Umzügen oft ein historisches oder aktuelles Thema zu Grunde. Die Vermittlung von Geschichten in lebenden Bildern stand damals eher im Vordergrund als die Ausgelassenheit. Der Umzug von 1900 zeigte unter dem Motto «Vor hundert Jahren» Szenen aus der Zeit um 1800 mit Kilbi, Tagsatzung und französischer Gesandtschaft. Von diesem Umzug existieren zwölf Bilder des Fotografen Emil Synnberg. Dieser fotografierte den Umzug bei der Kreuzung Bruchstrasse/Baselstrasse, die damals zur Umzugsroute gehörte (Bild unten).
Hinweis
Paul Hugger: «Bruder Fritschi von Luzern: zur Deutung einer fasnächtlichen Integrationsfigur», Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Heft 1, Band 93 (1997).