GEMEINDEN: Asyl: Kanton zieht Schraube stark an

Der Kanton verknurrt 48 Gemeinden zum Handeln: Sie müssen innert zehn Wochen Platz schaffen für 419 Asylbewerber. Das sorgt bei Gemeindebehörden für grossen Unmut.

Lukas Nussbaumer
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Auf dem ehemaligen Gelände der Firma Boa in Rothenburg sollen ab November bis zu 180 Asylbewerber untergebracht werden. (Bild Pius Amrein)

Auf dem ehemaligen Gelände der Firma Boa in Rothenburg sollen ab November bis zu 180 Asylbewerber untergebracht werden. (Bild Pius Amrein)

Lukas Nussbaumer

Es ist ganz dicke Post, die der Neuenkircher Gemeindepräsident Kari Huber in den Händen hält. Seine Gemeinde muss innerhalb von zehn Wochen 23 Plätze für Asylbewerber zur Verfügung stellen. «Das wird ganz, ganz schwierig», sagt Huber. Mit dieser Einschätzung ist der CVP-Politiker nicht alleine: Sämtliche angefragten Gemeindevertreter reden von einer extrem grossen Herausforderung, die geforderten Plätze zu schaffen.

Neben Neuenkirch sind 47 weitere Gemeinden betroffen. Die Zuweisungsentscheide, welche gestern auf den Gemeindekanzleien eingetroffen sind, liegen unserer Zeitung vor. Warum nicht alle 83 Luzerner Gemeinden zusätzliche Asylbewerber aufnehmen müssen, hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass Vereinbarungen mit dem Kanton bestehen (siehe Kasten).

«System absurd»

Stark betroffen ist auch die Agglogemeinde Adligenswil. Sie muss 19 Asylbewerbern Wohnraum bieten. Wo, steht laut Sozialvorsteher Pascal Ludin (SP) «völlig in den Sternen». Wie andere Gemeinderäte auch, kritisiert Ludin das für das Asylwesen zuständige Gesundheits- und Sozialdepartement. «Der Kanton ist mit seiner Strategie gescheitert. Das System ist absurd», sagt Ludin – und meint den Umstand, dass der Kanton in einer Notsituation Asylbewerber auf Gemeinden verteilen kann. «Die gleiche Situation hatten wir schon im letzten Jahr. Der Kanton ist seither keinen Schritt weitergekommen», kritisiert Ludin. Er hätte im Begleitbrief zum Zuweisungsentscheid denn auch «mindestens einen Abschnitt dazu erwartet, was der Kanton aus seiner Sicht seit dem letzten Herbst unternommen hat». Den Gemeinden in einem Brief mitzuteilen, wie viele Asylbewerber sie aufzunehmen hätten, sei «zu einfach».

Der Neuenkircher Gemeindepräsident Kari Huber argumentiert ähnlich. «Es ist nicht ideal, wenn die Asylbewerber dezentral auf die Gemeinden verteilt werden. Zentrale Lösungen wären besser, denn dadurch könnten diese Menschen viel effizienter betreut und begleitet werden», sagt Huber.

Kaum freie Wohnungen

Mit Unverständnis reagieren die betroffenen Gemeinden auch auf die Forderung des Kantons, prioritär Wohnungen zu suchen und nicht auf unterirdische Zivilschutzanlagen zu setzen. So sagt der stellvertretende Megger Sozialvorsteher Josef Scherer (FDP): «Wir konzentrieren uns auf die Zivilschutzanlage. In Meggen Wohnungen für Asylbewerber zu finden, ist sehr schwierig.» Pascal Ludin sieht das für seine Gemeinde gleich. «Wenn der Kanton von den Gemeinden schon Plätze fordert, soll er ihnen auch überlassen, wie sie diese bereit stellen.»

«Kanton soll Ausnahmen zulassen»

Kari Huber teilt diese Haltung. Neuenkirch habe dem Kanton schon mehrmals Vorschläge für oberirdisch stationierte Container gemacht. Die Gesuche seien jeweils abgelehnt worden, weil sich die vorgeschlagenen Plätze nicht in Wohnzonen befunden hätten, sagt Huber. Und: «Wenn der Kanton der Meinung ist, es herrsche eine Notsituation, sollte er auch Ausnahmen zulassen.»

Mit einer schweren Aufgabe konfrontiert sieht sich auch die Gemeinde Eschenbach. «Wir haben keine Wohnungen», sagt Gemeindeschreiber Anton Christen. Der Gemeinderat habe die Bevölkerung mehrere Male aufgerufen, freie Plätze zu melden – erfolglos. Nun überlegt sich die Behörde, die Militäranlage umzunutzen. «Darin könnten wir 25 bis 30 Personen unterbringen», schätzt Christen. Eschenbach muss innert zehn Wochen 13 Plätze finden. Ob die Militäranlage in Frage kommt, wird sich allerdings zeigen müssen: Sie befindet sich am Rande einer Schulanlage – «deshalb könnte es Opposition geben», vermutet Christen.

Kanton verweist auf Asylstrategie

Der kantonale Asyl- und Flüchtlingskoordinator Ruedi Fahrni kontert die Kritik der Gemeinden. «Wir suchen mit Hochdruck nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten, insbesondere im Zentrumsbereich», sagt Fahrni. Mit der Asylstrategie 2016 werde angestrebt, Asylbewerber langfristig nur noch in Zentren unterzubringen. Dies setze aber voraus, dass mögliche Zentrumslösungen «politisch und insbesondere von den Behörden der Standortgemeinden mitgetragen werden».

Fahrni sagt auch, dass Zivilschutzanlagen «nach wie vor eine Option» seien. Er betont aber gleichzeitig: «Wir können nicht nur Zivilschutzanlagen bereitstellen. Diese sind erstens befristet und zweitens sehr betreuungsintensiv – und damit auch teuer.» Die Forderung nach einer lockereren Bewilligungspraxis weist Fahrni zurück: «Auch wir müssen uns an die gesetzlichen Vorgaben halten.» So würden dem Kanton regelmässig Grundstücke in der Landwirtschaftszone als Standorte für Container angeboten. «Eine solche Nutzung ist nicht zulässig und wird deshalb abgelehnt. Das gilt auch für Zelte.»

Doch was passiert mit Gemeinden, welche die geforderten Plätze nicht realisieren können? In diesem Jahr noch nicht viel. Man suche das Gespräch, und man könne sich auch Fristverlängerungen vorstellen, sagt Fahrni. Sanktionen in Form von Ersatzabgaben werden erst ab 2016, mit dem Inkrafttreten des neuen Sozialhilfegesetzes, möglich. Dann müssen Gemeinden pro nicht aufgenommenem Asylbewerber zwischen 50 und 150 Franken pro Tag zahlen.

15 Gemeinden sind von der Zuweisung befreit

nus. Die vom Kanton vorgenommene Verteilung der Asylbewerber auf die Gemeinden gründet im Schlüssel, der Ende Juni 2013 von der Regierung festgelegt wurde. Als Grundsatz gilt: 4 Asylbewerber pro 1000 Einwohner. Gegenüber der im September 2014 vorgenommenen Verteilung gibt es eine wesentliche Änderung. So wird auch die Zahl der bereits in den Gemeinden platzierten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen, die weniger als zehn Jahre in der Schweiz leben und für die der Kanton zuständig ist, berücksichtigt. «Damit werden jene Gemeinden, die bereits 2014 Wohnraum geschaffen haben, nicht benachteiligt», sagt Asylkoordinator Ruedi Fahrni.

Vereinbarungen dank Zentren

Keine Zuweisungsentscheide erhalten haben jene Gemeinden, die das Soll erfüllen. Es gibt aber auch Gemeinden, welche die geforderte Unterbringungszahl nicht erreichen und trotzdem nicht zum Schaffen von Platz aufgefordert wurden – wegen Vereinbarungen, die mit dem Kanton abgeschlossen wurden:

  • Emmen (bestehendes Asylzentrum Sonnenhof) Kriens (geplantes Zentrum Grosshof)
  • Horw (Zentrum Allmendstrasse verlängert)
  • Malters (bis März 2017 befreit wegen des 2012 geschlossenen Zentrums Witenthor)
  • Ebikon (im März eröffnete Notunterkunft im Hotel Löwen)
  • Dagmersellen (im Januar eröffnete Notunterkunft Zivilschutzanlage)
  • Pfaffnau (geplante Notunterkunft in St. Urban) Rothenburg (geplantes Zentrum auf dem Boa-Areal)
  • Willisau, Altbüron, Ettiswil, Gettnau, Grossdietwil, Hergiswil, Luthern (im März eröffnete Zivilschutzanlage in Willisau)
Bild: Quelle Kanton Luzen / Grafik Isi

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