Ein neues Buch erzählt die Geschichte des Gletschergartens und seiner Gründerfamilie. Die Gletschertöpfe waren von Anfang an eine Sensation; für eine rentable Ausstellung allein reichten sie aber nicht. Darum brauchte es später auch das Spiegellabyrinth.
Der Gletschergarten in Luzern ist eines der meistbesuchten Museen der Schweiz und strahlt europaweit aus. Dass dem so ist, verdankt es grösstenteils dem Erfinderreichtum und Engagement der Gründerfamilie Amrein. Ihre Geschichte und die des Gletschergartens sind jetzt in einem wissenschaftlich fundierten, gleichzeitig unterhaltsamen Buch nachzulesen. Verfasst hat es der Germanist und Historiker Andreas Bürgi. Illustriert ist es mit vielen historischen Fotos.
Wie oft und intensiv im Lauf der Zeit über die inhaltliche Ausrichtung des Gletschergartens diskutiert wurde, darüber habe er bei der Lektüre «geschmunzelt», sagte der heutige Gletschergarten-Direktor Andreas Burri an der Buchvernissage. In der Tat war da einerseits stets das Bestreben, den Besuchern die eminente erdgeschichtliche Bedeutung dieses Naturdenkmals mitten in der Stadt Luzern auf belehrende Weise aufzeigen. Andererseits sollte der Ort auch Zerstreuung, Spannung, Events bieten.
Entdeckt wurde der Gletschergarten im Oktober 1872 durch einen Zufall. Beim Versuch, ein gut zwei Meter tiefes Loch für einen Weinkeller in den alten Steinbruch im Wey-Quartier zu sprengen, stiess der Luzerner Unternehmer Josef Wilhelm Amrein-Troller (1842-1881) auf die berühmten Gletschertöpfe. Es sind Überbleibsel der Luzerner Eiszeit vor rund 20 000 Jahren. Die Entdeckung war eine Sensation, die das ganze neugierige Luzerner Publikum am folgenden Sonntag in einer «eigentlichen Wallfahrt» zum Fundort strömen liess, wie das «Vaterland» damals schrieb.
Amrein änderte seine Pläne: Anstatt im Wey-Quartier einen Weinhandel aufzuziehen, würde er fortan die Gletschertöpfe ausstellen. Diese allein würden aber wohl nicht ausreichen, um mit dem Ganzen auch kommerziellen Erfolg zu erzielen. Das wurde Amrein schnell klar. Er fügte der Ausstellung Pfyffers «Relief der Urschweiz» sowie Fundstücke der Ausgrabung einer Pfahlbausiedlung am Baldeggersee (Messer, Beile, Knochenstücke, Pfeilspitzen) hinzu. Dazu liess er einen Park gestalten, inszeniert als Alpenwanderung rund um die Gletschertöpfe. Die beim Graben entdeckten Findlinge verteilte er über den Park, um den Eindruck des Urtümlichen zu verstärken. Dazu kamen ein Chalet, ein Springbrunnen und ein zinnenbewehrtes Kastell mit dem «besten Ausblick auf Luzern und in die Alpen». Ein schmaler Pfad führte durch ein Tobel zu einer Einsiedelei, wo den Gästen in einem Felsenkeller Erfrischungen gereicht wurden.
Amrein erwarb weitere Grundstücke und entdeckte zusätzliche Gletschertöpfe. Am Schluss waren es sechzehn. Um möglicher Konkurrenz zuvorzukommen, kaufte Amrein auch Grundstücke Richtung See. Tatsächlich wurde später beim Bau des Hotels Europa an der Halde noch ein Gletschertopf entdeckt.
Zuerst wollte Amrein das Areal «Garten der Urwelt» nennen. Erst danach entschied er sich für «Gletschergarten». Gletscher assoziierte man üblicherweise mit einer Eiswüste, nicht mit einem Garten voller Wärme, Blumen und üppigen Farben; dieser scheinbare Widerspruch machte den Namen so anziehend. Allerdings habe der Name noch im 20. Jahrhundert Missverständnisse ausgelöst, schreibt Bürgi: «Einzelne Besucher erwarteten ein Stück ewiges Eis und kamen im Sommer in Winterkleidern.»
Das Buch ist auch eine spannende Familiengeschichte. Der 1842 in Neudorf bei Beromünster geborene Josef Wilhelm Amrein begann 1860 eine Lehre im Luzerner Bankhaus von Kasimir Friedrich Knörr, bekannterweise Mitbegründer der ersten Dampfschifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee und später Amreins Finanzier. Knörr ging mit seiner Bank 1877 in Konkurs; er hatte auf den Bau des Bahnhofs der Gotthardbahn an der Halde spekuliert, dort Land gekauft und damit viel Geld verloren. Amrein starb 1881. Er liess seine Frau Marie Amrein-Troller (1849-1931) mit vier Kindern zurück. Marie Amrein liess den Gletschergarten angesichts unbezahlter Rechnungen zunächst in Konkurs gehen, kaufte ihn dann aus der Konkursmasse zurück und machte sich an die Arbeit.
1898 kaufte Marie Amrein für 51 500 Franken das Spiegellabyrinth, das vorher in einem Gebäude in Zürich stand, und verpflanzte es in den Gletschergarten – gegen den Widerstand einiger männlicher Mitglieder ihrer Familie. Ein Irrgarten sei «etwas Budenartiges und wohl Unwürdiges für den geologisch ernsten und hochinteressanten Gletschergarten». Wenig überraschend trägt das Spiegellabyrinth seither einen Grossteil zu den Museumseinnahmen bei.
Der Versuch, in einem Wildgehege Gämsen anzusiedeln, scheiterte. Die Tiere wirkten apathisch, drei starben. Der Gletschergarten übernahm dann die Stauffersche Sammlung ausgestopfter Alpentiere, die zuvor im heutigen Restaurant Old Swiss House ausgestellt war. Nie realisiert wurde der fantastische Plan einer elektrischen Bergbahn durch den ganzen Gletschergarten. Der Versuch in jüngster Zeit, ein Kompetenzzentrum für Glaziologie verbunden mit der Klima-Thematik einzurichten (Projekt «Ice-Cube»), scheiterte an den Finanzen. Mit dem soeben gestarteten Projekt «Fels» zur Schaffung eines Gesamterlebnisses will man auf den Besucherschwund der letzten 30 Jahre reagieren. Heute führt eine Stiftung den Gletschergarten. Die Nachkommen der Familie Amrein-Troller sind dabei noch stark engagiert. Drei Mitglieder der Urenkel-Generation waren an der Buchvernissage anwesend.
Andreas Bürgi: Urwelten und Irrwege. Eine Geschichte des Gletschergartens und der Gründerfamilie Amrein 1873-2018. Fr. 48.-, erhältlich an der Kasse des Gletschergartens oder im Buchhandel.