Doppelbürgerin in der Stifti
Von Kanada nach Hochdorf in die Backstube: «Mit der hiesigen Mentalität musste ich zuerst klarkommen»

Im Elternhaus in Alberta hat Glenda Müller als Kind gerne Brote gebacken. Das Handwerk lernt die Doppelbürgerin in der Schweiz, wo sie auch «Brot-Chef» werden will.

Roger Rüegger Jetzt kommentieren
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Glenda Müller bei der Arbeit in der Bäckerei Café Ehliger in Hochdorf.

Glenda Müller bei der Arbeit in der Bäckerei Café Ehliger in Hochdorf.

Bild: Dominik Wunderli (23. September 2021)

Das Treiben in der Backstube der Bäckerei Ehliger in Hochdorf lässt sich als «emsig» bezeichnen. Es geht nicht hektisch zu, aber die Bewegungen der Frauen und Männer sind flink und präzise. Hier flechten zwei Männer Zöpfe in Windeseile, dort wirbelt eine Frau um eine Rührmaschine. Die Produktion läuft.

Auch die 20-jährige Glenda Müller aus dem kanadischen Sunnybrook bringt sich mit viel Engagement in den Prozess ein. Die Bäckerin-Konditorin-Confiseurin mit Fachrichtung «Bäckerei Konditorei» im dritten Lehrjahr hat sich fürs Finale des «Brot-Chef» 2021 qualifiziert. Bei diesem Branchenwettbewerb bestreiten drei Lernende aus einem Teilnehmerfeld von 20 Berufsleuten das Endspiel. Das Trio muss am 13. November in der Berufsschule Aarau unter anderem ein Hot-Fondue-Brot herstellen und sich im Speed Baking behaupten.

Via Ferienjob auf den Geschmack gekommen

Vorerst interessiert aber, was den Teenager 2018 ins Seetal gelockt hatte. Glenda Müller sitzt mit Lehrmeister Ramon Ehliger an einem Tisch in einem Nebenraum der Backstube. Wobei es den Eindruck erweckt, als würde die Bäckerin lieber im Betrieb Hand anlegen, als über sich zu reden. «Das ist typisch Glenda. Sie kann nicht einfach sitzen. Es muss etwas bewegt werden. Sie hat einen starken Tatendrang», beschreibt Ehliger seine Lehrtochter.

Ihre Eltern sind 1997 aus der Zentralschweiz nach Kanada ausgewandert, wo sie sich mit einer Ziegenfarm eine Existenz aufgebaut haben. Die Familie besteht aus den Eltern, drei Töchtern und einem Sohn. Im Sommer besuchen die Müllers in abwechselnder Besetzung die Schweiz. Natürlich ist der Grossvater in Hochdorf eine Anlaufstelle. So ergab es sich, dass Glenda in der Bäckerei Ehliger einen Ferienjob fand – und diesen in drei aufeinanderfolgenden Jahren behielt.

So war die Lehrstelle fast ein Selbstläufer. Nach einer zweiwöchigen Schnupperlehre war man sich einig. Ehliger:

«Glenda passt zu uns. Wir zweifelten keine Minute daran, dass sich die Zusammenarbeit für beide Seiten lohnen würde.»

Der Start war jedoch etwas harzig, dies war jedoch nur von kurzer Dauer. «Mit dem Heimweh und der hiesigen Mentalität musste ich zuerst klarkommen. Auch wenn ich selber Schweizerin bin, war es eine Herausforderung. Die Leute hier sind derart pünktlich, dass man sich umgewöhnen muss. Und der Berufsalltag ist mit einem Ferienjob auch nicht zu vergleichen», gibt sie zu bedenken.

Sprachbarriere Hochdeutsch

Sie akklimatisierte sich dennoch rasch. Die Arbeit macht Spass und die Berufsschule war kaum eine Herausforderung für sie. Einzig die Sprache bereitete ihr in der Schule Mühe. «In Kanada sprechen wir zu Hause Schweizerdeutsch oder Englisch, aber nicht Hochdeutsch wie im Unterricht», erklärt sie auf Schweizerdeutsch.

Für die Arbeit in einer Bäckerei muss man seinen Lebenszyklus umstellen. Arbeitsbeginn ist oft in den frühen Morgenstunden – wobei sie während der Ausbildung noch nicht vor 3 Uhr beginnen muss. Und es gilt, sich körperlich einzubringen. «Unsere Lehrlinge wissen, dass sie anpacken müssen und sich nicht in einer Wellnessoase befinden», so Ehliger.

Das gilt insbesondere vor Feiertagen wie dem Samichlaustag, Weihnachten, Neujahr oder Ostern. Zu diesen Zeiten ist jeweils die gesamte Belegschaft enorm gefordert. Für Glenda kein Ding: «Sie hat sich im Job zurechtgefunden. Wir konnten ihr schon nach eineinhalb Jahren die Konditorei am Sonntag überlassen, die sie selbstständig bewältigte.»

Vorteil Schweiz: Man kann zu Fuss einkaufen

Was ihr das Leben hier vereinfacht sind die kurzen Distanzen. «Ich kann zu Fuss einkaufen. In Kanada mussten wir uns organisieren, da waren grössere Läden oder Shoppingcenter nicht gleich um die Ecke, sondern eine Stunde Fahrzeit und weiter entfernt», schildert sie den Unterschied. Man bewege sich zu Hause meistens mit dem Auto.

Nicht nur für Besorgungen, sondern auch beim Freizeitspass. In ihren ersten Heimatferien hatte sie sich beim Schneesport das Schlüsselbein gebrochen und war mehrere Wochen nicht arbeitsfähig. «Wir zogen mit dem Pick-up einen Traktorpneu und setzten uns darauf. Dabei bin ich unfreiwillig und unsanft abgestiegen.» Danach habe sie das schlechte Gewissen geplagt. «Ich wusste, dass meine Arbeitskollegen ohne mich noch mehr Gas geben müssen.»

Die Zwangspause verlieh ihr die Energie, um frisch genesen im Beruf anzugreifen. Ihr Chef ist überzeugt, dass mit der Freude am Beruf auch die Leistung der Lernenden stimmt. Beides trifft auf Glenda Müller zu, betont Ehliger:

«Sie spaziert praktisch durch die Lehre.»

Es zeichnete sich früh ab, dass Glenda das Bäckerei-Handwerk liegt. «Backen fand ich immer spannend. Vor der Lehre holte ich die Rezepte aus Rezeptbüchern und auf Youtube», berichtet sie. Eine Lehre wie in der Schweiz sei in Kanada kaum möglich. Wichtig sind für sie auch die Naturprodukte, die bei Ehliger verarbeitet werden. Das sei daheim weniger relevant. Die meisten in Übersee würden sich mit Toast ohne richtige Brotkruste begnügen. «Und diese schneiden sie beim Zubereiten von Sandwiches erst noch weg.»

Wohin ihre Reise nach der Lehre geht, ist offen. Kürzlich schnupperte sie als Confiseurin. Vielleicht hängt sie ein Jahr Ausbildung dafür an oder sie kehrt mit vielen Ideen zurück nach Kanada. «Vieles ist möglich. Ich lege mich nicht fest, sondern sammle erst Erfahrungen, dann sehen wir weiter.»

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