Ruth Erni arbeitete bei Exit und Dignitas – heute bietet sie selber Freitod-Begleitung an. Zu ihrem eigenen Schutz achtet die Horwerin genau darauf, dass ihre Klienten das Gift selbstständig trinken.
Sandra Monika Ziegler
Sie macht den Eindruck einer zufriedenen Rentnerin. Ihr Alter nennt sie nicht, doch sie blickt mit neugierigen, wachen Augen und begrüsst mich in einem urchigen Berndeutsch. Ruth Erni aus Horw liebt es direkt, trägt ihr Herz auf der Zunge. Wir kommen schnell auf den Punkt, schnell zum Thema begleiteter Freitod.
Ruth Erni begleitet seit 20 Jahren Menschen in den Tod. Anfänglich für Exit und Dignitas tätig, ist sie seit 1999 unter dem Namen Exitus-Freitodbegleitung selbstständig. Wer mit Ruth Erni den letzten Weg gehen möchte, meldet sich telefonisch, brieflich oder per Fax bei ihr. «Dann treffen wir uns wo auch immer für ein erstes Gespräch. Ich bin schweizweit unterwegs», sagt Ruth Erni. Bei solchen Treffen sind oft die Nächsten, Freunde oder auch Bekannte dabei, manchmal auch nur die Person, die sterben will.
In den Gesprächen werden auch Alternativen zum Freitod besprochen. «Doch wer davon überzeugt ist, dass nur der Tod die Lösung ist, der hat sich das über längere Zeit überlegt und ist davon überzeugt», erklärt Erni.
Der Freitod sei nicht mit einem einsamen Suizid zu vergleichen. «Solche Personen stürzen sich über einen Balkon oder werfen sich vor den Zug.» Im Jahr 2013 haben laut Bundesamt für Statistik 1070 Personen einen einsamen Suizid verübt. Ob solcher Zahlen ärgert sich Frau Erni. «Für Lokführer oder Mitbewohner ist das ein Trauma.» Die Sterbehilfeorganisation Exit, die nur Schweizer begleitet, verzeichnete im gleichen Zeitraum rund 870 Klienten. Ruth Erni hat zwei bis fünf Fälle pro Monat. Sie begleitet keine psychisch Kranken und auch keine Gesunden, angefragt wird sie trotzdem von allen. «Da war mal eine Person, die hatte Liebeskummer. Wir sprachen lange, und ich sagte ihm, das ist es nicht wert, ich würde nicht gehen, und er blieb bis heute.» Die Freitod-Diskussion schlägt immer wieder hohe mediale Wellen. Aktuell mit dem gestrigen «Tatort» «Freitod» oder auch, als alt SVP-Ständerat This Jenny im November 2014 mit Exit starb.
Ruth Erni sagt dazu: «Wichtig ist, dass der Mensch, der sterben will, und seine Nächsten sich einig sind.» Alle, die den begleiteten Freitod wollen, müssen sich den nahen Tod durch einen Arzt medizinisch bestätigen lassen, müssen unheilbar krank sein. Erst wenn das ärztliche Attest vorliegt, wird das Natrium-Pentobarbital, kurz Nap, in der Apotheke bestellt und von Frau Erni persönlich abgeholt. Das Pulver wird dann mit Wasser vermischt und so zur tödlichen Lösung. «Trinken müssen die Personen die Lösung selber, helfen dabei ist verboten.» Da das Getränk sehr bitter ist, werde vorgängig ein Magenschoner zum Trinken gegeben. Ist das tödliche Mittel getrunken, dann wird man bereits in den ersten Minuten in einen Tiefschlaf versetzt.
Bis der Tod eintritt, dauert es zwischen 20 Minuten und zwei Stunden. In dieser Zeit bleiben die Teilnehmenden im Raum und nehmen individuell Abschied. Erst danach ruft Ruth Erni die Polizei, die dann mit Amtsarzt und Untersuchungsrichter kommt. Dieses Vorgehen ist bei einem Suizid Pflicht. Gegenüber den Behörden bestätigen Ruth Erni und die anwesenden Angehörigen dann, dass die Person den Trank eigenhändig zu sich genommen hat. Zum Schutz für sich selber und der sterbewilligen Person assistiert Ruth Erni nie alleine. Falls keine Angehörigen anwesend sein wollen, nimmt sie eine Begleitperson mit. «Das ist wichtig. Denn der Vorgang ist nicht rückgängig zu machen und für die Hinterbliebenen hoch emotional. Da können schon mal unerwartete Reaktionen kommen, doch dann ist es zu spät.» Auf die Frage, wie sie dereinst geht, lächelt sie und sagt: «Nume nid gschprängt.»