In Luzern ist ein Geisselheiland von antiker Schönheit aufgetaucht

Eine prächtige Skulptur der Passionsfrömmigkeit lagerte während Jahrzehnten unbemerkt in der Luzerner Hofkirche – bis jetzt. Jesus erscheint darin als unverletzte, fast athletische Gestalt.

Hugo Bischof
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Der restaurierte Geisselheiland aus dem Luzerner Stiftsschatz.

Der restaurierte Geisselheiland aus dem Luzerner Stiftsschatz.

Fotografie Vitus Wey

Im Stiftsschatz der Hofkirche Luzern ist eine bedeutende Skulptur aufgetaucht, ein sogenannter «Geisselheiland». Es ist eine Darstellung des vor der Kreuzigung zur Geisselung an einen Pfahl gefesselten Jesus. «Während Jahrzehnten stand die Figur unbemerkt sowie in ihrer Bedeutung unerkannt in einem Schrank», erzählt Urs-Beat Frei, Spezialist für christliche Sakralkunst und Konservator des Luzerner Stiftsschatzes. Sobald der Stiftsschatz in der Hofkirche wieder zugänglich ist, wird die Skulptur erstmals öffentlich zu sehen sein.

Ähnlich wie die Figuren von Michelangelo

Der Geisselheiland ist in vielen unterschiedlichen Darstellungen bekannt, die bis zurück in die Zeit der Gotik, ins 15. Jahrhundert reichen. Meist erscheint Jesus mit einem geschundenen, von Peitschenhieben gezeichneten, blutüberströmten Körper. Nicht so in der jetzt in Luzern aufgetauchten Skulptur. Frei: «Sie ist ganz aus dem Geist der Renaissance geschaffen und zeigt den gefolterten Jesus als unverletzte, fast athletische Gestalt. Die Schönheit des Körpers ist da im Sinn des antiken Ideals Ausdruck, beziehungsweise Entsprechung zur geistig-seelischen Schönheit.» Auch die Figuren von Michelangelo etwa folgen diesem für die Renaissance charakteristischen Darstellungstyp.

Die Skulptur ist rund 60 Zentimeter hoch. Die Figur des Heilands ist aus Buchsbaum geschnitzt. Die Säule ist aus Alabaster und Marmor gearbeitet.

Die Skulptur ist rund 60 Zentimeter hoch. Die Figur des Heilands ist aus Buchsbaum geschnitzt. Die Säule ist aus Alabaster und Marmor gearbeitet.

Picasa

Die gesamte Skulptur inklusive Sockel und Säule ist ungefähr 60 Zentimeter hoch und stammt gemäss Frei aus der Zeit um 1700. Die Figur des Heilands ist aus Buchsbaum geschnitzt, einem Holz, das wegen seiner besonderen Härte und Dichte als besonders wertvoll und besonders fein beschnitzbar gilt. Die Geisselsäule ist eine Steinmetzarbeit aus Alabaster und Marmor. Frei:

«Interessant ist, dass das Podest und die Säule vom Stil her italienisch sind, die Buchsbaumfigur aber wahrscheinlich niederländisch ist.»

Frei vermutet deshalb, dass sie von einem niederländischen Künstler geschaffen wurde, der in Italien, vielleicht in Rom, gearbeitet hat. Und da Luzern während langer Zeit Sitz des päpstlichen Nuntius in der Schweiz war und die Hofkirche gleichsam dessen Residenzkirche war, könnte das meisterliche Kunstwerk das Geschenk eines Nuntius sein – ähnlich wie etwa auch ein Reliquienkästchen im Stiftsschatz.

Es gibt noch einen zweiten Geisselheiland im Stiftsschatz

Als Frei die Skulptur entdeckte, war sie in einem sehr schlechten Zustand, und zwar sowohl die Buchsbaumfigur als auch der Sockel mit Säule. Sie wurde nun von den beiden Restauratoren Hanspeter Stalder und Vitus Wey aus Sursee aufwendig und nach allen Regeln der Kunst restauriert. Was an der restaurierten Figur zurzeit noch fehlt, ist der Strick, mit dem Jesus an den Handgelenken an den Pfahl gefesselt ist. Er ist im Lauf der Zeit verloren gegangen und muss nun rekonstruiert werden. «Dafür wird eine geflochtene Schnur verwendet», sagt Frei. Der Haltering für den Strick oben an der Säule ist noch vorhanden.

Ungewöhnlich und selten ist gemäss Frei überdies, dass die Skulptur ein Teil eines Skulpturenpaars ist. Im Stiftsschatz der Hofkirche Luzern befinden sich nämlich zwei sehr ähnliche, als Paar gestaltete Geisselheilande. Für die Restaurierung der zweiten Skulptur fehlen im Moment noch die Mittel.

Kontrastbild zum antik schönen Geisselheiland aus dem Luzerner Stiftsschatz: Jesus als fürchterlich geschundener «Schmerzensmann» nach der Geisselung (Luzerner Privatsammlung, süddeutsch, 18. Jahrhundert).

Kontrastbild zum antik schönen Geisselheiland aus dem Luzerner Stiftsschatz: Jesus als fürchterlich geschundener «Schmerzensmann» nach der Geisselung (Luzerner Privatsammlung, süddeutsch, 18. Jahrhundert).

Bild pd

Für Führungen durch den Luzerner Stiftsschatz siehe: www.luzern-kirchenschatz.org