Ob beim in Kriens gedrehten Propagandavideo oder bei Diskussionen ums Burkaverbot: Der Islamische Zentralrat provoziert – und ist Teil der festgefahrenen Islamdebatte, wie Mediensprecher Qaasim Illi einräumt.
Interview Alexander von Däniken
Mit seiner gehäkelten Mütze und dem struppigen Vollbart fällt Qaasim Illi (34) schon von weitem auf. Als Mediensprecher des umstrittenen Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) ist er sich die Aufmerksamkeit aber gewohnt. Regelmässig bringt sich die in Bern beheimatete Organisation mit ihren rund 3700 Mitgliedern durch provokative Aktionen in die Schlagzeilen. So etwa durch die Besuche von Zentralratspräsident Nicolas Blancho in der Region oder den zum Teil in Kriens gedrehten Propagandafilm. Der sunnitisch-wahhabitisch ausgerichtete Verein eckt nicht nur beim Forum für einen fortschrittlichen Islam an, sondern auch bei den Moscheevereinen und islamischen Dachorganisationen. Diese Distanz beruht durchaus auf Gegenseitigkeit, wie Illi, der im Raum Luzern Verwandte hat, erklärt.
Qaasim Illi, in den letzten Tagen wurde bekannt, dass Sie 2009 im Libanon im Gefängnis sassen. Reisen Sie noch gerne in arabische Länder?
Qaasim Illi *: Ja, ich reise generell gerne. Der Libanon ist für mich als Islamwissenschaftler ein interessantes Gebiet. Mich interessiert die Lage der Palästinenser schon seit Jahren. Was die Inhaftierung betrifft, will ich festhalten, dass ich nichts falsch gemacht habe und nicht angeklagt worden bin. Da ich wusste, dass ich für den Besuch des Flüchtlingslagers eine Bewilligung brauche, habe ich mich beim Pförtnerposten danach erkundigt. Dann als ich beim Militärgeheimdienst den Antrag stellen wollte, wurde ich unerwartet festgenommen. Vielleicht war es eine Fehleinschätzung, dass ich vom Libanon als Rechtsstaat ausgegangen bin.
In der WOZ, welche die Inhaftierung publik machte, werden Sie als Dschihadist bezeichnet.
Illi: Im Arabischen gibt es diese Bezeichnung gar nicht. Es gibt «Mudschahid», was bedeutet, dass sich jemand um seine Religion bemüht. Da ich mich als Pressesprecher des Zentralrats für meine Religion einsetze, würde ich mich – ausschliesslich in diesem Sinn – als Dschihadisten bezeichnen lassen. Mit der negativen, westlichen Auslegung des Wortes im Sinne eines «heiligen Kriegs» habe ich nichts zu tun.
Was schätzen Sie an der Schweiz?
Illi: Einiges. Ordnung, Pünktlichkeit, die aufrichtige und direkte Bevölkerung, das politische System, die Natur, das Essen. Die Schweiz ist meine Heimat, ich bin Schweizer, hier geboren und aufgewachsen.
Was mögen Sie an der Schweiz nicht?
Illi: Die Art und Weise, wie die Islamdebatte geführt wird. Die Diskussionen um Masseneinwanderung und Flüchtlingsströme sind zwar legitim und notwendig – aber sie werden inflationär und unnötigerweise mit dem Islam in Verbindung gesetzt. Die Islamdebatte ist verkrampft und mit Vorurteilen behaftet.
Da hat aber auch der Zentralrat seinen Anteil daran.
Illi: Ja, wir sind zu einem Teil der Debatte geworden. Aber die hat es schon vor der Gründung des Zentralrats gegeben. Ich erinnere an die Diskussionen um das Minarettverbot, die 2006 bis 2009 geführt worden sind – bevor der Zentralrat gegründet wurde. In Frankreich, Belgien oder Deutschland läuft die Islamdebatte ähnlich, ohne Zentralrat.
Derzeit sammelt ein SVP-nahes Komitee Unterschriften für ein nationales Burka-Verbot. Der IZRS hat bereits gegen das Verbot im Tessin protestiert, Ihre Frau Nora ist dort gebüsst worden. Warum wollen Sie sich mit demokratisch gefällten Entscheiden innerhalb eines Rechtsstaats nicht abfinden?
Illi: Als Nichtmuslim ist es einfach, zu sagen, warum gebt ihr nicht Ruhe. Als Muslime sind wir eine Minderheit in der Schweiz und wollen Anspruch auf den Minderheitenschutz geltend machen. Würde der Kanton Tessin von der deutschen Schweiz laufend durch Mehrheitsentscheide unterdrückt, wehrte sich der Kanton ja auch. Dass es da zu Reibungen kommt, liegt in der Natur der Sache.
Was würde Ihre Frau machen, wenn das Burka- oder Nikab-Verbot schweizweit gilt?
Illi: Das müssten Sie sie schon selber fragen.
Sie haben unserer Zeitung bereits versichert, dass der IZRS nichts mit der umstrittenen Lies!-Bewegung zu tun hat, die auch in Luzern Standaktionen durchführt (Ausgabe vom 28. Juli). Was halten Sie von der Bewegung?
Illi: Für mich ist es keine Bewegung, sondern ein Projekt mit dem missionarischen Ziel, weltweit den Koran zu verbreiten. Das allein ist legitim, entspricht aber nicht der Haltung des Zentralrats. Zu einzelnen Personen, die Verbindungen zu Terrorakten haben sollen, kann ich nichts sagen. Das haben die entsprechenden Behörden zu beurteilen.
Am 25. September stimmt die Schweiz über eine Verschärfung des Nachrichtendienstgesetzes ab. Wie stehen Sie dazu?
Illi: Das verschärfte Gesetz wird sich unter anderem gegen Organisationen wie den Zentralrat richten. Wir haben nichts zu verbergen. Wenn der Staat uns überwachen will, dann lade ich den Nachrichtendienst ein, bei uns Kameras und Mikrofone zu installieren, das ist kein Problem. Problematisch würde es, wenn das gesammelte Material an die Öffentlichkeit gelangt, eine Vorverurteilung ohne rechtliche Grundlage wäre die Folge. Ich persönlich finde, durch das Gesetz wird die Privatsphäre zu stark verletzt, es wäre ein erster Schritt Richtung Massenüberwachung. Darum lehne ich das verschärfte Gesetz ab.
Moscheen wie jene an der Stadtluzerner Baselstrasse haben Zentralratspräsident Nicolas Blancho ein Hausverbot erteilt. Die Moscheevereine gehen auf Distanz zum IZRS.
Illi: Blancho hat kein Hausverbot: Er darf in jeder Moschee beten, denn eine Moschee steht allen Gläubigen offen ...
... aber er darf dort nicht mehr referieren und vorbeten.
Illi: Trotzdem ist es kein Hausverbot. Zur Frage: Die Distanz ist gegenseitig, weil die Moscheevereine und der Zentralrat ganz unterschiedliche Ausgangslagen haben. Die Vereine sind in der Gemeinde verankert und dürfen sich oft politisch nicht äussern. Der Zentralrat versteht sich als eine Art Gewerkschaft, welche für die Rechte der Muslime eintritt und sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verteidigt.
Ein Werbevideo des IZRS, das unter anderem in Kriens gedreht wurde, sorgte Ende 2014 in der Bevölkerung für Ängste: Eine weisse Fahne mit schwarzer arabischer Schrift wurde geschwenkt, der Satz «Rechnet mit uns, jederzeit, überall» wirkt in Zeiten des islamistischen Terrors bedrohlich. Ist das pure Provokation, oder worauf bezieht sich der Satz?
Illi: Erst kürzlich hat der Bundesrat auf eine parlamentarische Anfrage Stellung zum Video genommen. Es verstösst weder gegen ein Gesetz, noch ruft es zu Gewalt auf, erklärte der Bundesrat. Provokation ist durchaus ein legitimes Mittel, damit sich eine Minderheit gegenüber der Mehrheit eine Stimme verschaffen kann. Wir wollten mit dem Satz zeigen, dass wir uns mit allen rechtsstaatlichen Mitteln wehren werden, wenn die Mehrheit einen Sündenfall wie das Minarettverbot wiederholt.
Mit solchen provokanten Äusserungen ruft doch der Zentralrat jene Reaktionen hervor, die vom Zentralrat dann als «islamophob» bezeichnet werden. So kreiert der IZRS seine eigene Opferrolle.
Illi: Mit dem gleichen Argument hatte vor einigen Jahrzehnten die weisse Elite in den USA oder in Südafrika gegen den Widerstand der Schwarzen argumentiert. Dabei muss sich die Mehrheit selbst an der Nase nehmen. Wer in einer überwältigenden Machtposition ist, sollte mit dieser Macht massvoll umgehen und gegenüber der Minderheit Gerechtigkeit üben.
Tatsache ist, dass der IZRS eine sehr kleine Minderheit der in der Schweiz lebenden Muslime vertritt, sich aber Zentralrat nennt.
Illi: Wir nennen uns nicht «Zentralrat für Muslime», sondern Islamischer Zentralrat, weil wir wissen, dass wir nur einen kleinen Teil der hier lebenden Muslime vertreten, dafür aber eine Institution sind, die sich mit Themen rund um den Islam auseinandersetzt.
* Abdel Azziz Qaasim Illi (34) hörte früher auf den Namen Patric Illi und ist gelernter Informatiker. Der Konvertit ist Vorstandsmitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) und dort Leiter des Departements für Public Relations und Information. Illi ist Student in Geschichte und Islamwissenschaften an der Uni Bern. Seine Frau Nora, gelernte Polygrafin und ebenfalls Konvertitin, leitet beim IZRS das Departement für Frauenangelegenheiten.