Die Kirchgemeinde der Stadt Luzern plante, die Zahl der Pfarreien stark zu reduzieren. Doch nun will sie zuerst ihre künftige Rolle in den Quartieren klären.
Interview Remo Wiegand
Die katholische Kirche hat zunehmend Mühe, ihre theologischen Leitungsfunktionen zu besetzen. Die Stadtluzerner Pfarrei St. Karl geht deshalb neue Wege. Nach dem Abgang der Gemeindeleiterin Silvia Huber hat die Pfarrei einen Nicht-Theologen als Leiter eingesetzt: Armin Huber ist seit Anfang April Geschäftsführer der Pfarrei St. Karl und damit für die administrative und organisatorische Führung verantwortlich. Um die seelsorgerischen Belange kümmert sich aber weiterhin ein Theologe – es ist der Gemeindeleiter der Nachbarpfarrei (Ausgabe vom 28. April).
Doch die Frage, wie das Gemeindeleben künftig organisiert werden soll, stellt sich nicht nur in St. Karl. Die katholische Kirchgemeinde Luzern will die Pfarreistrukturen in der Stadt nämlich grundsätzlich überdenken. «Kirche als Netzwerk vielfältiger Standorte» heisst das Projekt, das vor einem Jahr lanciert wurde. Der brisanteste Punkt darin ist die deutliche Reduktion der Zahl der Pfarreien. Heute ist die Kirchgemeinde Luzern (ohne Littau/Reussbühl) in acht Pfarreien aufgeteilt. Diese sollen auf zwei bis drei so genannte kirchliche «Standorte» reduziert werden. Diese Strategie ist vor allem dem akuten Mangel an Seelsorgepersonal geschuldet. Doch seit einiger Zeit scheint das Reformprojekt zu stocken. Die Verantwortlichen kommunizieren nur sehr zurückhaltend und zögernd («alles offen», «nichts Neues»). Wir haben bei Projektleiter Florian Flohr nachgehakt.
Florian Flohr*, gibt es das kirchliche Reformprojekt noch?
Florian Flohr: Ja. Wir haben aber einen Schritt zurück gemacht. Kritische Reaktionen im Kirchenvolk und ein externer Berater haben gezeigt, dass das Projekt zu stark von oben herab gedacht war. Wir wollen nun zuerst über Inhalte und Herausforderungen reden, dann erst kommen die Strukturen dran. Deshalb haben wir zunächst alle Pfarreien besucht und hingehört. In einer Woche treffen sich erstmals die zwei Teilprojektgruppen, die eine umfasst die vier Pfarreien des linken, die andere die des rechten Reussufers. Darin sind etwa 30 Personen, von Pfarreivertretern bis zu Kirchenfernen.
Gilt das vor einem Jahr formulierte Ziel der Pfarrei-Fusionen noch?
Flohr: Das kommt drauf an, wie man Kirche versteht. Kirchenrechtlich meint eine Pfarrei ein Vollprogramm mit Gottesdiensten, Taufen, Firmungen, Beerdigungen und so weiter. Das schränkt uns zu sehr ein, wir wollen mehr Gestaltungsfreiheit. Deshalb sollen gewisse Aufgaben in grösseren Pfarreien zusammengelegt werden. Der Volksmund allerdings versteht unter Pfarrei ja eher einen Ort, wo es eine Kirche hat und Personal. Und das wird so bleiben.
Die Kommunikation ist verwirrend: Vor einem Jahr machten Sie eine klare Vorgabe, jetzt soll das Kirchenvolk sagen können, was für eine Pfarrei es will. Es bleibt das Gefühl, die Kirche wird am Ende doch machen, was sie will.
Flohr: In jedem Projekt gibt es dieses Gefühl, als Einzelner könne man nichts ausrichten. Wir suchen die Balance aus einer Steuerung und dem Willen, die Leute abzuholen, wo sie sind.
In der Pfarrei St. Karl wurde soeben ein neuartiges Leitungsmodell installiert. Ist das eine Entwicklung im Sinne des Reformprojekts?
Flohr: Ja, durchaus. Das neue Führungsmodell hat Pilotcharakter: Zum ersten Mal ist eine wichtige Leitungsperson einer Pfarrei nicht mehr Theologe. Das ändert die Rolle der Theologen, die in Zukunft eher wie Coaches im Hintergrund sein werden. Sie unterstützen Menschen, die Anliegen Jesu im Alltag umsetzen wollen, zum Beispiel die engagierte Lehrerin, aber auch den Hausarzt, der Randständige kostenlos behandelt, oder eine Busfahrerin, die nicht nur eine Riesenmaschine steuert, sondern weiss, dass sie Menschen befördert. Das sind die Modellchristen der Zukunft, nicht mehr die Pfarrer oder Theologen. Und um das geht es auch in unserem Projekt.
Die Pfarrei St. Johannes hatte ein Jahr lang keine Pfarreileitung, man hat sich organisiert. Es geht offenbar auch ohne charismatischen Gemeindeleiter.
Flohr: Ja, auf jeden Fall. Das ist eben auch die neue Ausrichtung des Projekts, dass wir keine Lösungen am Reissbrett entwerfen, sondern Pfarreien genau in diesen konkreten Situationen begleiten und unterstützen.
Das Gegenbeispiel ist die Pfarrei St. Paul, die jahrelang stark durch Pfarrer Leopold Kaiser geprägt war. Dort können sich viele noch kaum vorstellen, dass es auch ein Leben ohne Pfarrer gibt ...
Flohr: Wenn ich das richtig beobachte, teilen alle diesen Realismus, dass es auch dort nicht mehr so weitergehen wird wie bisher. Auch Leopold Kaiser weiss das. Es ist ein kirchliches Grundprinzip, dass man Pfarreien nicht nur rund um Personen baut. Es sind schon immer prägende Pfarrerfiguren gegangen und neue Leiter gekommen, die Pfarrei existiert weiter.
Pfarreien sollen zu «Standorten» werden. Darunter kann man sich wenig vorstellen.
Flohr: Deshalb reden wir jetzt systematisch mit den Pfarreimitgliedern über ihre Bedürfnisse. Dabei fragen wir aber bewusst nicht nur die 15 Prozent Kirchgänger, sondern auch Kirchenferne. Wir wollen auch eine Kirche für Nicht-Kirchgänger bauen.
Das Reformprojekt heisst neu «Zukunftsfähige Kirche: Für lebendige Quartiere und eine offene Stadt». Werden Pfarreien künftig einfach Quartiertreffs sein?
Flohr: Das ist gar nicht so weit voneinander entfernt. Zentral ist für uns nicht die Kirche, sondern das Reich Gottes. Dabei geht es um gelingendes Leben, Vergebung, guten Abschied im Sterben oder Zuwendung zu den Benachteiligten. Christliche Werte zeigen sich in Taten, sie sind nicht bloss Dekoration. Wenn uns jemand danach fragt, legen wir gerne Rechenschaft über die Quellen ab, aus denen wir schöpfen. Aber dafür müssen wir nicht ständig herumposaunen, dass wir etwas tun, weil es uns der Herr Jesus gesagt hat.
* Florian Flohr ist Leiter Stabsstelle und Projekte bei der Katholischen Kirche Stadt Luzern.