Startseite
Zentralschweiz
Luzern
Nur noch verzeinzelte Luzernerinnen und Luzerner wählen oder stimmen persönlich im Urnenlokal. Trotzdem wollen Politiker von rechts bis links daran festhalten – im Gegensatz zu den Praktikern auf den Verwaltungen.
Exakt 14 der 53'348 Stimmberechtigten der Stadt Luzern haben ihr Wahlcouvert am 29.März persönlich ins Urnenlokal am Hirschengraben 17b vorbei gebracht. Das sind 0,03 Prozent der Stimmberechtigten. Im Durchschnitt der letzten zehn Urnengänge wurde das seit 2006 einzige städtische Urnenlokal von 47 Personen frequentiert – 0,09 Prozent der Stimmberechtigten.
Für Thomas Zumbühl, Leiter Wahlen und Abstimmungen bei der Stadt Luzern, ist deshalb klar: «Wir würden es begrüssen, wenn wir kein Urnenlokal mehr betreiben müssten.» Der Aufwand sei beträchtlich: Der Raum müsse jedes Mal mit Möbeln und einem Computer eingerichtet werden, und es müssten drei Personen anwesend sein.
Stephanie Meier, Verantwortliche für Wahlen und Abstimmungen in Adligenswil, äussert sich gleich: «Wir würden es sehr begrüssen, wenn kein Urnenlokal mehr geführt werden müsste. Der Aufwand ist relativ gross, wenn man bedenkt, dass nur wenige Stimmberechtigte vorbei kommen.» Mit «wenige» meint Meier 10 bis 15 Personen pro Urnengang, Tendenz abnehmend. Dies bei knapp 4000 Stimmberechtigten.
Zumbühl und Meier sind bei weitem nicht die einzigen Gemeindevertreter, die eine Überprüfung der geltenden Praxis anregen. Auch André Wespi, CEO und Gemeindeschreiber von Root, sagt: «Es wäre eine Erleichterung, wenn wir auf das Urnenlokal verzichten könnten.» Im Durchschnitt geben 5 bis 10 der rund 3000 Stimmberechtigten in Root ihr Stimmcouvert persönlich ab.
Die Liste der Gemeinden mit Quasi-Null-Benutzung des Urnenlokals lässt sich fortführen. So mit Luthern, wo am 29.März nur 2 der etwa 900 Stimmberechtigten das Urnenlokal besucht haben. Oder mit Flühli, wo eine Handvoll der knapp 1300 Stimmberechtigten persönlich gewählt hat. Oder mit Honau, wo wieder einmal keiner der rund 300 Stimmberechtigten sein Wahlcouvert im Urnenlokal abgegeben hat.
So vernachlässigbar die Wahl- und Stimmbeteiligung via Besuch eines Urnenlokals ist, so streng sind die Gesetzesvorgaben. Laut dem kantonalen Stimmrechtsgesetz müssen Urnenlokale für kantonale und kommunale Wahlen und Abstimmungen zwingend angeboten werden. Das Gleiche gilt für eidgenössische Urnengänge. Die Kantone hätten allerdings die Möglichkeit, Urnenlokale für ihre Wahlen und Abstimmungen freiwillig zu machen oder zu streichen (siehe Kasten am Ende des Textes).
Davon wollen jedoch weder das für Wahlen und Abstimmungen zuständige Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) noch angefragte Mitglieder der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Kantonsrats etwas wissen. Sie sind der Ansicht, der Aufwand für die Gemeinden halte sich in Grenzen. Und sie finden, diese Art des Zugangs zur Ausübung des Wahl- und Stimmrechts sei momentan aufrecht zu erhalten. «Wir können allenfalls über die Freiwilligkeit von Urnenlokalen diskutieren, wenn E-Voting eingeführt ist», sagt Ludwig Peyer, Geschäftsführer des Verbands der Luzerner Gemeinden und Mitglied der kantonsrätlichen SPK. Für den früheren Fraktionschef der CVP wäre eine Streichung der Urnenlokale ein falsches Signal ans Volk. Genauso falsch wäre für den Willisauer eine separate Lösung für kantonale und kommunale Urnengänge.
Es sollen mindestens zwei Stimmkanäle angeboten werden, und eine von der Bundeslösung abweichende Praxis sei nicht sinnvoll: Dieser Ansicht ist auch das JSD, wie Sprecher Erwin Rast sagt: «Wir sehen keine Möglichkeit, auf diesen Stimmkanal zu verzichten, solange der Bund an der persönlichen Stimmabgabe festhält.»
Irene Keller und Sara Agner teilen diese Haltung. Keller ist FDP-Kantonsrätin, langjährige frühere Vitznauer Gemeinderätin und derzeit Vizepräsidentin der SPK. Sie sagt: «Ich erachte es als nach wie vor zu den demokratischen Rechten gehörend, dass es auch möglich ist, seine Stimme am Sonntagmorgen persönlich abzugeben.»
Agner, die seit 2016 für die SP im Kantonsparlament sitzt und seither Mitglied der SPK ist, erachtet Urnenlokale ebenfalls als nötig – und sie regt an, Wahl- und Abstimmungscouverts seien kantonsweit vorzufrankieren. «Der Zugang zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen soll möglichst einfach sein. Die portofreie Rücksendung unterstreicht dies», sagt die Politikerin aus Dagmersellen, wo die Couverts seit 2006 vorfrankiert werden.
Für Ludwig Peyer dagegen soll dies weiterhin den Gemeinden überlassen werden. Er selber hält die Vorfrankierung nicht für nötig. «Es gibt keinen nachgewiesenen Zusammenhang mit der Stimmbeteiligung, und eine Bürgerpflicht darf durchaus einen Franken kosten.»
JSD-Sprecher Erwin Rast bestätigt die Einschätzung Peyers, wonach der Einfluss von vorfrankierten Couverts auf die Beteiligung unbedeutend sei. «Die Stimmbeteiligung hängt in erster Linie von den Vorlagen ab, die zur Abstimmung anstehen, und weniger davon, ob die Gemeinden das Porto der Rücksendekuverts übernehmen.» Dies habe eine Umfrage bei jenen sieben Luzerner Gemeinden ergeben, in denen die portofreie Rücksendung praktiziert wird:
Altishofen (seit diesem Jahr), Dagmersellen (2006), Gisikon (2016), Hitzkirch (2009), Horw (seit über 20 Jahren), Schötz und Vitznau (seit jeher). Die meisten Personen würden ihr Couvert in den Gemeindebriefkasten werfen, nur wenige würden die Möglichkeit der portofreien Rücksendung nutzen. Kantonsweit portofrei wählen und abstimmen lässt sich in der Zentralschweiz in Zug und Obwalden.
Geht es nach der kantonalen Verwaltung und nach Kantonspolitikern, soll das Stimmrechtsgesetz entgegen der Haltung der Praktiker auf den Gemeindeverwaltungen also nicht angepasst werden, solange Urnenlokale für eidgenössische Urnengänge obligatorisch sind. Roland Fischer, im letzten Herbst zum zweiten Mal für die GLP in den Nationalrat gewählt, erachtet diese Position als richtig. «Es sollten so viele sichere Kanäle wie möglich angeboten werden.» Er strebe deshalb keine Anpassung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte an. Der Udligenswiler könnte sich jedoch in einer späteren Phase vorstellen, die Frequentierung der Urnenlokale landesweit zu erfragen. «Das hat aber keine Priorität und wird erst dann zum Thema, wenn E-Voting möglich und sicher ist.»
Begrüssenswert fände es Fischer, wenn Wahl- und Abstimmungscouverts überall vorfrankiert würden: «Das wäre ein Service für die Stimmbürger.»
Könnten Kantone oder Gemeinden auf Urnenlokale verzichten? Schliesslich heisst es im Bundesgesetz über die politischen Rechte, die Stimmabgabe an der Urne müsse möglich sein. Die Antwort lautet: Ja, die Kantone sind für kantonale oder kommunale Wahlen und Abstimmungen frei. Das Regelwerk des Bundes gilt nur für eidgenössische Urnengänge, wie Beat Furrer, Informationsbeauftragter für Politische Rechte bei der Bundeskanzlei, sagt.
Diese Gesetzeslage bedeutet gleichzeitig, dass die Gemeinden für eidgenössische Abstimmungen Urnenlokale bereit stellen müssen, während sie bei kantonalen oder kommunalen Urnengängen darauf verzichten könnten. (nus)