KIRCHE: «Die Kirche soll auch anecken»

Iva Boutellier (55) ist zur höchsten Katholikin im Kanton gewählt worden. Sie will, dass sich die Kirche auch in die Politik einmischt.

Luzia Mattmann
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Iva Boutellier (55) gestern Mittag in der Franziskanerkirche in Luzern. (Bild: Nadia Schärli / Neue LZ)

Iva Boutellier (55) gestern Mittag in der Franziskanerkirche in Luzern. (Bild: Nadia Schärli / Neue LZ)

Gestern Mittag, eine Stunde vor ihrer Wahl zur höchsten Katholikin im Kanton, war Iva Boutellier (55) alles andere als nervös. «Das Parlament hat ja eigentlich keine andere Wahl», sagt die Luzernerin augenzwinkernd. Als Vizepräsidentin des Kirchenparlaments wurde sie automatisch als Präsidentin vorgeschlagen. Während zweier Jahre wird die verheiratete Mutter von drei Kindern und Grossmutter von fünf Grosskindern der Synode, dem Parlament der katholischen Landeskirche, vorstehen.

Mitarbeit an Heimkinder-Erklärung

Die Illusion, die Kirche mit ihrem Amt zu verändern, habe sie nicht, sagt Boutellier. «Ich habe mehrere Jahre im Parlamentsdienst des Kantons gearbeitet. Deshalb weiss ich um die Möglichkeiten und Grenzen eines Parlaments», erklärt sie, die heute in einem Teilzeitpensum als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bildungsdepartement angestellt ist. Der Kirche ein Gesicht und eine Stimme geben wolle sie aber schon. «Die Kirche darf ruhig ein Stachel in der Gesellschaft sein und anecken. Wo wären wir denn, wenn der Markt alles regulieren würde?» So hat sie federführend an der Erklärung der katholischen Landeskirche zum Thema Heimkinder mitgearbeitet – und auch bei Themen wie Asyl dürfe sich die Kirche einmischen, findet Boutellier. Zum Thema Frauenordination hat die studierte Theologin eine pragmatische Haltung. Sie hätte eine berufliche Laufbahn in der Kirche nicht ausgeschlossen. «Irgendwann wird es Frauen möglich sein, als Priester tätig zu sein, aber im Moment ist es eine fruchtlose Diskussion.»

Höchste Katholikin zu sein in einer Gesellschaft, die immer weniger mit der Kirche am Hut hat – wie fühlt sich das an? «Dass sich die Leute weniger in der Kirche engagieren, hat auch damit zu tun, dass ehrenamtliche Tätigkeiten generell nicht mehr sehr beliebt sind», sagt Boutellier. «Die Leute haben eher die Tendenz, sich zurückzuziehen.» Deshalb brauche es überzeugende Menschen in der Kirche – sie nennt Abt Martin Werlen, der nun zurücktritt, als Beispiel. Selber arbeitet Boutellier sehr viel ehrenamtlich für die Kirche: Bis vor kurzem war sie Pfarreiratspräsidentin der Franziskanerkirche, und sie engagierte sich in der Liturgie und als Lektorin. Ausserdem ist sie während 50 Tagen im Jahr Kommentatorin der Luzerner Telebibel, die rund 2-minütige Telefon-Kurzpredigten anbietet.

Kirchenbesuch als Ritual

Und: Am Sonntag geht Iva Boutellier zur Kirche. «Wenn andere Leute das nicht tun, ist das ihre Sache – mir tuts gut», sagt sie kurz und bündig. Erstaunt ist sie zuweilen über die Gründe, warum manche der Kirche fernbleiben. «Es gibt Leute, die sagen, es liege an den langweiligen Predigten oder den Ritualen. Doch die Predigten sind oft gar nicht so schlecht. Und wenn man am Samstag Shoppen oder in den Club geht, ist das ja auch ein Ritual.»

«Man muss sich damit abfinden, dass wohl nie mehr so viele Leute in die Kirche gehen wir vor 50 Jahren», sagt sie. Dass Kirchen teilweise die ganze Woche leer stehen und im Winter geheizt werden, um am Wochenende zwei Stunden benützt zu werden, sei aber «schon schwierig». «Man muss sich fragen, ob das wirklich sinnvoll ist», sagt sie, die 1968 von der kommunistischen Slowakei in die Schweiz gekommen ist. Dem Thema Umnutzung von Kirchen steht sie, die die Säkularisierung der Kirchen in ihrer Heimat erlebt hat, aber kritisch gegenüber. «Kirchen sind oft auch kunsthistorisch sehr wertvolle Bauten, man muss ihnen Sorge tragen.» Eine gute Möglichkeit, wieder neues Leben in die Kirchen zu bringen, wäre ihrer Meinung nach, den fremdsprachigen Missionen darin einen Ort zu bieten. «Die Italiener, Spanier und Kroaten haben jeweils am Sonntag volles Haus», sagt Boutellier. Im Einzelfall brauche es bei solchen Fragen aber sehr viel Fingerspitzengefühl.