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Reto Wyss ist bereits zum zweiten Mal Luzerner Regierungspräsident. Er spricht über Corona und sagt: «Wir müssen die Finanzen im Griff haben».
Sie übernehmen nach 2015 zum zweiten Mal das Regierungspräsidium. Was ist Ihr zentrales Anliegen in Ihrer Amtszeit?
Reto Wyss: Mir ist es ein Anliegen, dass sich die Bevölkerung für die Politik im Kanton Luzern interessiert, dass wir verständlich kommunizieren. Ich will an verschiedenen Orten mit der Bevölkerung in Kontakt treten. Dort, wo es Diskrepanzen gibt zwischen Stadt und Land oder unterschiedlichen sozialen Schichten, will ich eine Brücke schlagen und ins Gespräch kommen.
Wie hat sich die Wahrnehmung der Luzerner Politik in den vergangenen fünf Jahren verändert?
Es wird zunehmend schwierig, die Leute zu erreichen. Das spüren Sie ja auch als Zeitung. Wenn ich in meinem Quartier schaue, in welche Briefkästen die Zeitung am Morgen noch geworfen wird, dann werden das immer weniger. Das ist ein Problem. Man interessiert sich weniger für Inhalte und gibt sich mit Kurzfutter zufrieden. Aber wenn man die Politik verstehen will, dann muss man sich Zeit nehmen und auch mal einen längeren Artikel zu einem Thema lesen oder eine längere Diskussion im TV schauen. Ich will einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Leute mehr für Politik interessieren und Entscheidungen besser nachvollziehen können.
Geniessen Sie öffentliche Auftritte?
Es gibt problemlose Auftritte, aber manchmal muss man auch in schwierigen Situationen vor die Öffentlichkeit treten, wie etwa beim Fall Menznau. Die Kommunikation ist untrennbar mit der Funktion eines Regierungsrates verbunden. Ich finde das sehr wichtig und ich mache das auch gerne. Es gehört dazu, hinzustehen, auch wenn es mal nicht ganz so angenehm ist.
Seit einem Jahr sind Sie Finanzdirektor. Haben Sie sich gut eingelebt?
Ich habe mich sehr gut eingelebt und das Amt wie auch dessen Inhalte gefallen mir sehr gut.
Sie haben das Amt von Marcel Schwerzmann übernommen, der den Posten nicht freiwillig aufgegeben haben dürfte. Hat dies das Klima im Regierungsrat verändert?
Wir haben eine sehr gute Kultur der Zusammenarbeit, die nach meinem Eindruck auch nach aussen wahrnehmbar ist. Wir haben keine Sololäufer und arbeiten innerhalb der Regierung kritisch und konstruktiv zusammen und nie persönlich verletzend.
Zur Person
Hatten Sie während der Coronakrise schlaflose Nächte?
Zu Beginn war es sehr belastend. Wir sahen die Bilder aus Italien und die Entwicklungen im Tessin. Wir wussten, dass wir in vergleichbare Verhältnisse geraten, wenn wir nicht entschieden reagieren. Wir haben uns in einem engen Rhythmus getroffen, die notwendigen Entscheidungen gefällt und uns bemüht, die Bevölkerung mit einer guten Kommunikation mitzunehmen und zu sensibilisieren. Der Bund hat früh den Lead übernommen, das gab uns eine gewisse Sicherheit. Schlaflose Nächte kenne ich aber grundsätzlich nicht.
Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?
Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Aber ich glaube, wir haben in den grossen Linien gut entschieden. Die Schweiz insgesamt, aber auch der Kanton Luzern hat Glück gehabt, glimpflich davongekommen zu sein. Hoffen wir, es bleibt so. In den Details würden wir heute in gewissen Punkten anders reagieren.
Man hat eigentlich gewusst, dass eine Pandemie möglich ist. Trotzdem hat man es in der ganzen Schweiz zu wenig ernst genommen.
Das muss uns eine Lehre sein. Ich denke etwa an die Verfügbarkeit von Masken und Desinfektionsmitteln. Das hat man unterschätzt.
Wer ist in der Pflicht: Bund oder Kanton?
Beide. Wir müssen in der Lage sein, in kurzer Zeit für einen grossen Teil der Bevölkerung Desinfektionsmittel und Masken zur Verfügung zu stellen. Daran arbeiten wir. Wir wollen nächstes Jahr dem Kantonsrat einen Rechenschaftsbericht ablegen. Es erwartet niemand von uns, alles perfekt zu machen. Aber man darf von uns erwarten, verantwortungsbewusst zu handeln und transparent zu informieren.
Wurden die Massnahmen von der Bevölkerung gut mitgetragen?
Weitgehend. Es gab vereinzelt schwierige Situationen, gerade bei schönem Wetter. Aber grosso modo hat sich die Bevölkerung verantwortungsbewusst verhalten und wird das wohl weiterhin machen müssen.
Wäre das auch bei einem zweiten Lockdown der Fall?
Einen zweiten flächendeckenden Lockdown im Kanton Luzern wollen wir verhindern. Das Ziel ist, in einem engen Radius einzugreifen und dort spezifische Massnahmen anzuordnen. Ich glaube, dafür hätte die Bevölkerung Verständnis. Jetzt sind Ferien. Ich bin sehr gespannt, was passiert, wenn Herr und Frau Schweizer von den Ferien nach Hause kommen.
Wo verbringen Sie Ihre Ferien?
Was wir von der Regierung sagen, lebe ich auch. Ich werde mich in einem sehr engen Radius bewegen. Ich gehe sehr gerne in die Berge und vermisse das Meer nicht.
Von Links wurden Unterstützungspakete für die Wirtschaft und Betroffene gefordert. Wieso war der Kanton da zurückhaltend?
Der Bund hat weltweit einzigartige Unterstützungsmassnahmen ergriffen. Nirgends sind Unternehmen so schnell an Hilfskredite gekommen wie in der Schweiz. Wir handeln subsidiär und zurückhaltend. Im Gespräch mit Finanzdirektoren anderer Kantone stellte sich heraus, dass diese das Vorgehen von Luzern loben. Wir waren in stetigem Austausch mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Die Rückmeldungen haben unseren Kurs bestätigt.
Wurden Massnahmenpakete in der Regierung überhaupt diskutiert?
Klar. Als wir erfuhren, was andere Kantone unternehmen, haben wir uns schon Gedanken gemacht, ob wir ähnliche Massnahmen ergreifen müssten. Aber wir kamen zum Schluss, dass unsere Strategie vernünftig ist, auch unter dem Eindruck, was in anderen Kantonen effektiv beansprucht worden ist.
Die gesprochenen Mittel sind in anderen Kantonen zum Teil gar nicht zum Einsatz gekommen?
Teilweise nur sehr bescheiden, ja.
Sind Sie in Ihrer Rolle als Finanzdirektor auf die Bremse getreten?
Wir müssen unsere Finanzen im Griff haben. Wir können den Franken nur einmal ausgeben, entweder für die ordentlichen Aufgaben oder ausserordentlich bei Corona. Da hatte ich schon die Rolle des Bremsers, aber wir haben die Entscheidungen immer in einem guten Konsens als Team getroffen.
Wie gut werden die Kantonsfinanzen die Krise überstehen?
Ich bin optimistisch, dass wir die Krise vernünftig überstehen werden. Wir werden aber eine Bremsspur haben. Nach heutigen Schätzungen kostet uns Corona 161 Millionen Franken, die Verschuldung wird sich ungefähr verdoppeln. Das wird sich in den nächsten Jahren auswirken. Wir werden einen Einbruch bei den Steuereinnahmen haben, und zwar über das Jahr 2020 hinaus. Aber wir haben heuer das Glück der hohen Nationalbank-Ausschüttung. Zudem haben wir 271 Millionen Franken auf dem Ausgleichskonto. Darum begegne ich dieser Situation zwar mit Respekt, aber durchaus zuversichtlich.
Die Regierung will keine Sparpakete und keine Steuererhöhung. Gilt das über das nächste Jahr hinaus?
Wir müssen alle damit umgehen, dass die Unsicherheiten sehr gross sind. Gibt es eine zweite Welle? Wie entwickelt sich die Konjunktur? Es ist sehr schwierig, heute bereits verlässliche Aussagen über die nächsten Jahre zu treffen. Deshalb braucht es Zeit, bis die Lage besser einschätzbar ist. Was wir jetzt machen können, ist unsere Zuversicht weiterzugeben. Darum wäre ein Sparpaket das falsche Signal. Und darum ist es auch wichtig, dass der Kanton weiter investiert. Wir sind auch sehr dankbar für alle Investitionen, die Unternehmen und Privatpersonen jetzt tätigen.
Wie lange kann der Kanton Steuerausfälle verkraften und gleichzeitig an der Schuldenbremse festhalten?
Aufgrund unserer Hochrechnung sollten wir vernünftig durch diese Situation kommen. Ich will festhalten: Alle Massnahmen, die wir getroffen haben, konnten ohne finanzpolitische Notmassnahmen getroffen werden. Deshalb sehen wir bei der Schuldenbremse keinen Handlungsbedarf.
Ihre eigene Partei, die CVP, hat die Schuldenbremse in Frage gestellt. Ausgaben für Corona sollen an dieser vorbeigebucht werden.
Wir hatten in den letzten Jahren finanziell schwierige Jahre. Das steckt noch in den Hinterköpfen der Kantonsrätinnen und Kantonsräte. Darum habe ich ein gewisses Verständnis. Es ist gut, wenn wir als Regierung gezwungen werden, unseren Lösungsweg aufzuzeigen. Diese Herausforderung nehme ich gerne an. Wir haben die laufende Rechnung konsolidiert. Die Verschuldung ist so tief wie seit Jahrzehnten nicht. Der Kanton Luzern steht gut da. In einer solchen Situation ist es legitim, als öffentliche Hand Schulden in Kauf zu nehmen. Selbstverständlich haben wir den Ehrgeiz, diese wieder abzubauen. Wir wollen mittelfristig wieder ausgeglichene Rechnungen.
Bei den nächsten Wahlen sind Sie zwölf Jahre im Amt. Treten Sie nochmals an?
Nach einem Jahr in dieser Legislatur kommt diese Frage ein bisschen früh.
Ihr Parteikollege Guido Graf hat bereits erklärt, wieder anzutreten.
Ich muss nicht zwingend die Kopie meines Kollegen sein. Mir macht die Arbeit sehr viel Spass. Ich fühle mich wohl und bin sehr motiviert. Aber ich werde jetzt nicht ankündigen, ob ich in drei Jahren wieder antreten werde.