Sursee
Dieser Luzerner Busunternehmer bringt Hilfsgüter nach Polen – und holt 40 ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz

Ein Bus-Unternehmer bringt Lebensmittel und Medikamente an die ukrainische Grenze. Auf dem Rückweg sind mehr Flüchtlinge an Bord als geplant. Ein Fünfsternehotel bietet spontan Hilfe an.

Reto Bieri
Drucken

Das Leid der Menschen in der Ukraine hat Reto Rösch tief getroffen. Der Busunternehmer zögerte deshalb nicht lange, als er vom Aufruf des Schweizer Nutzfahrzeugverbandes Astag hörte, der zu humanitären Transporten in die Ukraine aufrief. Der 43-jährige Surseer beschloss kurzerhand, mit einem seiner drei Cars an die ukrainische Grenze zu fahren – und suchte Gleichgesinnte, die Zeit und Lust hatten, ihn zu begleiten. Einige Tage später war das fünfköpfige Team beisammen. Dazu gehört unter anderem Adrian Podesser. Ihn kannte Rösch zuvor nicht. Podesser wurde in einer Whatsapp-Gruppe auf Röschs Vorhaben aufmerksam.

Diese Luzerner, darunter Reto Rösch (l.), Martin Schaller (im Bus) und Adrian Podesser, haben ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz geholt. Ein Teil davon fand im Hotel Schweizerhof Unterschlupf. (v.l.)

Diese Luzerner, darunter Reto Rösch (l.), Martin Schaller (im Bus) und Adrian Podesser, haben ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz geholt. Ein Teil davon fand im Hotel Schweizerhof Unterschlupf. (v.l.)

Bild: Reto Bieri (Luzern, 22. März 2022)

Pensionär Adrian Podesser (66) und seine Frau verbringen das Winterhalbjahr jeweils auf Reisen im Ausland. Vor rund zwei Wochen seien sie wieder nach Neuenkirch zurückgekehrt. Der Krieg habe sie beelendet. Podesser:

«Wir haben nicht lange gezögert und in unserem Haus drei Personen aus der Ukraine aufgenommen.»
Reto Rösch.

Reto Rösch.

PD

Derweil sammelte Reto Rösch fleissig Lebensmittel und medizinische Güter, das meiste wurde von Privatpersonen und Firmen aus dem Kanton Luzern gespendet. Am vergangenen Samstagmorgen nahm der Car die 1500 Kilometer lange Strecke unter die Räder. Rösch und sein Kollege Martin Schaller wechselten sich mit Lenken ab. Wo genau sie hinfahren würden, darüber informierten sie sich unterwegs in den sozialen Medien.

Geflüchtete übernachten in einem Einkaufszentrum

Nach einer kurzen Nacht in einem Hotel in Krakau gelangte der Luzerner Car nach zweistündiger Fahrt zum polnischen Grenzort Przemysl. In einem Einkaufscenter ist dort ein Durchgangszentrum eingerichtet worden. Shuttlebusse bringen im Viertelstundentakt Flüchtlinge aus dem nahe gelegenen Bahnhof. «Das Ganze haben die Polen top organisiert», lobt Podesser. Jeder Ankömmling sei registriert und mit einem Bändeli versehen worden. Höchstens zwei Nächte dürfen die Flüchtenden im Zentrum bleiben, dann müssen sie weiter. Podesser:

«Das Leid mit eigenen Augen zu sehen, machte sehr betroffen.»

Die Luzerner übergaben die mitgebrachte Ware aus der Schweiz an die polnischen Helfer. Damit waren sie nicht die einzigen. «Es hatte Cars aus Deutschland, Portugal, Italien oder Grossbritannien. Die Solidarität ist eindrücklich», sagt Podesser.

Flüchtlinge warten darauf, in den Luzerner Car einzusteigen.

Flüchtlinge warten darauf, in den Luzerner Car einzusteigen.

Bild: Mayk Wendt (20. März 2022)

Dass sie auf dem Rückweg ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz mitnehmen werden, sei schon vor der Reise klar gewesen, sagt Rösch. «Dass wir gleich den ganzen Bus füllen, damit haben wir aber nicht gerechnet.» Das Vorhaben gestaltete sich schwieriger als gedacht. Um dem Menschenhandel einen Riegel zu schieben, würden die Polen genau hinschauen, wer Flüchtlinge mitnehmen will. «Das ist auch richtig so», betont Rösch. Nach einigen Stunden wurden ihnen rund 40 Personen vermittelt, mehrheitlich Frauen mit Kindern, auch einige ältere Personen. Nachdem die Polizei nochmals alles geprüft hatte, fuhr der Luzerner Car am Sonntagabend los.

Frau aus Luzern an Bord – «ein kluger Entscheid»

Man habe zuerst Vertrauen aufbauen müssen, sagt Podesser.

«Für diese Menschen ist es eine Fahrt ins Ungewisse, das muss man sich mal vergegenwärtigen.»

Eine Hürde sei die Sprache gewesen, da von den Schweizern niemand Ukrainisch oder Russisch konnte und die Flüchtlinge kaum Englisch. Zudem sei es wegen der vielen Frauen und Kinder an Bord ein kluger Entscheid gewesen, eine Frau aus Luzern als Helferin mitzunehmen, sagt Rösch. «Sie spricht gut Englisch und war während der Reise die Hauptansprechperson.»

Eine Helferin organisiert die Registrierung.

Eine Helferin organisiert die Registrierung.

Bild: Mayk Wendt (20. März 2022)

Ein weiteres Problem: Sie hatten im Vorfeld nur für rund 20 Personen private Unterkünfte organisiert. Damit fehlte für rund die Hälfte der Passagiere ein Dach über dem Kopf. «Wir haben deshalb während der Heimfahrt herumtelefoniert», sagt Podesser. Rösch und seine Frau beschlossen kurzerhand, zu Hause eine Ukrainerin mit ihrem Kind aufzunehmen. Ernüchternd sei gewesen, dass die kantonalen Behörden wegen der späten Ankunft des Cars keine fixe Unterkunftsgarantie abgeben wollten.

Hotel Schweizerhof öffnet die Türen

Auf gut Glück versuchten sie es bei Luzerner Hotels. Und siehe da: Der «Schweizerhof» bot den Flüchtlingen gratis zwei Übernachtungen an, inklusive Verpflegung. «Ich konnte es fast nicht glauben, wie unkompliziert das geklappt hat. Hut ab!», sagt Podesser. Grosszügig zeigte sich auch das Restaurant Lamm im Weiler Buholz in der Nähe von Ruswil. Der ganze Car wurde nach der Ankunft am Montagabend gratis verpflegt. Mit rund 20 Flüchtlingen fuhr der Rösch-Bus anschliessend in die Fünfsterne-Unterkunft nach Luzern.

Mutter und Tochter kurz vor der Abreise in die Schweiz

Mutter und Tochter kurz vor der Abreise in die Schweiz

Bild: Mayk Wendt (20. März 2022

Mit dem Gang an die Medien wollten sie sich nicht in den Mittelpunkt stellen. «Uns geht es darum, zu zeigen, dass Zivilcourage wichtig ist und jeder etwas beitragen kann», lautet Podessers Fazit über diese «Reise aufs Geratewohl». Rösch denkt derweil darüber nach, eine weitere Hilfsfahrt zu organisieren. «Jetzt kennen wir die Abläufe und die Helfenden vor Ort, da wird alles einfacher.»

Hinweis: Reto Rösch gibt seine Erfahrungen und Tipps gerne weiter. Kontakt: info@busreisen-roesch.ch