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Den ganzen Winter hat Forscher Martin Schneebeli in der Arktis verbracht. Dort fühlte er sich weniger einsam als jetzt im Lockdown.
Ende November flog Martin Schneebeli nach Norwegen, um von dort aufs Forschungsschiff «Polarstern» im Arktischen Meer zu gelangen (wir berichteten). Zwei Monate lang sollte der Krienser im arktischen Winter Schneemessungen vornehmen. Ziel des internationalen Forschungsprojekts «Mosaic» ist es, Klimamodelle für die langfristige Temperaturzunahme in der Arktis zu entwickeln:
Die Polargebiete sind vom Klimawandel besonders betroffen. Was das für die Arktis langfristig bedeutet, wird zurzeit in einem gigantischen Forschungsprojekt untersucht. Beteiligt sind 600 Forscher und Experten sowie Forschungsinstitute aus 20 Ländern. Das Budget beträgt 140 Millionen Euro. Untersucht werden die Atmosphäre, der arktische Ozean, das Meereis sowie das Ökosystem. Basis der 2019 gestarteten, einjährigen Expedition, ist das deutsche Forschungsschiff «Polarstern», das rund 200 Kilometer vom Nordpol entfernt ankert. Dort wohnen die Forscher. Ihre Arbeit verrichten sie aber in bis zu 50 Kilometer entfernten Camps mitten auf dem gefrorenen arktischen Ozean. (rk)
Seit einigen Tagen ist Martin Schneebeli nun zurück in der Schweiz – allerdings mit etwas Verspätung. «Der stärkere Eisbrecher, der uns eigentlich abholen sollte, war in der Reparatur. Der schwächere brauchte nicht nur länger, sondern hatte auch Mühe, uns überhaupt zu erreichen. Schlussendlich musste dann der reparierte noch unseren Eisbrecher betanken kommen», erzählt Schneebeli.
Gestört habe ihn die verspätete Abreise aber nicht. So kam er in Genuss eines Naturschauspiels, das er sonst verpasst hätte: Die Rückkehr des Tageslichts und der Sonne nach dem arktischen Winter. Das habe zu seinen Highlights gehört, erzählt der 61-Jährige, der in seinem «normalen» Berufsleben Leiter der Forschungseinheit Schnee und Permafrost des Lawinenforschungsinstituts SLF Davos ist.
Viel Zeit, um in die Sonne zu schauen, blieb den Forschern während ihrer Zeit auf der «Polarstern» aber nicht. «Wir haben sehr viel gearbeitet», betont er. So blieb auch kaum Freizeit, die er hätte gestalten müssen: «Es gab einen Salon, wo wir gelesen, was getrunken und geredet haben.» In der Zweierkabine blieb nicht viel Platz für Intimsphäre. «Ich und mein Kollege kommen aber zum Glück gut aus und konnten Schweizerdeutsch reden.»
Martin Schneebeli erwartete im Vorfeld, dass sich frühere Schneemessungen als falsch oder sehr ungenau erweisen würden. «Wir konnten sehr viele Messungen durchführen. Es war das erste Mal, dass wir mit so vielen Instrumenten so detailliert die Schneedecke über dem Meereis messen konnten. Ich kann bereits soviel sagen: Es ist alles viel komplizierter als gedacht», betont er. Doch: «Unsere Arbeit lief sehr gut. Wir hatten gut geplant, die Instrumente, wie zum Beispiel der Tomograph, funktionierten.» Andere Gruppen mussten hingegen wochenlang Apparate reparieren.
Bis auf ein oder zwei Tage, an denen es kälter als minus 30 Grad war, konnten die Teams draussen arbeiten. «Unser Expeditionsleiter war sehr erfahren und flexibel.» Dabei haben auch die Bärenwächter ihren Beitrag geleistet. Brenzlige Begegnungen gab es zum Glück aber nicht: «Es hat sich einmal ein junger Eisbär zu uns verwirrt, aber der ist schnell wieder abgezogen».
Die Forscher des Teams von Martin Schneebeli müssen jetzt die Messungen auswerten. «Das Ziel der Expedition ist ja, ein neues, genaueres Klimamodell zu entwickeln, das es uns ermöglicht, genauere Voraussagen zu machen.» Konkret beschäftigte sich Schneebelis Team mit der Wärmeleitfähigkeit und der Mikrostruktur des Schnees. Im Laufe des Jahres erwartet Martin Schneebeli die ersten Ergebnisse, die grosse Auswertungsperiode sei auf 2021/2022 geplant.
Martin Schneebeli hat sich auf die Heimkehr zu seiner Familie gefreut. «Das Corona-Virus war ja vor meiner Abreise bei uns noch kein Thema. In der Arktis haben wir in den Nachrichten davon gehört. Doch das war für uns recht abstrakt. Wir waren weit weg und es war so arbeitsintensiv, dass wir nur einmal pro Woche heimtelefonierten», erzählt er. Als die Corona-Krise in der Schweiz zuschlug, war der Forscher bereits auf dem Eisbrecher, wo die Kommunikation mit der Aussenwelt schwierig war. «Doch bereits beim Nachtanken haben wir uns gefragt, ob wir uns schon angesteckt haben könnten. Das wird vor allem für diejenigen Forscher ein Thema sein, die jetzt ausgetauscht werden», vermutet Martin Schneebeli. Selber kamen die Rückkehrer nicht in Quarantäne.
Wenn der Forscher den Lockdown in der Schweiz mit der Zeit auf dem Forschungsschiff vergleicht, sieht er mehrere Unterschiede: «Hier ist es wärmer und ich kann selbst kochen. Das schätze ich sehr», meint er lachend. Auf dem Schiff sei man auf engem Raum in intensivem Kontakt gewesen, wie in einem Dorf. «Hier halten wir Telefonkonferenzen ab, die zwar praktisch sind, aber es fehlt etwas. Zurück in der Schweiz sind wir viel isolierter, als wir es im arktischen Winter waren».
Mehr Informationen zum Forschungsprojekt: www.mosaic-expedition.org