KULTURFÖRDERUNG: Protestaktion spaltet die Luzerner Politik

Aus Widerstand gegen den Spardruck haben Luzerner Künstler jedem Kantonsrat eine Trauerkarte geschickt – inklusive einer Spende von 10 Franken. Das kommt nicht überall gut an, verfehlt die Wirkung aber nicht.

Kilian Küttel
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Kulturschaffende protestieren auf dem Europaplatz gegen Kürzungen bei der Kulturförderung. (Bild: Alexandra Wey/Keystone (Luzern, 11. August 2017))

Kulturschaffende protestieren auf dem Europaplatz gegen Kürzungen bei der Kulturförderung. (Bild: Alexandra Wey/Keystone (Luzern, 11. August 2017))

Kilian Küttel

kilian.kuettel@luzernerzeitung.ch

Der irische Schriftsteller Oscar Wilde sagte einmal: «Nichts hat im modernen Leben eine solche Wirkung wie eine gute Banalität.» Wilde lebte im 19. Jahrhundert, seine Worte scheinen aber heute noch zu gelten. Jedenfalls lässt darauf die Stimmung schliessen, die derzeit in den Luzerner Parteizentralen herrscht – vor allem bei den Bürgerlichen. Auslöser für den Unmut ist eine Aktion der Luzerner Kulturszene: Unter dem Namen «Kultur bleibt!» haben Kunstschaffende Kondolenzkarten verschickt, die das Ableben der Kulturförderung im Kanton betrauern. Erhalten haben die Karten sämtliche Kantonsräte aller Couleur. Dem Schreiben sind 10 Franken in bar beigelegt.

So banal 10 Franken sein mögen – sie reichen, um die Gemüter zu erhitzen. So heisst es in einer Medienmitteilung der SVP: «Solche provozierenden Aktionen kommen bei den SVP-Kantonsräten nicht gut an. SVP-Kantonsräte lassen sich weder kaufen noch bestechen.»

Reto Wyss erhielt fast 2500 Franken

Die Aktion «Kultur bleibt!» hat über 500 Trauerkarten verschickt. Und zwar aus Protest gegen den Leistungsabbau im Kultursektor. Dieser sieht vor, dass dieses und nächstes Jahr 800 000 Franken gestrichen werden, die sonst für die Kulturförderung verwendet worden wären. Nebst den 120 Kantonsräten gibt es noch einen weiteren dafür prominenten Adressaten: Bildungsdirektor Reto Wyss. Seit dem Start der Aktion hat Wyss 384 Trauerkarten erhalten. So sind 2432 Franken zusammengekommen. Auf Anfrage sagt der CVP-Regierungsrat: «Der gesamte Betrag wird sicher für die Kulturförderung eingesetzt. Wir werden nach Ablauf der Aktion entscheiden, welche eine geeignete Verwendung für das Geld ist.»

Bereits entschieden hat die SVP, was sie mit den 290 Franken machen will, die ihre 29 Kantonsräte erhalten haben: Die Fraktion verdoppelt den Betrag und spendet 580 Franken an die Freunde der Stiftung für Schwerbehinderte des Kantons Luzern. Auf Anfrage erklärt SVP-Fraktionschef Guido Müller: «Mit dieser Spende erhalten Menschen Unterstützung, die sie dringender brauchen als Kulturschaffende.» Denn für ihn ist klar, dass sich alle an der Sanierung des Staatshaushaltes beteiligen müssten – auch die Kulturschaffenden. So sieht das auch Andreas Moser, Fraktionspräsident der FDP: «Wir stehen grundsätzlich hinter der Luzerner Kulturszene, aber im Moment müssen alle mithelfen, damit die Situation besser wird.» Guido Müller hinterfragt derweil den Sinn der Aktion: «Die 1200 Franken hätten die Kulturschaffenden auch gleich spenden können, statt sie auf alle 120 Kantonsräte aufzuteilen.»

Was also will die Kunstszene mit der Aktion bezwecken? Regula Bühler von «Kultur bleibt!» sagt: «Wir wollen ein Zeichen setzen und die Parlamentarier aufrütteln.» Und wofür sollen die Politiker die 10 Franken ausgeben? «Das lassen wir offen. Aber wir fordern damit die Kreativität der Adressaten heraus.» Diese Botschaft scheint nicht überall angekommen zu sein – oder zumindest Fragen aufzuwerfen. So wie im Lager der FDP. Andreas Moser: «In unserer Fraktion ist die Aktion nicht wirklich gut angekommen. Es war nicht einfach zu verstehen, was die Kulturszene uns genau sagen will.» Weiter findet er, die Aktion komme zu einem fragwürdigen Zeitpunkt: «Vor der Abstimmung über die Steuererhöhung war aus dieser Szene sehr wenig zu vernehmen.» Und jetzt, da der Schaden angerichtet sei, würden sich die Kulturschaffenden beklagen. Anders als die SVP haben die Freisinnigen keine einheitliche Gangart vorgegeben, was sie mit der Spende tun wollen. Einige hätten das Geld zurückgeschickt, andere an Kulturbetriebe gespendet oder dem Bildungsdepartement überwiesen. «Und einer unserer Kantonsräte», so Moser, «hat mit der Spende eine Messe lesen lassen.»

Die Kunstszene protestiert

Die Kunstszene protestiert am Freitag mit verschiedenen Aktionen. So soll unter anderem an der Premiere der Oper «Le Grand Macabre» im Luzerner Theater eine Schweigeminute eingelegt werden. Beim Stück handelt es sich um eine Inszenierung des international renommierten deutschen Schauspielers und Medienkünstlers Herbert Fritsch, der sich unversehens in den Luzerner Kulturförderungswirren wiederfindet. Was durchaus zum schillernden Regisseur passt.
Ausserdem gibt es heute im ganzen Kanton farbige Protestaktionen, organisiert von der IG Kultur Luzern und der Luzerner Allianz für Lebensqualität. Eine regelrechte Landsgemeinde gar wird auf dem Luzerner Theaterplatz inszeniert. Verlesen wird ab 17 Uhr ein Manifest gegen das Sparen – und abgestimmt darüber wird auch.

SP und Grüne befürworten die Aktion

Gleich wie die FDP geht die CVP vor. Fraktionspräsident Ludwig Peyer: «Wir lancieren keine koordinierte Aktion.» Persönlich werde er die 10 Franken benutzen, wenn er das nächste Mal einen Kulturanlass besuche. Die Kampagne der Kulturschaffenden bezeichnet er als sehr effektvoll: «Das mediale Echo ist gross. Und ich glaube, dass die Politiker sensibilisiert werden.» Bei allem Goodwill für den kreativen Ansatz hat auch Peyer Ressentiments: «Gewisse Kreise aus dem Kultursektor haben mit Kritik an der Finanzpolitik nicht zurückgehalten und sich gleichzeitig gegen die Steuererhöhung starkgemacht.» Jetzt im Nachhinein eine derartige Aktion ins Leben zu rufen, hinterlasse einen «schalen Nachgeschmack». Dass das Engagement zum falschen Zeitpunkt kommt, will GLP-Fraktionschefin Michèle Graber nicht gelten lassen: «Es ist ja nicht nur die Kulturszene, die zu wenig gemacht hat, sondern auch die Regierung und die Parteien.» Man sei sich wohl einfach zu sicher gewesen, dass die Steuererhöhung angenommen werde.

Es gibt also nicht nur Vorbehalte gegen die Aktion. Die SP und die Grünen sprechen von einer «kreativen Protestaktion». Die Genossen haben die gleichen Pläne wie die SVP: Sie verdoppeln den erhaltenen Betrag und spenden 320 Franken an das Angebot Kultur-Legi der Caritas. Was mit den 70 Franken geschehen soll, welche die grünen Kantonsräte erhalten haben, ist noch nicht bekannt. Laut Parteipräsident Maurus Frey fällt der Entscheid an der nächsten Fraktionssitzung: «Klar ist aber, dass wir das Geld nicht verschleudern werden», so Frey.

Ob pro oder contra – einig sind sich wohl alle Politiker, dass die Aktion für ein grosses Echo sorgt. Für Regula Bühler sind das gute Neuigkeiten: «Damit haben wir ein erstes Ziel erreicht.»