Viele Luzerner Kunstschaffende sind in alten, günstigen Ateliers eingemietet. Wegen Neubauprojekten werden diese aber bald verschwinden. Derweil entsteht ausserhalb der Stadt ein neuer Künstler-Hotspot.
Pirmin Bossart
Das an traditionellen Industrie- und Gewerbebauten arme Luzern ist nicht das beste Pflaster für Kunstschaffende. Das Angebot an alten und bezahlbaren Räumlichkeiten ist sehr beschränkt und wird durch die Erneuerungswellen von Investoren und stadtplanerischen Bestrebungen Jahr für Jahr geschmälert. Kunstschaffende stehen am Ende von Wertschöpfungsketten. Sie müssen nehmen, was übrig bleibt. Und das ist in aller Regel immer nur temporär. Zurzeit aber scheint im Raum Luzern kein eigentlicher Mangel an Atelierplätzen zu bestehen. «Es sieht momentan nicht schlecht aus. Zumindest habe ich schon länger von niemandem mehr gehört, dass er oder sie seit Monaten einen Raum suchen würde», sagt Michael Sutter, Kunsthistoriker und Kurator der Kunsthalle Luzern. Auch Andrina Keller, die in der Teiggi Kriens arbeitet, hat nicht das Gefühl, dass eine grosse Not an Ateliers herrscht. «Zumindest in meinem Umkreis sind alle versorgt.»
Catherine Huth, Stiftungspräsidentin Gelbes Haus, ein Atelier-Haus im Reussport, räumt ein, dass die Atelier-Situation wieder besser aussehe als vor einigen Jahren. «Die Lage hat sich insofern etwas verändert, als inzwischen das Thema Zwischennutzungen an Bedeutung gewonnen hat.» Tatsächlich ist der grösste Teil von Atelierplätzen, die vor allem von jungen Kunstschaffenden genutzt werden, in Gebäuden untergebracht, die nur vorübergehend eine Bleibe bieten. Sie werden in absehbarer Zeit verschwinden.
Dazu gehören die ehemaligen Güterumschlagplätze der SBB in der Rösslimatte. Die Schuppen werden seit fünf Jahren von gut 20 Kunstschaffenden als Ateliers und Werkräume genutzt. «Wir erhalten keine Angaben von den SBB, wie lange wir noch hierbleiben können», sagt die Künstlerin Shannon Zwicker. Bekannt ist, dass die SBB erst mit der Realisierung der neuen Rösslimatt-Überbauung starten wollen, wenn sie genügend Mieter haben. Wann dies der Fall sein wird, ist unklar. Ähnliches gilt für die Ateliers und Proberäume im Eichhof. Wann diese der neuen Überbauung «Eichhof West» weichen müssen, ist noch offen, weil das Neubauprojekt blockiert ist.
Temporär ist auch der «Tatort» an der Bernstrasse, wo seit drei Jahren rund zehn Künstler arbeiten. «Wir haben nie Probleme, einen frei werdenden Raum wieder zu besetzen», sagt Lukas Geisseler, der den Tatort koordiniert. Eine Nachfrage nach Ateliers sei konstant da. Zumindest dieses Jahr scheint der Tatort noch betrieben werden zu können, bevor das Gebäude 2019 der grösseren Wohnüberbauung entlang der Bernstrasse weichen muss.
Führt man sich diese Situationen vor Augen, wird klar, dass in Sachen Atelierräume eher die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Michael Sutter und Catherine Huth sehen ihre Einschätzung denn auch klar als Momentaufnahme. «Es ist sehr fragil. Die Lage kann sich schlagartig ändern», sagt Huth. Dann stehen nicht nur zwei oder drei, sondern 20 und mehr Künstler auf der Strasse. Prekär wird es dann insbesondere für jene Kunstschaffende, die nicht viel bezahlen können. «In dieser Hinsicht herrscht schon heute ein Mangel. Dieser wird sich massiv verschärfen.»
Seit einigen Jahren ziehen Kunstschaffende vermehrt aus der Stadt weg und finden in den ehemaligen Industriegebäuden auf dem Viscose-Areal Emmenbrücke geeignete und bezahlbare Ateliers. Die Viscose-Stiftung bewirtschaftet mehrere Gebäude im Bereich der Merkurstrasse. Dort haben sich – neben bunten Kleinbetrieben – rund 20 Kunstschaffende eingemietet. «Wir sind sehr offen für diese Nutzung. Solange wir dieses Gelände haben, wird sich das nicht ändern», sagt Geschäftsführerin Erika Roos. Der Kulturschaffende und Konzertveranstalter Orpheo Carcano hat sein Atelier schon länger an der Merkurstrasse. «Hier ist ein schön durchmischtes Quartier mit Kleinbetrieben, Grafikateliers, Handwerkern und Kunstschaffenden entstanden.» Persönlich hat er keine Mühe, nach Emmenbrücke zu pendeln. Trotzdem versteht er den Anspruch, dass man sich nicht aus der Stadt verdrängen lassen will. «Es braucht auch im Zentrum solche Räume.» Deswegen engagiert sich Carcano auch in der IG Industriestrasse (siehe Kasten).
Anna Margrit Annen hat seit kurzem in der ehemaligen Pförtneranlage der Viscosuisse ein Atelier beziehen können. Um die Routine zu durchbrechen, entschied sich die erfahrene Künstlerin vor ein paar Jahren, das fixe Atelier aufzugeben und nomadisch zu arbeiten. «Im letzten Winter habe ich aber so gefroren, dass ich nun wieder einen festen Platz wollte.» An der Merkurstrasse ist sie glücklich, die Umgebung und die Nähe der Hochschule Luzern – Design & Kunst sei inspirierend. Annen hat eine Budgetlimite von 500 Franken. Sie weiss: «Das ist schon relativ hoch, gerade für junge Kunstschaffende. In der Stadt findet man für diesen Betrag kein Atelier.»
Auch in der unmittelbar benachbarten Viscosistadt haben inzwischen rund ein Dutzend Kunstschaffende Räume bezogen. Nach der ersten Euphorie über die neue Kreativ- und Kunstmeile fällt heute die Diagnose nüchterner aus. Die Rahmenbedingungen für die Nutzung von einstmals leeren Etagen haben sich geändert. «Wir sind inzwischen über das Stadium Zwischennutzung hinaus», sagt Elmar Ernst vom Netzwerk Viscosistadt.
Neue Interessenten und andere Preiskategorien rücken in den Vordergrund. Es gibt zunehmend Betriebe oder Mieter, die 180 und mehr Franken pro Quadratmeter bezahlen. Von daher macht die Viscosistadt nicht mehr gross Werbung für Künstler-Ateliers. Es gebe nur noch beschränkt Möglichkeiten, auch seien nicht alle Räume geeignet, sagt Ernst. Vor allem gilt: «Wir können nicht einfach nur preisgünstige Ateliers zur Verfügung stellen, es braucht auch eine gewisse Rendite.»