Ein Privatfahrer setzte sich mit dem Schmuck seines Chefs ab, nachdem er ihn bei einem Juwelier abgeholt hatte. Bei dem betroffenen Geschäft soll deswegen einem Mitarbeiter gekündigt worden sein. Nun könnte es zu einem Prozess kommen.
Lena Berger
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«Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Diese Redewendung haben sich die Mitarbeiter des Luzerner Juweliergeschäfts Gübelin hinter die Ohren geschrieben. Dennoch kam es kürzlich zu einem unangenehmen Malheur, bei dem sich Folgendes zutrug:
Ein Kunde wendete sich an die Filiale in Lugano, weil er vorhatte, den Wert seines Familienschmucks schätzen zu lassen. Er brachte die guten Stücke in Begleitung seines Fahrers ins Juweliergeschäft, wo man sie zusammen mit einem Mitarbeiter in Augenschein nahm. Vertiefte Untersuchungen werden bei Gübelin allerdings von den Experten in Luzern vorgenommen. Der Kunde überliess seinen Schmuck daher zwecks einer Offertenerstellung dem Juweliergeschäft und erhielt dafür eine Quittung.
Ein anderer Mitarbeiter, ein erfahrener Kundenberater, schickte die edlen Stücke an den Hauptsitz. Die veranschlagten Kosten für die Schätzung lagen jedoch über den Vorstellungen des Kunden. Daher wurde der Schmuck zurück nach Lugano verfrachtet. Der Chauffeur des Kunden nahm ihn dort entgegen, nachdem er dem ersten Mitarbeiter die Quittung vorgelegt hatte.
Wie viel der Schmuck wert ist, blieb offen. Nach Einschätzung des Fahrers war es aber offenbar genug, um mit dem Chef zu brechen – und sich damit aus dem Staub zu machen. Er verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Bei Gübelin sind die Sicherheitsvorkehrungen hoch. Eigentlich hätte der Schmuck nur an den Kunden ausgehändigt werden dürfen – oder an eine Drittperson, die entsprechend bevollmächtigt ist. Weil der Mitarbeiter den Fahrer allerdings von seinem ersten Besuch her wiedererkannte, wurde er nicht misstrauisch – und verpasste es, die entsprechende Vollmacht einzufordern.
Gemäss dem Kundenberater der den Schmuck verschickte, hatte der Vorfall nur für ihn weitgehende Konsequenzen. «Man machte mich für das Verschwinden des Schmucks verantwortlich, obwohl ich es gar nicht war, der ihn ausgehändigt hatte», sagt er. «Ich erhielt eine Verwarnung. Im November legte man mir dann eine Kündigungsvereinbarung vor. Man liess mir die Wahl, entweder selber zu kündigen – oder im Januar entlassen zu werden.»
Nachdem er die Frist habe verstreichen lassen, habe man ihm die Kündigung geschickt – ausgerechnet, als er wegen einer Operation im Spital gelegen habe. «Diese war aufgrund der Sperrfrist während einer Krankheit nichtig», so der 50-Jährige. Wenige Tage später sei er dann fristlos entlassen worden. Eine fristlose Kündigung kann auch während der Sperrfristen wegen Krankheit, Unfall oder Schwangerschaft ausgesprochen werden – sofern schwerwiegende Gründe vorliegen. Konkret wurde dem Mann vorgeworfen, er habe Mitarbeiter belästigt, interne Dokumente weitergeleitet und trotz Krankheit an einem Kurs teilgenommen. «Da ist nichts dran. Man wollte mich loswerden, weil ich als älterer Mitarbeiter zu teuer geworden war», sagt der Betroffene.
Kurz darauf habe ihm die Firma Gübelin angeboten, die Entlassung zurückzuziehen, wenn er eine Vereinbarung unterschreibe. Diese hätte ihn unter anderem verpflichten sollen, über die internen Abläufe Stillschweigen zu bewahren, vertrauliche Unterlagen zu vernichten und dem Ansehen der Firma nicht zu schaden. «Wenn ich dagegen verstossen hätte, hätte ich 10 000 Franken Busse zahlen müssen. Deshalb habe ich nicht unterschrieben.»
Fragt man bei der Firma Gübelin nach, klingt die Sache anders. «Die Anschuldigung stimmt nicht. Der Mitarbeiter wurde nicht wegen des erwähnten Vorfalls entlassen – es gab zahlreiche andere Gründe», betont Gübelin-Sprecherin Anne Gorgerat. Über die internen Details gebe man keine Auskunft, wie das bei laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen üblich sei. «Es ist immer bedauerlich, wenn man sich von Mitarbeitern trennen muss, weil das Vertrauen missbraucht wurde – aber das kommt in der Privatwirtschaft vor, nicht nur bei Gübelin.»
Der ehemalige Mitarbeiter fordert von seinem Arbeitgeber nun mehr als 15 000 Franken. Er hat ein Schlichtungsverfahren eingeleitet. Es könnte also bald ein Gericht entscheiden müssen, wer vorliegend Recht hat.