Startseite
Zentralschweiz
Luzern
Die Zentral- und Hochschulbibliothek zeigt nächste Woche erstmals ihre wertvollsten Schätze. Peter Kamber, Leiter der Sondersammlung, gibt Einblick in eine fast vergessene Zeit.
Lena Berger
Peter Kamber (63) hat eine Leidenschaft. Eine Leidenschaft für alte Bücher. Das sieht, wer den Leiter der Sondersammlung der Zentral- und Hochschulbibliothek (ZHB) dabei beobachtet, wie vorsichtig er Pergamentseiten durchblättert. «Die Bücher sind das, was von den Menschen zurückbleibt, sie sind materiell gewordene Geschichte.» Das ist einer der schönen Sätze, die Kamber sagt, wenn er über die Schätze spricht, die in den Tiefen der Bibliothek gelagert sind.
Hinter der Ausleihe führt eine enge Wendeltreppe hinunter ins Tiefgeschoss, das Bibliotheksbesucher normalerweise nicht zu Gesicht bekommen. Die Tresortür, hinter der die wertvollsten Schriften aufbewahrt werden, ist mit einen Schlüssel und einem Zahlenschloss gesichert. Um zu den Regalen zu gelangen, müssen diese über einen weiteren Mechanismus geöffnet werden. Es ist eng.
Ganz hinten aus dem Regal holt Kamber das bekannteste Werk der Sammlung hervor. Die zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfasste Diebold-Schilling-Chronik. Kunstvoll illustriert erzählt das Buch die Volksgeschichten der Luzerner. Nicht nur die brutale Schlacht bei Sempach hat Schilling auf seinen Bilder festgehalten. Auch von schaurigen Judenverbrennungen berichtet er. Und er erzählt unter anderem die Legende um einen Luzerner Söldner, der seine Frau umgebracht hat und irrtümlich glaubte, ungeschoren davonzukommen. Doch die Tote überführte ihn des Mordes, weil sie zu bluten begann, als er zum Friedhof kam – ein Gottesbeweis, wie man damals glaubte.
So gruselig diese Erzählungen heute klingen, Peter Kambers Augen leuchten, wenn er sie erzählt. «Schilling war kein neutraler Berichterstatter. Die Chronik wurde deshalb seit langem nicht mehr als verlässliche Geschichtsquelle angesehen. Sie galt lediglich als schönes Bilderbuch.» Die Illustrationen böten aber einen einzigartigen Einblick in die damalige Lebenswelt, wie man heute erkannt habe. «Sie können uns viel erzählen, wenn man sie lesen kann», so Kamber.
Im letzten Jahr hat sich Peter Kamber intensiv mit den Handschriften befasst, die in der ZHB aufbewahrt werden. Der Grund ist die Ausstellung, die die grösste Bibliothek der Zentralschweiz nächste Woche eröffnen wird. Erstmals sind alle illustrierten Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts aus Mitteleuropa zu sehen. «Für mich ist das etwas ganz Besonderes. Endlich können wir unseren Besuchern zeigen, warum es sich lohnt, diese Werke zu erhalten», so Kamber.
In den letzten Jahrzehnten war das nicht möglich, weil der ZHB entsprechende Ausstellungsräume fehlten. Nun arbeiten drei Studentinnen der Luzerner Hochschule Technik und Architektur mit Hochdruck daran, im Eingangsbereich einen abgedunkelten Raum im Raum zu schaffen. Im dämmrigen Licht innerhalb des Kabinetts werden 17 wertvolle Unikate durch Glasvitrinen zu sehen sein.
Darunter ist auch das eindrückliche Zisterzienser-Graduale aus Prag, ein Gesangsbuch. Laut Kamber ist es die kunstvollste Handschrift der Sammlung. Der lederne Buchband ist mit Metall beschlagen. Um es zu schützen, wird das Buch – obschon innerhalb des Tresors – normalerweise in einem speziellen Koffer aufbewahrt. Auf diese Weise ist es schon um die halbe Welt gereist – vor rund zehn Jahren wurde es in New York ausgestellt. Jede einzelne Seite ist ein Kunstwerk für sich. Eine allerdings fehlt, sie wurde wohl bei einem Büchersturm herausgerissen, wie im Zuge der Reformation viele geistliche Werke zerstört wurden. «Ein Buch hat so viel mehr zu erzählen, als das, was drin steht. Das ist, was mich fasziniert», sagt der 63-jährige Peter Kamber. «Die Lebensgeschichte des Autors, die Arbeitsbedingungen des Buchbinders, die Familienhistorie der Besitzer, der in den Bildern eingefangene Alltag – das alles steckt in den Büchern.» Und das sei der Grund, weshalb es die Bibliotheken eben immer noch brauche. «Nicht jede in einem Buch verborgene Geschichte lässt sich digitalisieren.» Denn manchmal sind diese tatsächlich versteckt. Zum Beispiel wurden früher zur Verstärkung der alten Buchbände Pergamentstreifen eingesetzt. «Es ist uns schon gelungen, daraus nach stundenlangem Puzzlen eine Heiratsurkunde zu rekonstruieren.» Die Arbeit eines Handschriftenspezialisten gleicht dann derjenigen eines Detektivs. «Auf solche Indizien zu stossen und immer weiter zu recherchieren. Das kann süchtig machen. Manchmal kann ich gar nicht mehr aufhören.» In solchen Momenten wird spürbar: Peter Kamber ist seine Arbeit auch nach 34 Jahren in der ZHB noch nicht verleidet. «Es gibt in diesen Büchern so vieles zu entdecken. Und die Erfahrung etwas so Einzigartiges in der Hand zu halten, ein echtes Unikat – das hat man nur bei diesen Büchern.»
Die ZHB Luzern bewahrt 2700 Handschriften auf, womit die Sammlung zu den zehn grössten der Schweiz gehört. Am nächsten Dienstag öffnet sie ihre Schatzkammer und stellt insgesamt 17 Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts in einem speziell für diesen Anlass entworfenen Kabinett aus. Die Vernissage ist um 19 Uhr, danach ist die Ausstellung bis zum 2. April frei zugänglich – immer wenn die Bibliothek geöffnet ist. Der Katalog zur Ausstellung ist bei der ZHB Luzern für 20 Franken erhältlich.
Sie kennen die Schätze der ZHB? Testen Sie Ihr Wissen hier »