Vor 90 Jahren wandelten die Luzerner in einer Halle auf Eis. Sie war eigentlich als Flughalle entstanden, um den Tourismus anzukurbeln.
Die historische Postkarte stammt aus der Zeit zwischen 1919 und 1923. Damals vergnügten sich zahlreiche Luzerner in der Luftschiffhalle Tribschen auf einer grossen Eisfläche. Die Frauen mit langen Röcken, die Männer mit Hüten – und die meisten ohne Schlittschuhe, sondern lediglich in ihrem Winterschuhwerk. Sportausrüstungen waren zu dieser Zeit nicht verbreitet und für Durchschnittsverdiener ohnehin unerschwinglich. Erst recht mit Blick auf die schwierige Zeit damals: Mit dem Ersten Weltkrieg kam das Tourismusgeschäft in der Innerschweiz fast vollständig zum Erliegen. Die Adligen und Reichen Europas waren entweder von Revolutionen weggefegt worden, oder es fehlte ihnen am nötigen Kleingeld für üppige Ferienaufenthalte in den Voralpen.
Noch vor dem Kriegsausbruch 1914 war das Reisebusiness allerdings die Haupteinnahmequelle Luzerns. Dieser Umstand gab den Anstoss, 1910 im sumpfigen Tribschenmoos am Fusse des Wartegghügels eine Luftschiffhalle mit stattlichen 96 Metern Länge und 46 Metern Breite zu bauen. Schliesslich sollte sie Platz für zwei französische Versionen eines Zeppelin-Luftschiffs bieten. Es handelte sich um den ersten Hafen für solche Fluggeräte in der Schweiz. Geliefert bekam die Luftschiffhallen-Betreiberin Genossenschaft Aero Luzern freilich bloss eines der mit Wasserstoffgas angetriebenen Luftschiffe. Der Verkehrshaus-Mitbegründer und Aviatikspezialist Alfred Waldis beschrieb vor ein paar Jahren im «Rontaler Brattig», wie am 24. Juli 1910 das erste Luftschiff «Ville de Lucerne» für 20 Minuten in die Lüfte entschwebte. Beobachtet von zahlreichen Zuschauern und begleitet von den Klängen der Nationalhymne. Die «Neue Zürcher Zeitung» schilderte die Szene dramatisch: «Der Motor donnerte in Vollakkorden los, der Propeller begann seinen rasenden Tanz, und siegreich stieg das Luftschiff empor.»
Hinter der Genossenschaft Aero Luzern standen mehrere Luzerner Hoteliers. Sie ermöglichten mit der «fliegenden Zigarre» ihren Gästen ein besonderes Erlebnis. Allerdings zu stolzen Preisen für diese Zeit: 100 Franken für einen Flug über die Stadt und Umgebung, das Doppelte kostete eine Schwebefahrt zu den Berggipfeln von Rigi und Pilatus. Doch das Fluggeschäft kam nie richtig in Gang. Mal hob das Luftschiff nicht ab, weil die Hülle undicht war. Mal blieb es am Boden, weil niemand an Bord wollte. Selbst als die Genossenschaft die Preise halbierte, hielt sich das Interesse weiterhin in Grenzen. Die Betreiber fuhren selbst dann noch Verluste ein, als sie die teuren Luftschiffe durch günstigere Doppeldecker-Flugzeuge ersetzten. Auch dem damals jungen Fussballclub Luzern brachte die Halle kein Glück. Er durfte sie als Umkleideräume nutzen. Allerdings setzte der Verein seine ersten Schulden von 5000 Franken buchstäblich in den Sumpf, als er erfolglos versuchte, den Platz daneben zu einem Fussballfeld aufzupäppeln.
Als der Erste Weltkrieg Europa ins Elend stürzte, war Schluss mit der Fliegerei in Luzern. Das Militärdepartement nutzte die Halle bis 1919 zur Lagerung von riesigen Strohmengen. Danach folgte die erste Eisbahn-Episode in Tribschen. Das heutige Eiszentrum wurde, nicht weit von der Luftschiffhalle entfernt, erst später gebaut. Diese wechselte 1921 für 10 000 Franken den Besitzer und wurde zwei Jahre später abgerissen.
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