Die beiden Journalisten Urs-Ueli Schorno (links) und Raphael Zemp kurz vor dem Start zur Tour de Lucerne. (Bild: Jakob Ineichen (Luzern, 17.07.2018))

Die beiden Journalisten Urs-Ueli Schorno (links) und Raphael Zemp kurz vor dem Start zur Tour de Lucerne. (Bild: Jakob Ineichen (Luzern, 17.07.2018))

Luzern erfahren auf die harte Tour

Ein dichtes Netz von offiziellen Velorouten spannt sich über den Kanton Luzern. Daraus lassen sich ganz einfach Strecken zusammen stellen. Sie abzufahren, ist dann weitaus anstrengender – wie zwei Journalisten unserer Zeitung am eigenen Leib erfahren haben.

Raphael Zemp
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Am Anfang dieses Projekt standen Ferien, genauer eine Veloreise von Luzern ans Meer: 700 Kilometer im Sattel, viele Liter Schweiss und das eine oder andere Weizenbier, um den Wasserhaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen (den Tag über selbstverständlich ohne Alkohol). Es dauerte keine Woche, da hatten Arbeitskollege Schorno und ich die Alpen ebenso bezwungen wie die Po-Ebene, fuhren siegreich in Trieste ein, der italienischen Metropole an der Adria. Mit schweren Beinen, aber auch vielen Eindrücken und der Gewissheit, es allen gezeigt zu haben.

Besonders in Erinnerung ist das Südtirol geblieben. Kilometer um Kilometer haben wir in der nördlichsten Region Italiens abgespult, vom Brenner bis zu den Dolomitenzinnen, über saftige Alpwiesen, entlang verspielter Flussläufe – fast ausschliesslich auf separaten, durchgängig asphaltierten und gut ausgeschilderten Velowegen. Fantastisch! Rennradler in ultraengen Lycra-Shirts und Shorts, E-Bike-Rentner in Leuchtwesten und Tandempärchen. Nirgends sonst waren so viele Velofahrer unterwegs wie zwischen Sterzing und Toblach. Eine Touristengruppe, die man im Südtirol bewusst fördert (siehe Interview).

710 Kilometer Velorouten – alleine im Kanton Luzern

Wie steht es denn eigentlich um das Velorouten-Netz in der Heimat, fragte ich mich reflexartig – die (journalistische) Neugierde kennt keine Ferien. Zwar habe ich mich schon oft in der Freizeit auf Mountainbike, Rennrad oder Stahltourer geschwungen und auf meinen Streifzügen etliche Routenschilder wahrgenommen – zumindest in den Augenwinkeln. Konsequent gefolgt bin ich diesen Erlebnisversprechen in Weinrot allerdings nie. Das sollte sich ändern; noch auf der Zugheimfahrt aus Italien wurden erste Pläne geschmiedet.

In den letzten Dekaden ist in der Schweiz ein dichtes Netz an Velorouten gewachsen (siehe unten). Das verdeutlicht auch ein Blick auf die Karte von veloland.ch. 11 000 Kilometer misst es inzwischen, 710 davon führen über Luzerner Boden. Nicht weniger als drei nationale, acht regionale und zwei lokale Velorouten durchmessen sämtliche Regionen des Kantons; vom Hinterland, übers Entlebuch bis hin zur Region Sempachersee und Seetal. Eingebunden ins Routennetz ist auch die Stadt Luzern und deren Agglomeration.

Ein «genügend dichtes» Netz, findet Bruno Hirschi, Projektleiter von Schweiz Mobil. Statt neue Routen auszuschildern, setzte man daher auf eine Qualitätsoffensive bei den bestehenden. Will heissen: Gefahrenstellen beseitigen, unattraktive Abschnitte mit gezielten baulichen Massnahmen aufwerten, Veloinfrastruktur verbessern. Doch schon jetzt sei der Kanton Luzern ein «attraktives Tourengebiet», findet auch Marcel Koller von der in Luzern ansässigen Firma Baumeler Reisen, die Veloreisen in der ganzen Welt anbietet. Es gäbe gute Velowege und schöne Landstrassen, die Routen seien sehr gut beschildert und auch touristische Angebote würden nicht fehlen. Auch das dürften Gründe sein, warum der Velotourismus stetig ansteigt – selbst wenn konkrete Daten noch fehlen, wie Sibylle Gerardi, Mediensprecherin von Luzern Tourismus zugibt.

Die Meinungen der Experten in aller Ehre; wir beschlossen, selber in die Pedalen zu treten, die Luzerner Velorouten mit den eigenen Oberschenkeln kennen zu lernen. Das Ziel: Den Kanton Luzern so gut als möglich auf den offiziellen Veloland-Routen zu umrunden. Weil so viele verschiedene Velostrecken den Kanton durchziehen, war dies gar nicht so schwierig. Einzig zwischen Triengen und Dagmersellen fehlt eine direkte Verbindung. Und um die Seegemeinden Greppen, Weggis und Vitznau zu berücksichtigen, beschlossen wir, gleich die ganze Rigi zu umfahren.

Entstanden ist so die Tour de Lucerne: Ein über 360 Kilometer langer Rundkurs über geschmeidige Asphaltbeläge, ausgewaschene Landwege und ruppige Schotterpisten, der sich von 401 Metern an der Reuss bei Oberrüti (AG) bis auf 1317 Meter im tiefsten Entlebuch hochwindet und dazwischen mit unzähligen Aufstiegen und Abfahrten aufwartet. Auch ohne namhaften Pass ergibt das fast 7500 Höhenmeter. Diese Strecke sind wir abgefahren. Im Gegenuhrzeigersinn, mit Start und Ziel in Luzern. In drei langen, schweisstreibenden und oberschenkelverhärtenden Etappen – ohne Doping und Elektromotor. Dabei haben wir einige allgemeine Beobachtungen zum Routennetz gemacht.

Schilder und Hügel zu Hauf, Velowege teils Mangelware

Die Strecken sind tatsächlich gut ausgeschildert, in diesem Punkt sollten die Experten recht behalten. Weil aber Routen oft unvermittelt abbiegen, gilt es, stets die Augen offen zu halten nach kleinen Wegweisern – besonders an Kreuzungen. Wer ausschliesslich nach Gefühl fährt, landet mit grosser Wahrscheinlichkeit schon bald neben der Route. Das ist auch uns in wenigen Fällen passiert.

Viele Routen sind ausgesprochen hügelig, nicht nur die «Mittelländer Hügelroute», wo der Name Programm ist. Das beschert traumhafte Ausblicke, geht aber ordentlich in die Beine. Besonders sportlich zu und her geht es auf den Herzrouten Seetal und Napf. Warum diese als E-Bike-Touren angepriesen werden, spürt man schnell. Munter wechseln sich hier steile Rampen und stotzige Abfahrten ab, als ob die Erdanziehung für Velofahrer nicht gelten würde.

Viel Schweiss hätten wir uns wohl ersparen können, wenn wir statt der Kantonsgrenze entlang von Talböden, Seen und Flüssen geradelt wären. Andererseits gibt es gerade dort, wo die Strassen eben sind, oft viel Verkehr – und entsprechend wenig Platz für Velos. Denn anders als etwa im Südtirol bedeutet eine ausgeschilderte Route hierzulande nicht automatisch ein vom Strassenverkehr abgetrennter, separater und meist asphaltierter Weg. Eine Veloroute, das ist stellenweise nichts anderes als eine Hauptstrasse, im besseren Fall mit einem Velostreifen. Das macht viele Strecken wenig kinderfreundlich.

Trotzdem: Die vielen Velorouten bieten eine gute Gelegenheit, den Kanton eigenbeinig zu erfahren. Sie führen in wenig besiedelte und bekannte Ecken, zeigen eine Realität auf, weitab von Shoppingzentren, Trendcafés und Szenenklubs. Zur Inspiration stellen wir Ihnen in den nächsten Wochen die schönsten Abschnitte der Tour de Lucerne genauer vor. Dabei kommen nicht nur notorische Wadenstähler und Ausdauerathleten auf ihre Kosten. Versprochen.