Ein 16-Jähriger ist 2015 bei seinem allerersten Fallschirmsprung wegen eines Missverständnisses aus rund 100 Metern abgestürzt. Er überlebte schwer verletzt. Sein Fluglehrer musste sich nun vor dem Luzerner Kantonsgericht verantworten.
Es sollte ein unvergesslicher Ausflug von Klassenkameraden der Gewerbeschule werden: Einmal aus einem Flugzeug zu springen, das war ihr Traum. Sie buchten einen eintägigen Kurs, in welchem sie auf den Fallschirmsprung vorbereitet wurden. Danach ging es hoch in die Lüfte.
Die ersten beiden Lehrlinge landeten sicher. Auch beim Dritten lief zunächst alles nach Plan: Der Fallschirm öffnete sich und der 16-Jährige flog ruhig durch die Luft. Der Fallschirm des Vierten im Bunde aber, der vier Minuten später aus dem Flugzeug sprang, kam ins Schleudern – was sehr gefährlich sein kann, falls der Springer das Bewusstsein verliert.
Der Instrukteur am Boden – ein Mann mit 28 Jahren Berufserfahrung – reagierte über das Funkgerät. Er nannte den in Not Geratenen beim Namen und wies ihn an, sofort den Notfallfallschirm zu ziehen. Das tat dieser auch und rettete sich erfolgreich.
Die Funksprüche des Fluglehrers hatten aber zu einem tragischen Missverständnis geführt. Der dritte Springer nämlich, der in der Zwischenzeit von der geplanten Route abgekommen war, bezog die Anweisung auf sich und zog den Notfall-Fallschirm ebenfalls. Dies allerdings nicht in 700 Metern Höhe, wo man dies spätestens tun sollte. Ihm waren zu dem Zeitpunkt nur noch 100 Meter geblieben. Die Folge war fatal: Der eigentliche Fallschirm flog ohne den Springer weiter – und der 16-Jährige stürzte in die Tiefe, weil sich der Notfall-Fallschirm nicht schnell genug öffnete.
Er landete schwer verletzt in einem Maisfeld. Mehrere Wochen lag er im Spital, danach folgten 100 Tage Reha. Noch heute hat er mehrmals in der Woche starke Rückenschmerzen. Fussball und Skifahren – seine Hobbys – musste er aufgeben. An den Unfall selber hat er keinerlei Erinnerung.
Die Staatsanwaltschaft forderte vor dem Kantonsgericht Luzern, dass der Fluglehrer wegen schwerer fahrlässiger Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen und einer Busse verurteilt wird. Sie wirft dem Mann vor, dass er seine ganze Aufmerksamkeit dem einen Springer gewidmet habe – und dabei übersah, dass der andere von der geplanten Flugroute abgekommen war und ebenfalls seine Hilfe gebraucht hätte. Das spätere Unfallopfer habe darauf vertraut, in einer Notsituation per Funk Anweisungen zu bekommen. «Diese blieben aus, als er in die falsche Richtung abbog. Deshalb hat er den Spruch, der danach folgte, auf sich bezogen», so der Staatsanwalt
Der Verteidiger dagegen argumentierte, dass diese Verkettung unglücklicher Umstände für den Fluglehrer nicht vorhersehbar gewesen sei – und er deshalb freigesprochen werden müsse. Sein Mandant habe das spätere Unfallopfer nicht aus den Augen gelassen. Er habe sich prioritär um denjenigen gekümmert, der in akuten Schwierigkeiten steckte. Dies im Wissen, dass noch genug Zeit sei, den anderen danach wieder auf Kurs zu bringen. «Diese Möglichkeit wurde ihm aber genommen, als der Flugschüler völlig unerwartet den Notfall-Fallschirm zog», so der Verteidiger. Ein Privatgutachten stützt dies. Der Experte – von der Verteidigung als Koryphäe in seinem Gebiet präsentiert – bezeichnete den Unfallhergang als «Albtraum für jeden Fluglehrer».
Der Anwalt des Opfers zog das Privatgutachten wegen Befangenheit in Zweifel und forderte eine Genugtuung für seinen inzwischen 19-jährigen Mandanten, der seine Lehre nun erst mit einem Jahr Verzögerung habe abschliessen können. Der Beschuldigte selber sagte in seinem letzten Wort, dass ihm und seiner Flugschule der Unfall bis heute sehr nahe gehe – und er dem Opfer weiterhin gute Genesung wünsche.
Erstinstanzlich war der Mann vom Bezirksgericht Willisau freigesprochen worden. Das Urteil des Kantonsgericht wird den Parteien in den nächsten Wochen schriftlich mitgeteilt.