LUZERN: Glaube gibt Halt in der Fremde

Eritreer suchen vermehrt den Kontakt zu den hiesigen Christen. Dabei begegnet den Einheimischen mitunter aber auch die ganze Wucht der Diktatur.

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Letzte Woche fand in der Franziskanerkirche Luzern erstmals ein Gottestdienst der katholischen Kirchgemeinde und einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde statt. (Bild Dominique Huwyler)

Letzte Woche fand in der Franziskanerkirche Luzern erstmals ein Gottestdienst der katholischen Kirchgemeinde und einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde statt. (Bild Dominique Huwyler)

Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
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Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)
Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)

Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. (Bild: Dominique Huwyler)

Die Katholische Kirche Luzern feiert heute den Tag der Völker. Vielerorts finden gemeinsame Gottesdienste mit Migranten aus Portugal, Tschechien oder Sri Lanka statt. In der Luzerner Franziskanerkirche, die den Tag bereits vorfeierte, kam es vor zwei Wochen zu einer bemerkenswerten Premiere: Zum ersten Mal feierte eine Pfarrei der Zentralschweiz einen gemeinsamen Gottesdienst mit einer eritreisch-orthodoxen Exilgemeinde. Mit ihren weissen Gewändern, mit Tänzen und Trommelklängen führten die Eritreer die Einheimischen in eine fremde Glaubenswelt ein.

Hunderte von Gläubigen

Die Eritreer sind mittlerweile die grösste Gruppe aussereuropäischer Migranten in Luzern. Waren es 2005 noch 50 Personen, so sind es heute schon fast 2000, die hier leben. Durch Tradition, Verfolgung und Fluchterfahrung sind sie meist sehr gläubig, ihre Exilgemeinden sind religiöse und soziale Brennpunkte. In der Region Luzern geniessen eritreisch-orthodoxe Christen Gastrecht in den Pfarreien St. Karl Luzern, Kriens (Bruder Klaus) und Emmenbrücke (Bruder Klaus), daneben gibt es katholische und freikirchliche Exilgemeinden. «Wir sind sehr dankbar, dass wir hier zu Gast sein dürfen», sagt Priester Muluebrhan Temesghen, der in St. Karl jeden Samstag Gottesdienste mit um die 100 und bisweilen Nachtgottesdienste mit bis zu 400 Gläubigen feiert. In Emmenbrücke und Kriens bewegen sich die Zahlen im ähnlichen Rahmen.

Die Pfarreileiterin von St. Karl, Silvia Huber, spricht von «vorwiegend positiven» Erfahrungen mit den Eritreern. Eitel Sonnenschein herrscht aber nicht überall: In Kriens etwa handelten sich die Eritreer selbst unter Flüchtlings-Engagierten den Ruf ein, sich abzuschotten. Sakristane beklagten sich darüber, dass vereinbarte Zeiten nicht eingehalten wurden. Und Gemeindeleiterin Regina Osterwalder registrierte, dass für die Gruppe eine Frau als Verhandlungspartnerin unüblich ist. «Auch im zweiten Jahr haben sie wieder direkt mit dem Sakristan Kontakt aufgenommen, obwohl sie wussten, dass ich als Pfarreileiterin die Verträge für die Benutzung der Kapelle und Kirche mache.» Erfahrungen wie diese zeigen: Für eine erfolgreiche Integration ist mehr als nur ein gemeinsamer Gottesdienst nötig.

Arm des Regimes reicht bis Luzern

Tatsache ist: Die Integration der Eritreer verläuft schleppend, es fehlt an Sprachkenntnissen, nur 31 Prozent der vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge sind erwerbstätig. Die christlichen Gemeinschaften vermitteln in dieser schwierigen Situation Halt. Eine heile Welt sind sie aber nicht – im Gegenteil: In den entzweiten eritreischen Exilgemeinden der Region spiegelt sich der verheerende Konflikt ihrer Heimat.

Rückblende: Ursprünglich war die Kirche Bruder Klaus in Emmenbrücke das gemeinsame Zuhause der eritreisch-orthodoxen Diaspora. «Es hatte eigentlich alles gut angefangen», erzählt Pfarreileiter Hans-Peter Vonarburg. Doch 2010 brach der heimatliche Unfriede über die Gemeinde herein: Ein Vertreter der eritreischen Botschaft war angereist, um die Gemeinde zur Loyalität gegenüber dem Militärregime zu verpflichten. Kifleyesus Ghebrewiot, ein Kirchenrat der Gemeinde aus der St.-Karl-Kirche, berichtet aufgeregt: «Der Botschafter verlangte, dass wir der Regierung Steuern zahlen, dass wir künftig darauf verzichten, verstorbene Flüchtlinge zu würdigen, und dass wir den illegal gewählten Patriarchen Abune Dioskoros anerkennen.»

Insbesondere die letzte Forderung erhitzte die Gemüter: Abune Dioskoros gilt als Mann des Regimes (siehe Kasten). Entrüstet lehnte der Kirchenrat die Loyalitätsverpflichtung ab. Doch es gab Gemeindemitglieder, die mit dem neuen Patriarchen und dem Regime kooperieren wollten. «Einige Eritreer, die schon länger in der Schweiz sind, verklären das heutige Regime», sagt Nicola Neider, Bereichsleiterin Migration der Katholischen Kirche Stadt Luzern. «Sie können sich nicht vorstellen, dass die ehemaligen Befreier zu Unterdrückern geworden sind.» Eritrea hatte sich 1991 nach dreissigjährigem Unabhängigkeitskrieg von Äthiopien abgespaltet.

Schlägereien in Emmenbrücke

Rund um Weihnachten 2010 eskalierte der Konflikt: In Emmenbrücke fanden Gottesdienste der einen Gruppe statt, die von der anderen sabotiert wurden. «Es kam zu Bedrohungen, Schlägereien und einmal sogar zu einem Polizeieinsatz», sagt Pfarreileiter Vonarburg. «Dies konnten wir in unserem Wohnquartier nicht mehr tolerieren.» Am 15. Februar 2011 bekamen die Eritreer in Emmenbrücke Hausverbot. Die Gemeinde spaltete sich, Strafanzeigen wurden eingereicht, Anwälte eingeschaltet. Erst unter Vermittlung von Nicola Neider – bei einem Erfolg der Strafanzeige hätten Asylbewerber mit Abschiebung rechnen müssen – wurde die Klage wieder zurückgezogen.

«Friedliche Koexistenz»

2011 fand die regimekritische Gruppe in St. Karl ein neues Zuhause. Die Regimetreuen kehrten 2013 nach Emmenbrücke zurück – Türöffner war ein bischöfliches Schreiben, auf dem auch der Name von Dioskoros figuriert –, seit 2014 feiern sie zusätzlich in Kriens Gottesdienste. Knapp fünf Jahre nach dem Knall spricht Nicola Neider von einer «friedlichen Koexistenz» der beiden Gruppen. Gelöst ist der Konflikt aber nicht, viele Fragen bleiben offen. Etwa, warum sich Teile der Exil-Eritreer loyal zum Regime verhalten, das für den Exodus der meisten Landsleute verantwortlich ist. Merih Yemane, ein ehemaliger Kirchenrat der regimetreuen Gemeinde, weicht aus: «Ich halte Abstand zur Politik. Für mich zählen nur die Religion und meine Arbeit», so der Automechaniker aus Emmenbrücke. Vom ganzen Konflikt mag man in seiner Gemeinde lieber nichts mehr hören. Er kenne zwar Leute, die dem Regime eine Steuer entrichten würden, er selber tue das aber selbstverständlich nicht.

Bleibt noch die Frage, ob sich die katholische Kirche nicht mehr vermittelnd einmischen könnte. Neider verneint: «Wir können diesen komplexen Konflikt hier nicht lösen. Wir können nur versuchen, ihn zu verstehen. Und uns allen Gruppen zur Verfügung stellen, wenn wir gefragt werden.»

Dass auch im Schatten des Konfliktes gute Begegnungen möglich sind, zeigte der Tag Gottesdienst am 25. Oktober in der Franziskanerkirche. Danach assen und lachten Eritreer und Schweizer in seltener Unbeschwertheit zusammen, Selfies und Gruppenfotos wurden geschossen. Dass sie künftig noch mehr auf die einheimischen Christen und die Öffentlichkeit zugehen wollen, beteuern beide eritreisch-orthodoxen Gemeinschaften. Dies dürfte ihrer Integration und ihrem Image dienlich sein – und letztlich auch die Konfliktlösung fördern.

Remo Wiegand