Ein Deutscher hat in seiner Heimat mehr als 100 Drogendelikte sowie mehrere schwere Gewaltdelikte begangen. Das ist eigentlich ein Grund, ihm keine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz zu erteilen, wäre da nicht das Freizügigkeitsabkommen.
Lena Berger
lena.berger@luzernerzeitung.ch
Wenn jemand seine Strafe verbüsst hat, soll er «von vorne» anfangen und sich bewähren können. Auf diesem Grundsatz basiert unser Rechtssystem. Und er gilt auch für Menschen, welche diese Chance zuvor mehrfach nicht genutzt haben.
In dieser Geschichte geht es um einen Mann, der einen grossen Teil seines Lebens hinter deutschen Gefängnismauern verbracht hat – und jetzt in der Schweiz bleiben will. Sein Vorstrafenregister liest sich wie die Biografie eines Mafiosos. Er wurde 2002 wegen Betäubungsmitteldelikten in 103 Fällen schuldig gesprochen. Ein Jahr später hat er sich des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung und des Tragens einer halb automatischen Schusswaffe schuldig gemacht. Und das war erst der Anfang: Insgesamt wurde der Deutsche 16-mal verurteilt – viermal gefährdete er dabei Leib und Leben anderer Menschen. Die letzte Verurteilung liegt knapp zwei Jahre zurück.
Wer kriminell ist, muss damit rechnen, nicht in der Schweiz leben zu dürfen. Wenn ein Ausländer je zu einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden ist, können die Behörden eine Aufenthaltsbewilligung nämlich widerrufen oder eine Verlängerung verweigern. Das hat das Amt für Migration im vorliegenden Fall auch getan. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement hat den Entscheid zunächst bestätigt. Vor dem Kantonsgericht aber hat sich das Blatt nun gewendet.
Wäre der Mann kein Europäer, würden die Gefängnisstrafen als Grund genügen, um ihm keine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. So aber liegt der Knackpunkt im Freizügigkeitsabkommen mit der EU. In diesem steht, dass das Aufenthaltsrecht nur beschränkt werden darf, wenn eine «ausreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung» vorliegt. Nun könnte man meinen, dass eine solche selbstverständlich zu bejahen ist, wenn ein Mensch in der Vergangenheit mehrfach derart schwere Gewaltdelikte begangen hat. Zumal er sich ja auch durch Gefängnisstrafen nie davon abhalten liess.
Das Kantonsgericht aber sieht das anders. Und zwar, weil der Mann in den letzten zwei Jahren intensiv an sich gearbeitet habe. Der Deutsche wurde psychologisch abgeklärt, als im Juni seine Fahreignung untersucht wurde. Dabei war auch seine Gewaltbereitschaft ein Thema. Gemäss dem Gutachten gab es mehrere Gründe, weshalb der Mann immer wieder gegen die Regeln verstiess. Seiner fehlenden Frustrationstoleranz, der egozentrischen Grundhaltung sowie dem missbräuchlichem Alkohol- und Drogenkonsum dürften dabei Schlüsselrollen zugekommen sein. Im Rahmen von 28 Therapiesitzungen habe er sich aber gewandelt.
Der Mann sei heute selbstkritischer und kritikfähiger. Er habe den Sinn der Einhaltung der Gesetze erkannt. Er wolle mit seinem Verhalten niemanden verletzen, was ihm früher egal gewesen sei. Zudem nehme er seit mehr als zwei Jahren keine Drogen mehr und habe seinen Alkoholkonsum massiv gedrosselt. Als Familienvater mit einem festen Job sei seine Situation derart stabilisiert, dass ihm eine positive Prognose gestellt werden könne.
Das hat die Kantonsrichter überzeugt, ihm eine Chance zu geben. «Auch wenn die positive Entwicklung erst wenige Monate andauert, scheint sie dennoch so grundlegend zu sein, dass sie eine Neueinschätzung rechtfertigt», heisst es in dem Urteil. Das Amt für Migration muss daher eine Aufenthaltsbewilligung erteilen.
Die Richter liessen es sich dennoch nicht nehmen, noch einige mahnende Worte an den Mann zu richten. Im Urteil wird betont, dass von ihm künftig die «volle Respektierung der hiesigen Rechtsordnung» verlangt wird. Sollte er sich nicht daran halten, werde dies den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung nach sich ziehen.
Das Kantonsgericht hat entschieden, dass die Aufenthaltsbewilligung eines Syrers verlängert wird. Dies obwohl sich der Mann bei seiner Einreise 2004 fälschlicherweise als Kurde ausgab. Er war daher als Asylsuchender vorläufig aufgenommen worden. 2010 beantragte er unter seiner wahren Identität eine Aufenthaltsbewilligung. Da er aber all die Jahre von der Sozialhilfe gelebt hatte, wurde ihm diese verwehrt. Er heiratete dann eine Schweizerin, von der er kurze Zeit später wieder geschieden wurde. Das Amt für Migration hatte daher eine Wegweisung verfügt. Der Mann bemühe sich nicht um einen Job und bleibe vom Staat abhängig. Das Kantonsgericht bestätigt zwar, dass der Mann die Bedingungen für eine Aufenthaltsbewilligung nicht erfüllt. Aufgrund der prekären Lage in Syrien sei eine Rückkehr aktuell aber nicht möglich, es handle sich um einen Härtefall. (ber)