Die CVP-Leitung ist unter Druck: Ihr fehlen weiter drei Nationalratskandidaten – und es hagelt Kritik wegen der Wahlempfehlung für SP-Frau Felicitas Zopfi. Parteipräsident Pirmin Jung lässt das kalt.
Lukas Nussbaumer
Für die CVP als grösste Luzerner Partei kam die zweite Ausmarchung der Regierungsratswahlen vom Sonntag einer Niederlage gleich. Die Empfehlung der Parteileitung und der Mehrheit der Delegierten, SP-Kandidatin Felicitas Zopfi zu wählen, wurde von der Basis überhaupt nicht befolgt. Zopfi holte nur knapp 3000 Stimmen mehr als im ersten Wahlgang und verpasste den Einzug in die Regierung um mehr als 17 000 Stimmen.
Während sich CVP-Präsident Pirmin Jung auf den Standpunkt stellt, die Parteileitung stehe nach wie vor zur Konkordanz und zur Meinung, in der Regierung müsse auch eine Frau vertreten sein, rumort es hinter den Kulissen gewaltig. So sagt ein Unternehmer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will: «Nicht nur die SP, sondern vor allem die CVP ist mit der geheuchelten Konkordanz kläglich gescheitert. In dieser Partei kann man sich als Mann oder Frau der Wirtschaft sicher nicht mehr wohlfühlen.»
Pirmin Jung, fordert der Kritiker, müsse als Parteipräsident zurücktreten – «damit nicht noch mehr Schaden angerichtet wird». Jung habe die CVP entzweit, die Unternehmerseite fühle sich verraten, auch er selber: «Ich habe meinen Austritt aus der CVP gegeben und werde meine Interessen künftig in der FDP vertreten.» Der mit der CVP-Spitze unzufriedene Unternehmer hat seinen Worten nach der am 1. April beschlossenen Empfehlung der CVP für Felicitas Zopfi bereits Taten folgen lassen: Er hat mit Mitstreitern einen sechsstelligen Betrag für die Wahl von Marcel Schwerzmann und Paul Winiker gesammelt – erfolgreich, wie die überaus deutliche Wahl des parteilosen Schwerzmann und von SVP-Mann Winiker beweist.
Wenig überrascht vom Scheitern der Parteispitze ist auch Christian Ineichen, Präsident der CVP-Wahlkreispartei Entlebuch und selber Mitglied der 12-köpfigen Leitung der Kantonalpartei. Er sagt gegenüber unserer Zeitung: «Es ist nicht etwa nur der rechte CVP-Flügel, der Zopfi nicht gewählt hat. Im Gegenteil: Auch die Basis hat sich gegen den Beschluss der Delegiertenversammlung gestellt.» Die Parteileitung, findet Ineichen, hätte das mangelnde Vertrauen der Basis in SP-Frau Felicitas Zopfi voraussehen können. «Aber man wollte es nicht sehen», so Ineichen, der an der Delegiertenversammlung vom 1. April nicht teilnehmen konnte und seine Kritik an der Parteispitze schon einmal öffentlich kundgetan hatte (Ausgabe vom 14. April).
Mit der von der CVP-Basis nicht goutierten Empfehlung für Zopfi habe die Spitze der Partei die Befindlichkeiten an der Basis nicht zum ersten Mal falsch interpretiert, sagt Ineichen weiter – und meint etwa die vor den letzten Wahlen vom damaligen Parteipräsidenten Martin Schwegler ins Leben gerufene Kosovarengruppe. «Die von Schwegler vom Zaun gerissene Diskussion hat der CVP massiv geschadet», ist Ineichen auch heute, vier Jahre nach der Gründung der Kosovarengruppe, überzeugt.
Dass Ineichen und Schwegler das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben, daraus macht der 37-jährige Entlebucher keinen Hehl. «Wir decken innerhalb unserer Partei ganz gegensätzliche Spektren ab», sagt Ineichen diplomatisch.
Ineichen weiss, dass diese parteiinternen Grabenkämpfe bald an Brisanz gewinnen könnten. Dann nämlich, wenn sich Ineichen dazu entschliessen sollte, wie Schwegler für den Nationalrat zu kandidieren. Ineichen: «Ich überlege mir das sehr ernsthaft, brauche aber noch Zeit.» Das Entlebuch, ist Ineichen überzeugt, müsse auf der CVP-Liste unbedingt vertreten sein. Spitzenkandidat Pius Kaufmann verzichtet bekanntlich (Ausgabe vom Samstag). Laut Ineichen sucht eine Kommission unter dem Präsidium von alt Regierungsrat Toni Schwingruber neben Ineichen weitere mögliche Kandidaten. Auch Nationalrat Ruedi Lustenberger diskutiert hier mit.
Schwingruber und Co. haben Zeit bis zum 24. August, dem Datum des Listeneingabeschlusses. Sicher ist seit der gestrigen Delegiertenversammlung in Littau laut Parteipräsident Pirmin Jung, dass das Entlebuch «zu hundert Prozent einen Kandidaten präsentieren wird». Der im Saal anwesende Christian Ineichen meldete sich nicht zu Wort.
So deutlich die Kritik von Unternehmern und von Christian Ineichen an der Parteispitze ausfällt, so betont gelassen reagiert Parteipräsident Pirmin Jung. Ineichen habe keinen Grund, den Entscheid der Delegierten vom 1. April länger zu kritisieren. «Er war weder an der Sitzung des Parteivorstands noch an der Delegiertenversammlung anwesend. Das Thema ist abgeschlossen», sagt Jung.
Auch in Bezug auf die heikle Personalie seines Vorgängers Martin Schwegler hält Jung den Ball möglichst flach. Es sei «legitim», dass der Menznauer Rechtsanwalt kandidiere, er habe sich schliesslich «während sieben Jahren voll für die Partei eingesetzt». Jung hat «Achtung vor dem, was Schwegler gemacht hat».
Angesprochen auf die Forderung, er müsse zurücktreten, sagt Jung: «Dazu äussere ich mich nicht.»
Nicht gut zu sprechen auf den Namen Martin Schwegler war gestern Morgen Parteisekretär Rico De Bona – aus einem ganz speziellen Grund: Schwegler, vor etwas mehr als drei Jahren als CVP-Präsident abgetreten, war auf der Webseite der CVP als dreizehntes und letztes Mitglied der Parteileitung aufgeführt. De Bonas Kommentar: «Das darf doch nicht wahr sein! Schwegler gehört der Parteileitung definitiv nicht mehr an.» Ein paar Minuten später entsprach die Leitung der grössten Luzerner Partei auch online wieder der Realität.
nus. Die 232 Delegierten der CVP haben gestern Abend in Littau die folgenden drei Frauen und vier Männer als Nationalratskandidaten nominiert:
Listeneingabeschluss ist am 24. August um 12 Uhr. Dass die CVP bis zu diesem Zeitpunkt die drei noch leeren Plätze auf ihrer Liste besetzen kann, daran zweifelt Parteisekretär Rico De Bona nicht: «Das werden wir schaffen.»
Diskussionslos für eine weitere Legislatur portiert wurde gestern Abend auch Ständerat Konrad Graber (56-jährig, Kriens). Graber politisiert seit 2007 im Stöckli.
Ebenfalls thematisiert wurden gestern Abend Listenverbindungen. Im Zentrum der Überlegungen stehen laut Parteipräsident Pirmin Jung Verbindungen mit BDP, EVP – «und der FDP, falls die auch will», so Jung. Die CVP-Delegierten erteilten dem Parteivorstand nach kurzer Diskussion und mit wenigen Gegenstimmen die Kompetenz, Listenverbindungen mit diesen Parteien zu beschliessen.
Die Wunden lecken, reflektieren, den Wählerwillen respektieren – das alles scheint bei der SP kein Thema zu sein. Zumindest macht ein im Internet aufgeschalteter Aufruf einen ganz anderen Eindruck: «Enttäuscht und empört! Regierung ohne Frau, Linke, soziales Gewissen». Manche bürgerliche Wähler dürften sich provoziert fühlen, wirft der Aufruf doch den fünf gewählten Regierungsräten soziale Inkompetenz vor. Die SP hat am Sonntag eine historische Niederlage eingefahren. Über 17 000 Stimmen fehlten ihrer Kandidatin Felicitas Zopfi (56) für den Einzug in den Regierungsrat. Erstmals nach 56 Jahren ist die Partei nicht mehr in der Exekutive des Kantons Luzern vertreten.
Anders als bei der CVP, die sich nach der umstrittenen Wahlempfehlung für Zopfi einer Zerreissprobe stellen muss (siehe Haupttext), stösst unsere Zeitung selbst bei ehemals aktiven SP-Mitgliedern auf eine Mauer der Solidarität. Alt Regierungsrat Paul Huber zum Beispiel will sich nicht öffentlich äussern. Der Luzerner alt Stadtrat Werner Schnieper (77) sagt: «Mit dem Internet-Aufruf wird versucht, die Reihen zu schliessen. Es geht auch darum, aufzuzeigen, dass man sich dem Mainstream nicht anpassen will.» Dass auch Trotz eine Rolle spiele, sei angesichts der neuen Ausgangslage verständlich. «Der Aufruf soll die Basis auch motivieren, die weiteren Wahlen – auf eidgenössischer Ebene im Herbst und in den Gemeinden nächstes Jahr – mit neuem Schwung in Angriff zu nehmen.»
Schnieper erwähnt auch, dass die SP während der letzten Jahrzehnte beachtliche Fortschritte gemacht habe; so sei sie heute in der Stadt die stärkste Partei und auf der Landschaft mit zusätzlichen Ortsparteien präsent: «Diesen Weg könnte die Partei weiterverfolgen, auch wenn es schwierig wird.» Die Wahlniederlage begründet der ehemalige Baudirektor der Stadt Luzern mit dem bürgerlichen Schulterschluss, den auch Wirtschaftsvertreter mitgetragen haben: «Von der CVP-Basis wurde die offizielle Empfehlung wohl zu wenig befolgt.» Wird die SP strategisch richtig geführt? Die Arbeit der Geschäftsleitung könne er, so Schnieper, nicht beurteilen. Es freue ihn aber, «dass sich bei der SP so viele Junge engagieren». Hier sei es allerdings wichtig, auch die ältere Generation einzubinden. «Leider erhielten bei den Kantonsratswahlen Mitglieder der ‹SP 60 plus› zu wenig Stimmen.»
Daniel Gähwiler, SP-Präsident ad interim, übt auf Nachfrage durchaus Selbstkritik: «Uns ist es zu wenig gelungen, über das linke Lager hinaus bis zur Mitte die Konsequenzen einer rein bürgerlichen Männerregierung aufzuzeigen. Und wir haben unterschätzt, wie stark sich die Front zum bürgerlichen Lager in den letzten Jahren verhärtet hat. Wir hielten zu lange an der Konkordanz fest, welche bei den Bürgerlichen längst zur Phrase verkommen ist.» Eine detaillierte Analyse werden Geschäftsleitung und Wahlausschuss heute und morgen Mittwoch vornehmen. Dass man sich nun auch mit dem Internet-Auftritt kämpferisch-kompromisslos zeige, sei ein Umstand der bürgerlich dominierten Politik: «Wir müssen so kompromisslos vorgehen. Momentan werden unsere finanzpolitischen Vorschläge pauschal zurückgewiesen, ohne dass darüber diskutiert werden kann.»
Dass ein solches Auftreten Wähler vergraulen könnte, will Gähwiler nicht gelten lassen: «Wir verbiegen uns nicht, um den Bürgerlichen zu gefallen – das wäre unglaubwürdig. Wir sind es den sozial benachteiligten Menschen schuldig, für sie einzustehen.»
Nun muss sich die SP in der Opposition bewähren. Wie das aussehen wird, lässt Gähwiler offen. Laut Werner Schnieper wird auch weiter versucht, über die Kantonsratsfraktion Einfluss zu nehmen. Das geht aber nur, wenn sich für die jeweiligen Anliegen auch Bürgerliche gewinnen lassen. «Ansonsten werden Volksinitiativen lanciert – hier hat die SP eine breite Erfahrung.»
Alexander von Däniken