LUZERN: Sein Erfolg hat alle überrascht

Tobias Schwarzentruber hat sich als Briefmarkenhändler selbstständig gemacht. Kaum einer hat an den Erfolg geglaubt – doch der Ex-«Bachelorette»-Kandidat machte schon im ersten Jahr 1 Million Franken Umsatz.

Stephan Santschi
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Tobias Schwarzentruber begutachtet vorsichtig eine der Briefmarken, die er in seinem Laden verkauft. (Bild: Philipp Schmidli (Sursee, 7. Dezember 2017))

Tobias Schwarzentruber begutachtet vorsichtig eine der Briefmarken, die er in seinem Laden verkauft. (Bild: Philipp Schmidli (Sursee, 7. Dezember 2017))

Stephan Santschi

stephan.santschi@luzernerzeitung.ch

«Briefmarken sind nichts mehr wert.» Tobias Schwarzentruber (33) hört das oft. Deshalb erzählt er von einem Fall aus der Ostschweiz. Es geht um eine Hausräumung, in deren Verlauf die Briefmarkensammlung in der Mulde landet. Die Angehörigen entscheiden sich dann doch noch, den Wert der Antiquität zu prüfen. Und kassieren später 120'000 Franken. Während der ehemalige «Bachelorette»-Kandidat redet, steht er in einem Surseer Geschäftsgebäude, wo er Anfang 2017 mit Kollege Philipp Wyss einen Briefmarkenladen eröffnet hat (wir berichteten). Die Bilanz des ersten Jahrs unterstreicht, was Schwarzentruber mit der Anekdote veranschaulicht – der Umsatz belief sich auf über 1 Million Franken. «Ich bin extrem überrascht von unserem Erfolg, damit hätte ich nie gerechnet. Ein Traum ist wahr geworden. Ich habe in den letzten Monaten mein halbes Sortiment veräussert und mit neuem Material ersetzt.» Dabei handelt es sich immerhin um 2500 Alben.

Wie ist dieser Boom zu erklären? Schwarzentruber denkt kurz nach und sagt: «Die Zahl der Sammler nimmt insgesamt ab. 2016 und 2017 sind sehr viele Sammlungen auf den Markt gekommen. Die Qualität stimmt, das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.»

Fachwissen verhilft zum Schnäppchen

Er selber konzentriert sich auf die Raritäten der Alt-Schweiz, jene Briefmarken also, die zwischen 1843 und 1863 verwendet worden waren. Vor sich hat er ein Album mit hellblauen Rayon-I-Marken der ersten Schweizer Bundespostausgaben von Anfang der 1850er-Jahre. «Eine solche Marke kostete einst 180 bis 200 Franken. Jetzt ist sie für 30 bis 50 Franken zu haben.» Ein Sonderexemplar mit Kreuzeinfassung habe sogar einen Katalogpreis von 275000 Franken, aufgrund eines leichten Defekts liege der Kaufpreis aber weit drunter. Für ihn steht deshalb fest: «Briefmarken waren wohl noch nie so günstig wie jetzt. Aktuell besteht eine riesige Chance für Investoren, ihr Geld darin anzulegen.» Er sei überzeugt, dass die Talsohle der Preisentwicklung erreicht sei. «In 10, 15 Jahren kann man solche Raritäten zu einem x-fach höheren Preis verkaufen. Das ist viel attraktiver als Börsengeschäfte.»

Die Leidenschaft zur Philatelie, wie die Briefmarkenkunde genannt wird, entwickelte Tobias Schwarzentruber schon als Kind. «Als ich später im Teenageralter die Website Ricardo entdeckte, hat es mich fasziniert, wie man mit Fachwissen Schnäppchen machen konnte.» Heute gefällt ihm die Vorstellung, etwas zu besitzen, das nicht alle haben, und ein Experte auf einem Gebiet zu sein.

Neben seinem Beruf als Händler ist er Sammler geblieben. «Eine richtige Balance zu finden, ist sehr schwer. Manchmal könnte ich heulen, wenn ich ein gutes Stück verkaufe.» Das Positive aber überwiege bei weitem, «ich habe jeden Tag mehrere Glücksmomente, die ich sonst nirgendwo finden könnte». In den letzten zehn Jahren hat er sein Auge derart geschult, dass er Highlights, aber auch fehlerhafte oder gefälschte Produkte schon auf einem Foto erkennt. Ein Beispiel? Ein winziger weisser Fleck am Flügel einer Basler Taube (Basler Dybli). «Diese Seltenheit steigert den Wert von 6000 auf 8000 Franken.»

Vor Misstritten schützt ihn das aber nicht. «Jeder zehnte Kauf ist ein Fehlschlag, sagt man in der Szene. Das gilt auch für mich.» Während er spricht, arbeitet neben ihm der Luftbefeuchter. Die trockene Luft des Winters schadet den Briefmarken.

Kunden vom Lehrling bis zum Multimillionär

Wenn Schwarzentruber seinen ganzen Bestand verkaufen würde, hätte er wohl ausgesorgt. Doch daran denkt er nicht. «Den Grossteil der Einnahmen investiere ich in Neueinkäufe.» Er will wachsen und nächstes Jahr in Allschwil im Rahmen des Tags der Briefmarke (23. bis 25 November) seine in den letzten 20 Jahren entstandene Durheim-/Rayon-Sammlung ausstellen. «Ich möchte weitermachen, bis ich 80 bin», erklärt er und präzisiert sogleich: «Es wird nicht immer so intensiv bleiben.» Derzeit ist er im Internet und an Auktionen im In- und Ausland sehr präsent. Der Betrieb im Laden macht dabei nur zehn Prozent des Umsatzes aus. Täglich kämen drei bis fünf Leute vorbei, um eine Sammlung zu veräussern oder in der Auslage zu schmökern. Obwohl sich Schwarzentruber auf Raritäten spezialisiert hat, verfügt er weiterhin auch über ein reichhaltiges Angebot für Anfänger. «Ich verkaufe Marken ab 1 Franken bis x-tausend», sagt er. Und: «Meine Kundschaft ist sehr vielfältig und reicht vom Automechaniker bis zum CEO einer Grossbank; vom Lehrling, der pro Monat 20 Franken in sein Hobby investiert, bis zum Multimillionär.»

Sein Partner, der Dagmerseller Philipp Wyss, wird allerdings bald aus dem gemeinsamen Unternehmen aussteigen, für ihn sucht er zwei Nachfolger für die administrative Arbeit. «Philipp hat kein Hobby mehr, seit er die Briefmarken zu seinem Beruf gemacht hat. Zudem vermisst er seinen früheren Job.» Beide hatten ihre Arbeit für den Briefmarkenladen aufgegeben, Wyss war Logistikleiter, Schwarzentruber Primarlehrer. «Wir sind mit diesem Wechsel ein Wagnis eingegangen.» Ein Wagnis, das sich voll auszubezahlen scheint.