LUZERN: Sorgerecht: Ansturm der Väter bleibt aus

Bis Ende Juni können Eltern rückwirkend das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Rund 60 strittige Fälle gibt es bislang im Kanton – deutlich weniger als von den Behörden erwartet.

Roseline Troxler
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Vater mit Kind: Bei einer Trennung der Eltern ist seit dem 1. Juli 2014 die gemeinsame elterliche Sorge die Regel. (Bild: Getty)

Vater mit Kind: Bei einer Trennung der Eltern ist seit dem 1. Juli 2014 die gemeinsame elterliche Sorge die Regel. (Bild: Getty)

Roseline Troxler

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) haben sich im Kanton Luzern wie in der ganzen Schweiz auf einen Ansturm vorbereitet. Grund: Am 1. Juli 2014 ist das neue Sorgerecht in Kraft getreten. Seither gilt nach einer Trennung und einer Scheidung in der Regel das gemeinsame Sorgerecht (siehe Kasten). Gleichzeitig können Eltern rückwirkend das gemeinsame Sorgerecht erklären, wenn sie sich einig sind. Weigert sich ein geschiedener Elternteil, diese Erklärung abzugeben, dann kann sich der andere Elternteil noch bis Ende Juni an das zuständige Gericht wenden. Dies ist möglich, wenn die Ehe weniger als fünf Jahre geschieden ist. Dafür muss der Elternteil einen Antrag stellen. Ein unverheirateter Elternteil kann sich bei fehlender Einigung noch bis Ende Juni an die Kesb wenden. Diese Möglichkeit gilt ebenfalls bei Trennungen in den letzten fünf Jahren.

Am meisten Anträge in der Stadt

Bei den vier Luzerner Bezirksgerichten sind seit dem 1. Juli 2014 weniger als 20 Verfahren von geschiedenen Ehegatten eingeleitet worden, die rückwirkend das gemeinsame Sorgerecht fordern. Christian Renggli, stellvertretender Generalsekretär des Kantonsgerichts Luzern, sagt: «Die Zahl dieser Verfahren wird statistisch nicht separat erhoben. Es sind aber sehr wenige Fälle.» Auf die Frage, ob die Richter mehr Fälle erwartet hätten, sagt Renggli: «Rückmeldungen der Bezirksgerichte zeigen, dass eher mit mehr Fällen gerechnet wurde. Die Anzahl war aber sehr schwierig zu prognostizieren.»

Eine Umfrage bei den Kesb-Kreisen im Kanton Luzern zeigt: Knapp 70 nicht verheiratete Elternteile haben einen Antrag eingereicht, welcher das nachträgliche gemeinsame Sorgerecht verlangt – gegen den Willen des Ex-Partners. Am meisten Anträge gab es bei der Kesb Stadt Luzern (siehe Tabelle), gefolgt von der Kesb Luzern-Land. Bei den anderen Kesb-Kreisen liegt die Zahl im einstelligen Bereich. Die Zahl der Eltern, die nachträglich die gemeinsame elterliche Sorge erklärt haben, liegt bei rund 550. Wenn Eltern sich einig sind, können sie auch künftig die gemeinsame elterliche Sorge erklären.

Väter im Voraus Interesse bekundet

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden haben mehr strittige Anträge erwartet. Denn Väter haben im Vorfeld der Gesetzesänderung grosses Interesse an der neuen Möglichkeit bekundet.

Markus Erni, Präsident der Kesb Hochdorf und Sursee, rechnete mit viel mehr Fällen: «Die Anzahl der Verfahren auf behördliche Verfügung der gemeinsamen elterlichen Sorge blieb auf tiefem Niveau. Wir haben mit einem deutlich höheren Aufwand gerechnet.»

Ähnlich tönt es bei Marion Loretan, Leiterin Rechtsdienst der Kesb Stadt Luzern: «Wir haben am Anfang mit weit mehr strittigen Anträgen gerechnet. Man ist davon ausgegangen, dass all die Väter, die schon lange auf die gemeinsame elterliche Sorge gewartet haben, umgehend Antrag einreichen würden.» Diese Annahme habe sich nicht bestätigt, was auch Irmgard Dürmüller, Präsidentin der Kesb Willisau-Wiggertal, betont. Die genaue Zahl der strittigen Verfahren ist offen. Irmgard Dürmüller rechnet mit höchstens 5. Marlis Meier, Präsidentin der Kesb Entlebuch mit Ruswil und Wolhusen, bezeichnet die Anzahl Anträge vom Aufwand her als sehr überschaubar. Auch im Kesb-Kreis Emmen wurden die Erwartungen zur Anzahl Erklärungen eher unterschritten, wie Präsidentin Claudia Zwimpfer sagt. Sibylle Tobler, Präsidentin der Kesb Kriens-Schwarzenberg, geht nicht davon aus, dass es bis Ende Juni noch einen Run auf die gemeinsame elterliche Sorge geben wird. Gründe zur geringen Zahl strittiger Verfahren vermutet sie darin, dass «einige nicht sorgeberechtigte Elternteile nicht in Kontakt zum Kind stehen und daher kein Interesse an der gemeinsamen elterlichen Sorge haben, oder sie haben sich mit dem sorgeberechtigten Elternteil arrangiert und wollen die aktuelle Situation nicht gefährden».

Mehr strittige Anträge auf Erteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge hat bisher die Kesb Luzern-Land erhalten. So wurden 17 Anträge eingereicht. Die Kesb Luzern-Land rechnet damit, dass in den letzten zwei verbleibenden Monaten noch rund 10 gemeinsame Erklärungen folgen. Eine Prognose sei aber äusserst schwierig.

Kein mangelndes Engagement

Markus Theunert ist Präsident von Männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Er sagt zur Anzahl Anträge: «Ich bin vor allem froh, dass die von gegnerischer Seite beschworenen Streitereien durch die neue Regelung ausbleiben.» Das Ausbleiben des Ansturms von Vätern, die rückwirkend die gemeinsame elterliche Sorge beantragen, als mangelndes väterliches Engagement zu interpretieren, wäre suggestiv, wie Theunert betont. «Ich kann mir nach wie vor vorstellen, dass kurz vor Ablauf der Frist Ende Juni nochmals mehr Anfragen kommen», sagt der Präsident von Männer.ch.

Neues Sorgerecht

red. Von der Gesetzesänderung, die am 1. Juli 2014 in Kraft getreten ist, sind Familien betroffen, bei denen ein Elternteil die elterliche Sorge innehat und der andere wieder eine rechtliche Mitverantwortung haben möchte. Die rückwirkende Erklärung oder Beantragung des gemeinsamen Sorgerechts ist bei Scheidungen oder Trennungen nach dem 1. Juli 2009 möglich. Bei Scheidungen ab dem 1. Juli 2014 ist die gemeinsame elterliche Sorge bereits der Regelfall.

Mit der gemeinsamen elterlichen Sorge treffen Eltern Entscheide, die für ihr Kind private, körperliche, finanzielle oder berufliche Folgen haben, gemeinsam. Darunter fallen etwa Entscheide, welche die Lehrstelle, Operationen oder den Umzug betreffen.