Luzern: Umstrittene Aktivistengruppe erhält Gebäude zur Zwischennutzung

Die Stadt Luzern gibt das ehemalige Stellwerk der Zentralbahn an der Horwerstrasse 14 für eine Zwischennutzung frei. Die Gruppe, die im April 2018 das Obergeschoss der Remise Auf Musegg 1 besetzt hatte, will dort einen nicht kommerziellen Begegnungs- und Weiterbildungsort einrichten.

Hugo Bischof
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Für eine Zwischennutzung freigegeben: Die Trafostation an der Horwerstrasse 14 in Luzern. Bild: Corinne Glanzmann (Luzern, 15. Oktober 2018)

Für eine Zwischennutzung freigegeben: Die Trafostation an der Horwerstrasse 14 in Luzern. Bild: Corinne Glanzmann (Luzern, 15. Oktober 2018)

Am 8. April 2018 hatte die Aktivistengruppe unter dem Namen «Pulpa» illegal das Obergeschoss der Remise Auf Musegg 1 besetzt (wir berichteten). Die Aktivisten brachen in der Nacht in das Gebäude ein, indem sie eine Fensterscheibe einschlugen. Ihr Ziel war es, in der Liegenschaft, die der Stadt Luzern gehört, einen Raum für «kreatives Schaffen, Begegnungen und Diskussionen» einzurichten.

30 Tage lang hielten die Aktivisten das Obergeschoss des Gebäudes Auf Musegg 1 damals besetzt. Die Verhandlungen zwischen der Stadt Luzern und den Besetzerinnen und Besetzern führten dazu, dass die Gruppe die Remise am 7. Mai 2018 freiwillig verliess.

Mit Neuverlegung der Zentralbahn ausser Betrieb gesetzt

Die Stadt Luzern prüfte danach verschiedene Optionen, der Gruppe andere geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Das Stellwerk an der Horwerstrasse 14 war mit der Neuverlegung der Zentralbahn ausser Betrieb gesetzt worden. Seither wurde das Gebäude als Baubüro für die Kanalisationserneuerung Eichwald und für das Projekt Freigleis zwischengenutzt. Die längerfristige Nutzung der Liegenschaft ist noch offen.

«Das Gebäude ist nur mit einer minimalen Grundinfrastruktur ausgestattet, kann aber ohne weitere Anpassungen genutzt werden», teilte der Stadtrat mit. Es brauche lediglich ein Baugesuch für die Nutzungsänderung. Die Stadt wird für die Zwischennutzung keine Investitionen tätigen. Die Betriebs- und allfällige Ausbaukosten sind ausschliesslich durch die Nutzer zu tragen.

Das ehemalige Stellwerk der Zentralbahn aus der Luft. (Bild: Screenshot Google Maps)

Das ehemalige Stellwerk der Zentralbahn aus der Luft. (Bild: Screenshot Google Maps)

«Alle Bedingungen der Stadt erfüllt»

«Möglich wurde die Zwischennutzung, weil die Exponentinnen und Exponenten der Gruppe alle Bedingungen der Stadt Luzern erfüllt haben», hält der Stadtrat fest. «Sie haben sich nachprüfbar ausgewiesen, ihre Ziele formuliert, einen Verein gegründet, die Statuten der Stadt zugestellt und sich bereit erklärt, vertraglich Verantwortung zu übernehmen.»

Nach Ansicht des Stadtrates hat die Gruppierung mit ihrem Verhalten gezeigt, «dass sie es mit einer Nutzung von geeigneten Räumlichkeiten ernst meint». Der neu gegründete Verein habe den Zweck, «gemeinsam mit allen Interessierten einen offenen, nicht kommerziellen Raum zu beleben und zu gestalten, insbesondere im Sinne eines Austausches von Wissen und Fertigkeiten in Form einer Autonomen Schule». Der Begegnungs- und Weiterbildungsort soll sich auch an die Nachbarschaft richten und «den Austausch von politischen wie gesellschaftlichen Ideen fördern».

Gruppe muss Unterhaltskosten selber tragen

Im Gebrauchsleihvertrag zwischen der Stadt Luzern und dem Verein ist festgehalten, dass die Gebrauchsleihe unentgeltlich ist, der Verein aber die Kosten für Strom, Wasser- und Abwasser übernehmen muss. Die Vertragsdauer ist auf ein Jahr befristet. Jegliche kommerzielle Nutzung im Sinne von Warenverkauf und Dienstleistungen im und um das Gebäude ist untersagt. Das Durchführen von kommerziellen Veranstaltungen und Partys im Gebäude oder auf dem Gelände ist untersagt. Aus Sicherheitsgründen dürfen sich maximal 20 Personen im Gebäude aufhalten. Die Nutzer verpflichten sich, ab 22 Uhr die Nachtruhe einzuhalten und bei nachbarschaftlichen Reklamationen entsprechende Massnahmen zu treffen.

FDP kritisiert den Stadtrat

Die politischen Parteien beurteilen den Entscheid des Stadtrats unterschiedlich. Kritisch äussert sich die FDP Stadt Luzern. Deren Präsident Fabian Reinhard betont: «Nach der ganzen Geschichte mit der illegalen Hausbesetzung hinterlässt das schon einen schalen Nachgeschmack. Der Stadtrat sendet damit das Signal aus, dass es sich lohnt, ein Gebäude zu besetzen. Das darf nicht sein.» Die FDP erachte Zwischennutzungen grundsätzlich als sehr sinnvoll. Die Gruppe Pulpa habe diesem Anliegen aber mit ihrer Besetzung des Gebäudes Auf Musegg 1 stark geschadet, vor allem auch jenen Gruppierungen, die sich auf ehrliche Weise um eine Zwischennutzung bemühen. «Man muss immer noch sehen: Eine Zwischennutzung ist nicht das gleiche wie eine Hausbesetzung.»

Kritik am Vorgehen des Stadtrats übt auch die CVP. Deren Fraktionschefin Mirjam Fries betont: «Es kann nicht sein, dass eine Gruppe ein Haus illegal besetzt, und die Stadt dann Hand bietet für eine Ersatzlösung. Zwischenlösungen finden wir sinnvoll, aber das Recht muss eingehalten werden.» Die illegale Besetzung einer Liegenschaft dürfe nicht toleriert werden, auch wenn die Liegenschaft der Stadt gehöre. «Das Vorgehen des Stadtrates im April hat uns deshalb stark befremdet.» Die nun vereinbarte Zwischennutzung basiere auf einer Abmachung der Stadt mit der Gruppe «Pulpa» im Zusammenhang mit der Räumung der Remise Auf Musegg 1. «Mit Pulpa wurde ein Vertrag vereinbart, in dem Sinne ist das rechtens», sagt Fries. «Was aber bleibt, ist ein ungutes Gefühl. Es darf kein Präjudiz geschaffen werden.»

Etwas anders sehen es die Grünen. Deren Fraktionschefin Korintha Bärtsch betont: «Es ist erfreulich, dass ein Raum und eine Lösung gefunden werden konnten. Weniger erfreulich ist, dass es zuerst eine Besetzung braucht, um derartige Lösungen zu finden. Wir hoffen, dass solches in Zukunft pragmatischer möglich ist.»

Nicht zum konkreten Fall äussern wollte sich Jules Gut, Fraktionschef der Grünliberalen (GLP), aufgrund fehlender Kenntnisse der Vergabekriterien. Er betonte aber: «Grundsätzlich sind wir als Grünliberale sehr offen, was Zwischennutzungen betrifft, und begrüssen sinnvolle Nutzungen von heute ungenutzten Liegenschaften in unserer Stadt.»

Stadtrat verteidigt sein Vorgehen

Baudirektorin Manuela Jost (GLP) verteidigt das Vorgehen des Luzerner Stadtrats: «Es ist nicht so, dass die Gruppe ihr Ziel via Hausbesetzung erreicht hat. Wir stellten die Bedingungen, nicht die Aktivisten.» Erst nach Beendigung der Besetzung und der Erfüllung aller weiteren Bedingungen habe die Stadt Bereitschaft gezeigt, über eine mögliche Zwischennutzung eines anderen Gebäudes zu verhandeln. «Jede Person, jede Gruppierung kann mit diesem Anliegen an die Stadt herantreten», sagt Stadträtin Jost, «wir prüfen dann, ob eine geeignete Räumlichkeit zur Verfügung steht.»

Eine wichtige Bedingung sei auch gewesen, dass die zuvor anonyme Gruppe einen Verein gründete, «damit wir einen Vertragspartner haben», betont Jost. Gemäss Stadträtin Jost heisst dieser Verein Räzel. Der Vertrag mit ihm sei befristet auf ein Jahr. «Es ist ein Gebrauchsleihvertrag wie mit dem Verein Neubad», sagt Jost. Vertreter des Vereins waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Im April 2018 hatte die Aktivistengruppe während 30 Tagen das Obergeschoss des städtischen Gebäudes Auf Musegg besetzt. Jetzt erhält sie von der Stadt an anderer Stelle ein Gebäude zur Zwischennutzung. Bild: Dominik Wunderli (Luzern, 9. April 2018)

Im April 2018 hatte die Aktivistengruppe während 30 Tagen das Obergeschoss des städtischen Gebäudes Auf Musegg besetzt. Jetzt erhält sie von der Stadt an anderer Stelle ein Gebäude zur Zwischennutzung. Bild: Dominik Wunderli (Luzern, 9. April 2018)