LUZERN: VBL-Chauffeur Stefan Studer arbeitet an Heiligabend – damit andere feiern können

Seit mehr als zehn Jahren übernimmt Stefan Studer an Heiligabend die Nachtschicht als Chauffeur bei den Verkehrsbetrieben Luzern – damit andere mit ihrer Familie feiern können. Die wichtigste Person in seinem Leben steht ihm dabei zur Seite.

Lena Berger
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Stefan Studer ist seit 30 Jahren Chauffeur bei den Verkehrsbetrieben Luzern. (Bild: Pius Amrein (Luzern, 20. Dezember))

Stefan Studer ist seit 30 Jahren Chauffeur bei den Verkehrsbetrieben Luzern. (Bild: Pius Amrein (Luzern, 20. Dezember))

Lena Berger

lena.berger@luzernerzeitung.ch

Stefan Studer war nie eine Person, die das Rampenlicht sucht. Einem Gesprächstermin hat er nur nach anfänglichem Zögern zugestimmt. Fast schüchtern sitzt er im Besprechungsraum der Verkehrsbetriebe Luzern (VBL), für die er seit 30 Jahren arbeitet.

Heute Abend wird er wieder unterwegs sein. Am 24. Dezember fährt er die Menschen mit dem Bus zu ihren Familien – und nach dem Weihnachtsessen wieder heim. «Es ist auch für mich eine besondere Nacht», sagt Studer. Jedes Jahr staunt er wieder über die plötzliche Ruhe, die sich über die Stadt legt. «Nur wenige Stunden zuvor erreicht die Hektik, die sich über die letzten Wochen immer stärker ausgebreitet hat, ihren Höhepunkt. Aber wenn ich am Abend Bus fahre, sind kaum noch Menschen unterwegs. Ich habe die Stadt fast ganz für mich.»

Obwohl er arbeitet, ist er an Heiligabend nicht alleine

Sicher komme ihm bei diesen Fahrten manchmal in den Sinn, dass andere jetzt mit ihrer Familie zusammensitzen, etwas Besonderes essen und die Kerzen am Christbaum anzünden. «In solchen Momenten fühlt man sich dann vielleicht doch ein kleines bisschen einsam. Aber ich kann diese schönen Momente ja nachholen. Familienväter mit Kindern können dies nicht, deshalb möchte ich es ihnen ermöglichen, den Heiligabend mit ihrer Familie verbringen zu können.»

Im Hause Studer läuft die Familientradition halt etwas anders. Der Buschauffeur fährt jeweils am 26. Dezember zu seiner Mutter, die ein tolles Fondue bourgui­gnonne mit selber gemachten Saucen auftischt. «Das macht für mich Weihnachten aus: dass man Zeit mit seiner Familie verbringen kann», so Studer.

Die Schicht an Heiligabend zu übernehmen, fällt dem Buschauffeur heute noch aus einem anderen Grund leichter als früher: Schon seit langer Zeit fährt in dieser Nacht sein Lebenspartner im Bus mit. «Ich habe ihn gerne dabei. Manchmal bleibt an der Endhaltestelle etwas Zeit, damit wir ein bisschen plaudern können», erzählt Studer. Seit 20 Jahren sind die beiden ein Paar. An die grosse Glocke gehängt hat er seine Homosexualität aber nie. Auch ein bisschen, weil er als Buschauffeur befürchtete, deswegen angefeindet zu werden. «Seit Januar sind wir jetzt aber verheiratet, da will ich diesen Teil von mir auch nicht mehr verstecken. Vor 30 Jahren wäre das sicher anders gewesen.»

Stefan Studer ist ein ruhiger und besonnener Mensch. Das braucht es auch, wenn man zu Stosszeiten einen Bus durch die Stadt Luzern bekommen möchte. Das grössere Verkehrsaufkommen, die zunehmende Hektik und auch die Aggressivität gegenüber den Chauffeuren machen ihm aber hin und wieder zu schaffen. Trotzdem ist ihm bis heute die Begeisterung für seinen Beruf anzumerken. «Ich wollte schon als kleines Kind Buschauffeur werden. Sobald ich gross genug war, um alleine aus dem Fenster zu schauen, habe ich am liebsten den Bussen beim Wenden an der Busschleife zugeschaut, die vor unserem Haus war», erinnert sich Studer. Sein Vater, ein Coiffeur, konnte die Begeisterung nicht nachvollziehen. «Ein Erlebnis habe ich nie vergessen: Da war ich mit meinem Vater in der Stadt Bern und wollte unbedingt mit einem der dortigen Busse fahren – weil die etwas anders ausgesehen haben. Mein Vater aber entschied, dass wir laufen sollten. Da habe ich ein riesiges Theater veranstaltet», erzählt Studer und lächelt bei der Erinnerung daran. Der Vater hätte es gern gesehen, wenn aus seinem Sohn ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden wäre. Deshalb hat Studer ursprünglich eine Verkaufslehre gemacht. «Aber sobald ich das vorausgesetzte Alter von 21 Jahren erreicht hatte, habe ich mich bei den VBL beworben.» Und dabei ist er geblieben.

Er geniesst den Austausch mit den Menschen

Heute ist er einer der Chauffeure, die auf allen Linien eingesetzt werden können – weil er sämtliche Busse der Flotte fahren kann. «Mich faszinieren einfach alle grossen Fahrzeuge – Busse, Tram, Flugzeuge und andere Mobilitätsträger.» Einen Berufswechsel zum Lastwagenchauffeur kam für ihn trotzdem nie in Frage. «Mir würde der Austausch mit den Menschen und die Begegnungen mit den Fahrgästen fehlen – auch wenn es ab und zu vorkommt, dass man einen etwas mürrischen Fahrgast im Bus hat.»

Eine Lieblingsstrecke hat Stefan Studer übrigens nicht. Welche an Heiligabend aber die schönste ist, das weiss er: die Linie 24 in Richtung Meggen – wegen der vielen Lichter, die auf der Fahrt dem See entlang zu sehen sind.