LUZERN: Zentralrat-Auftritte weiter erlaubt

Der als radikal geltende Islamische Zentralrat darf weiter auf den Luzerner Plätzen werben: Der Stadtrat hat eine restriktivere Bewilligungspraxis abgelehnt – trotz Ermessensspielraum.

Alexander von Däniken
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Standaktion des Islamischen Zentralrats vor dem Postgebäude am Luzerner Bahnhofplatz im März 2015. (Bild Corinne Glanzmann)

Standaktion des Islamischen Zentralrats vor dem Postgebäude am Luzerner Bahnhofplatz im März 2015. (Bild Corinne Glanzmann)

Alexander von Däniken

In Nahost toben islamische Terroristen und treiben Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa, gleichzeitig mehren sich die Meldungen von sogenannten Dschihad-Touristen. In diesem Spannungsfeld positioniert sich der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) als Organisation, die mit provokativen Aktionen den Radikalismus auf beiden Seiten verstärkt. Beispiele aus der Region hat unsere Zeitung in den vergangenen Monaten publik gemacht: In Kriens wurde ein IZRS-Werbevideo («Rechnet mit uns. Jederzeit. Überall.») aufgenommen, und beim Bahnhof Luzern propagierte der Zentralrat an drei bewilligten Standaktionen ein strenggläubiges Frauenbild inklusive «stolzer» und «freier» Kopftuchträgerinnen (Ausgabe vom 7. März). Aufgrund dieses Berichts reichte FDP-Grossstadträtin Sandra Felder-Estermann ein Postulat ein. Darin forderte sie den Stadtrat auf, dem IZRS und anderen radikalen Gruppierungen keine Bewilligungen für Standaktionen mehr zu erteilen.

Keine Grundlage für Verbot

Nun nimmt der Stadtrat Stellung – und lehnt das Postulat ab. Hauptgrund: Für ein vollständiges Verbot der Zentralrats-Standaktionen bestehe keine rechtliche Grundlage. So stünden Standaktionen, an denen politische oder ideelle Meinungen verbreitet werden, unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Allerdings räumt der Stadtrat ein, dass dieses Grundrecht durchaus eingeschränkt werden kann. Nämlich dann, wenn gemäss Artikel 36 der Bundesverfassung die Einschränkung «durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter» gerechtfertigt ist.

Dass ein «gewisser Spielraum» gegeben ist, erklärt auf Anfrage auch Mario Lütolf, Leiter Stadtraum und Veranstaltungen bei der Stadt Luzern: «Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Antragssteller Auflagen nicht einhalten wollen.» Im konkreten Fall habe die Stadt zusammen mit Vertretern des Zentralrats im Vorfeld über die Standaktion gesprochen. «Wir wollten auch erfahren, was am Stand gemacht wird.» Da das Leben der muslimischen Frauen und auf keinen Fall ein Aufruf zur Gewalt im Zentrum stand, sei das öffentliche Interesse nicht tangiert gewesen. «Ausserdem ist der IZRS in der Schweiz keine verbotene Organisation.» Trotzdem: Wie der Stadtrat schreibt, hat die Luzerner Polizei die Standaktionen des Zentralrats mehrmals kontrolliert. Ein Mehraufwand? Lütolf dazu: «Die Kontrolle der Bewilligungsauflagen gehört zum Standardprozess. Der Aufwand wird von Fall zu Fall beurteilt.» Solche Kontrollen würden bei den Vorgesprächen und insbesondere im Vergleich mit grösseren Kundgebungen nicht ins Gewicht fallen. Der Zentralrat hat inzwischen bisher kein Gesuch mehr für eine Standaktion in der Stadt gestellt, wie Lütolf erklärt.

«Pure Provokation»

Postulantin Sandra Felder-Estermann äussert sich auf Anfrage erst einmal zufrieden darüber, dass die Stadt die geforderten Abklärungen vorgenommen hat. Auch ihr ist der Ermessensspielraum aufgefallen: «Ich frage mich, ob die Stadt heutzutage und angesichts der Flüchtlingsströme gleich entscheiden würde. Zumal solche Aktionen die Integration der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen unterlaufen können.» Derlei Standaktionen seien «pure Provokation, die der Mehrheit der gemässigten Muslime, die hier leben, nichts nützt. Im Gegenteil». Felder wird das Postulat an der nächsten FDP-Fraktionssitzung vom kommenden Dienstag nochmals thematisieren. Auch auf die Reaktion des Grossen Stadtrats sei sie gespannt.

Übrigens hat die Gemeinde St. Margrethen im Mai 2014 dieselbe Standaktion des IZRS nicht bewilligt. Der Zentralrat legte beim St. Galler Regierungsrat Beschwerde ein – und bekam am 13. April 2015 Recht.

Mut von Gemeinden gefordert

Valentina Smajli, Mitglied der städtischen Integrationskommission und Vizepräsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, ist ob des stadträtlichen Entscheids überhaupt nicht glücklich: «Meinungs- und Versammlungsfreiheit gönnen wir jedem, der sich an unsere Grundrechte und -werte hält. Aber hier muss man gut aufpassen und diesen Verein und seine Anhänger mit Argusaugen verfolgen, wie der Staat dies auch bei den extremistischen Gruppierungen (Rechts- und Linksextremismus) macht.» Denn durch die Verbreitung seiner wahhabitischen Ideologie füge der IZRS der Gesellschaft Schaden zu. «Darunter leidet vor allem die überwiegende Mehrheit der angepassten Muslime. Deshalb sollten die Gemeinden den Mut haben und handeln, indem sie Grenzen setzen und den Extremisten öffentliche Auftritte wie Standaktionen verbieten.»

Die Stadt Luzern beurteilt jährlich rund 1200 Anfragen für die Benutzung öffentlichen Grunds. Davon werden zwischen 800 und 850 Gesuche bewilligt. Beim Rest werden laut Mario Lütolf zur Hälfte die Gesuche abgelehnt, zur anderen Hälfte werden die Gesuche zurückgezogen.