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Thomas Heinimann prägte die Kinder- und Jugendpsychiatrie Luzern über gut 30 Jahre massgeblich. Nun tritt der Chefarzt kürzer und geht in Pension.
Während sich vor dem Hauptgebäude des Luzerner Kantonsspitals Patienten, Ärzte und Pflegepersonal tummeln, geht es etwas weiter hinten, bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie ruhiger zu und her. Doch auch hier dringt ab und zu Gelächter durch. Es sind die 30 neuen Mitarbeiter, die für die Akut- und Intensivstation im Hirschpark angestellt wurden. Deren Eröffnung ist auf November angesetzt.
Massgeblich zur Realisation dieser Station beigetragen hat Thomas Heinimann. Er ist Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (KJPD) Luzern - und das seit knapp 29 Jahren. Ende Oktober wird Heinimann pensioniert.
Die Akut- und Intensivstation ist der letzte grosse Wurf des Arztes. 15 Behandlungsplätze werden dort angeboten. Plätze, die laut Heinimann dringend benötigt werden. Denn laut Thomas Heinimann wird die Warteliste für Patienten ständig länger. Heinimann, gross, graues Haar, Brille, weicher Blick aber fester Händedruck, führt aus:
«In den letzten drei, vier Jahren hat es markant mehr Notfälle gegeben. Diese betreffen vor allem Jugendliche.»
Einen einzelnen Umstand für diese Entwicklung verantwortlich zu machen, lehnt Heinimann ab. Er ist kein Fan von eindimensionalen Aussagen. «Es ist ein Zusammenspiel aus individuellen, sozialen und familiären Faktoren», sagt er. Sich in diese verschiedenen Ebenen einzuarbeiten und Gründe für eine psychische Störung zu eruieren, sei die spannende Aufgabe eines Psychiaters.
Bei den Jugendlichen habe vor allem der Stress zugenommen; einerseits jener, der durch das konstante Vergleichen in den Sozialen Medien hervorgerufen wird, andererseits auch der gestiegene Erwartungsdruck und die rasante Entwicklung in der Gesellschaft. Mit dem Puls der Zeit mithalten zu können, fällt zusehends schwerer und nicht jeder reagiere gleich auf diese Entwicklung.
Komme hinzu, dass die Gesellschaft betreffend psychischer Erkrankungen in den vergangenen Jahren sensibilisiert wurde. Es werden früher Abklärungen getroffen, ob bei Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen tatsächlich eine psychische Störung vorliegt oder nicht. Aber ist es sinnvoll, jeden aufmüpfigen Wirbelwind psychologisch abklären zu lassen? Heinimann relativiert: «Man muss jede Situation relational anschauen. Braucht das Kind wirklich eine Therapie oder vielleicht einfach eine andere Schulklasse?»
Der Chefarzt weist ausserdem darauf hin, dass es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Sind es in der Unterstufe vor allem Jungen, die zu Verhaltensauffälligkeiten neigen, kommen ab der Pubertät vor allem Mädchen zum KJPD. «Viele waren wohl bis zu diesem Zeitpunkt zu angepasst», sagt Heinimann dazu.
Doch wie war das denn vor gut 30 Jahren, als Heinimann beim KJPD angefangen hat? Heinimann lacht. «Unser Standort war in einem kleinen Wohnblock beim Quartierlädeli an der Spitalstrasse. Es gab 15 Vollzeitstellen, davon zwei Teilzeitstellen im Kinderspital. Alles war überschaubarer», sagt er.
Mittlerweile verfügt die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Luzerner Psychiatrie über 130 Vollzeitstellen. Unter Heinimann wuchs der KJPD kontinuierlich. 1991 wurde er Chefarzt des KJPD, fünf Jahre später wurde in Sursee eine ambulante Zweigstelle des KJPD eröffnet. 2001 war die Eröffnung des Ambulatoriums Schüpfheim und ein Jahr später erfolgte der Startschuss zur Jugendpsychiatrischen Therapiestation Kriens.
Diese stellte für Heinimann eine der grössten Herausforderungen seiner Karriere dar. «Wir haben die Station aus dem Nichts aufgebaut.» Auch personell konnte man auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Für das Betreuungsteam wurden zwei Gruppen Leute eingestellt: Die eine aus dem Bereich der Psychiatriepflege, die andere aus der Sozialpädagogik. «Beide Gruppen hatten in diesem Setting keine Berufserfahrung. Der Aufbau ist geglückt, wir hatten immer gute Leute.» Bei der Eröffnung der Kinderpsychiatrischen Therapiestation und Tagesklinik 2009 konnte man dann auf diesen Erfahrungen aufbauen.
In Heinimanns Amtszeit fällt auch der Zusammenschluss des KJPD, des Psychiatriezentrums Luzerner Landschaft (PLL) und des Psychiatriezentrums Luzern Stadt (PLS) zur Luzerner Psychiatrie im Jahr 2006. Bis anhin war der Gesundheitsdirektor des Kantons Luzern Heinimanns Vorgesetzter. Die Wege waren kurz. Das änderte. Von nun an war er Geschäftsleitungsmitglied einer grossen Organisation.
In der Zeit vom kleinen Wohnblock zur etablierten Kinder- und Jugendpsychiatrischen Institution hat sich auch die Gesellschaft verändert, wie Heinimann feststellt. Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber psychisch Kranken hat sich verbessert. «Trotzdem sagt man immer noch lieber, dass man sich den Arm gebrochen hat, statt dass man psychisch krank ist.» Verändert habe sich aber auch das Verhalten der Kinder und Jugendlichen. «Das selbstverletzende Verhalten hat klar zugenommen. Es gibt sehr viel Verzweiflung und daraus folgende Aggressionen, die die Jugendlichen gegen sich selbst richten. Das gab es früher in diesem Ausmass nicht», sagt Heinimann und wirkt nachdenklich.
«Armut ist der grösste Risikofaktor für psychische Störungen. Und die Schere zwischen reich und arm geht immer weiter auf.» Doch nicht nur das wird Kinder und Jugendliche laut Heinimann in Zukunft beschäftigen. Man müsse einen Umgang mit der Digitalisierung finden, sagt der Experte. «Es braucht eine Balance zwischen realen und virtuellen Erfahrungen.» Hier benötige es Eltern, die hinstehen und Verantwortung übernehmen. Auch im Berufsleben warten Herausforderungen.
«Durch die rasanten Entwicklungen in der Gesellschaft, etwa, dass man nicht das ganze Leben im gleichen Beruf arbeitet, verlieren sie an Sicherheit und Konstanz.»
Präventionsarbeit könne hier sinnvoll ansetzen. Wichtig sei etwa, dass man bereits frühzeitig Abklärungen treffe und Familien auch finanziell unterstütze.
Und wie geht es nun mit Thomas Heinimann weiter? Er möchte nun etwas mehr Zeit mit seiner Familie geniessen, wie er sagt. Doch ganz aufhören zu arbeiten will Heinimann nicht. Er bleibt der Luzerner Psychiatrie noch in einem 20-Prozent-Pensum erhalten. Ausserdem wird er eine kleine Psychotherapie-Praxis in der Stadt Luzern eröffnen. «Ideal wäre es, so drei Tage pro Woche zu arbeiten», sagt Heinimann und schmunzelt.