Luzerner Gemeinden entdecken sich neu: Geuensee besinnt sich wieder auf die Mitte

Mit zwei Bauprojekten soll der historische Dorfkern wiederbelebt werden. Damit liegt Geuensee voll im Trend: Überall versuchen Gemeinde, ihre Kerne neu zu gestalten.

Ismail Osman
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So soll das fünfgeschossige Holzhaus «Sternenhaus» im Geuenseer Dorfzentrum aussehen. (Visualisierung: PD)

So soll das fünfgeschossige Holzhaus «Sternenhaus» im Geuenseer Dorfzentrum aussehen. (Visualisierung: PD)

Es gibt Gemeinden, die durch zwei Dinge definiert werden: die Hauptstrasse durchs Dorf und die Dorfbeiz. Seit einiger Zeit versuchen aber immer mehr Gemeinden, sich ein frisches Gesicht zu verleihen. Oft werden einst zentrale Plätze wiederbelebt – nicht selten solche, die im Laufe der Zeit von den genannten Hauptstrassen verdrängt wurden. Aktuelles Beispiel: Geuensee. Rund um das ehemalige Gasthaus Sternen und den Dorfbach befindet sich der historische Mittelpunkt der Gemeinde. Mit Ausnahme der denkmalgeschützten Kapelle St. Nikolaus deutet heute aber nichts darauf hin, dass dieser Flecken an der Kantonsstrasse einst das Herz Geuensees gewesen sein soll.

Nun aber soll der ehemalige Gasthof Sternen, der zuletzt als Asylunterkunft genutzt wurde, einem fünfgeschossigen Holz-Neubau (Projektname: Sternenhaus) mit 32 Wohnungen weichen. Rund um das Gebäude sind grosszügige Flächen geplant, die als Begegnungsort für die Bevölkerung gestaltet werden sollen. Direkt gegenüber soll zudem eine Wohnüberbauung für verschiedene Generationen mit 71 weiteren Wohnungen erstellt werden (Ausgabe vom 2. Juni).

Einzigartigkeit hervorheben

Ein wiederbelebter historischer Dorfkern solle nicht zuletzt identitätsstiftend wirken, merkt der Gemeinderat in einer Mitteilung an. Wie dies gelingen soll, erklärt Gemeindepräsident Hansruedi Estermann (CVP) so: «Der Fokus liegt diesbezüglich im Bereich des Dorfbaches, dem Bereich um die Kapelle und den Freiraum beim Sternenhaus.» Das markante Gebäude solle dazu beitragen, die «Einzigartigkeit dieses historischen Ortes» hervorzuheben, sagt Estermann. «Der grosszügige Freiraum gegen den Dorfbach wird sich ins Gedächtnis einprägen.»

Doch weshalb brauchen Gemeinden wie Geuensee solche «identitätsstiftenden Orte» überhaupt? Estermann erklärt es so:

«Jeder Ort ist wie eine Wohnung im grossen Massstab. Es gibt private und öffentliche Räume. Der öffentliche Raum lässt sich mit der Stube vergleichen. Hier trifft man sich, man fühlt sich wohl, hier spielt sich das soziale Leben ab.»

Und weiter sagt Estermann: «Die Stube vergisst man nie. Jeder Mensch erinnert sich an sie, so gesehen symbolisiert die Stube ein Stück Heimat.» Verändere man öffentlichen Raum, so sei es so, als ob man das eingeprägte Bild der Stube verändert. «Weil jeder die Stube als zentralen Begegnungsort schätzt, ist es wichtig, solche identitätsstiftenden Orte zu schaffen», so Estermann.

Das Projekt bedingt eine Teilrevision der Ortsplanung. Der Wunsch des Gemeinderates ist es, dass diese an der Gemeindeversammlung vom kommenden November gutgeheissen wird. Der Baustart könnte somit im Herbst 2020 erfolgen. Der Bezug der neuen Liegenschaften ist zwischen 2022 und 2023 vorgesehen.

Raumplanungsgesetz war Auslöser des Trends

Dass das Thema der Dorfkernentwicklung in den vergangenen zehn Jahren so wichtig war, kommt nicht von ungefähr. Als Haupttriebfeder identifiziert Stefan Kunz von der Hochschule Luzern die Revision des Raumplanungsgesetzes, welches 2014 in Kraft trat. Das Gesetz verlangt unter anderem, dass Gemeinden bestehende Baulandreserven nutzen, bevor sie neue Bauzonen ausweisen. Man spricht dabei von einer «Siedlungsentwicklung nach innen».

«Notwendigerweise fällt der Fokus bei der Entwicklung der Gemeinden heute vermehrt auf die Dorfkerne. Bebauungsprojekte müssen seither aber auch vermehrt zwischen diversen Akteuren verhandelt werden.» Ein interdisziplinäres Team der Hochschule Luzern erarbeitete im Zuge des Bundesmodellvorhabens «Nachhaltige Raumentwicklung 2014-2018» hierfür entsprechende Methoden. Damit soll der Einbezug der Bedürfnisse betroffener Anspruchsgruppen sichergestellt und so für eine breite Akzeptanz des jeweiligen Projekts gesorgt werden. Das Vorgehen wurde im Kanton Luzern in mehreren Gemeinden erprobt. Darunter etwa bei den Projekten zum «Dorfzentrum» in Ballwil, zur «Dorfkernerneuerung» in Entlebuch oder der «Zentrumsentwicklung» in Schüpfheim.

«Die Verbundenheit der Bevölkerung zu ihrem Wohnort ist ein enorm wichtiger Faktor», sagt Kunz über solche Projekte. Es gelte deshalb zu erörtern, was die Identität einer Gemeinde ausmacht, dies zu pflegen und weiterzuentwickeln. «Identitätsstiftend können dabei beispielsweise historische Bauwerke, öffentliche Räume oder auch zentrale Nutzungen wie die Dorfbeiz sein», so Kunz.