LUZERNER WALD: Gefrässige Wildtiere bedrohnen den Weisstannenbestand

Die Weisstannen der hiesigen Wälder leiden. Grund: Hirsche, Rehe und Gämsen fressen sie ab. Doch das ist nicht das einzige Problem dieser Tannenart.

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Zwei Gämsen fressen Triebe von Weisstannen. (Bild: pd)

Zwei Gämsen fressen Triebe von Weisstannen. (Bild: pd)

Sie gilt als Königin der Nadelhölzer: die Weisstanne. Für die Entwicklung der Wälder ist dieses Kieferngewächs von besonderer Bedeutung. «Die Weisstanne ist ökologisch eine äusserst wertvolle Baumart. Sie ist an unser Klima sehr gut angepasst, wurzelt tief, produziert viel Holz und ist widerstandsfähig gegen Borkenkäfer», wie Silvio Covi erklärt, Leiter Fachbereich Schutzwald bei der Dienststelle Landwirtschaft und Wald (Lawa) des Kantons Luzern.

Der Bestand der Weisstannen in den hiesigen Wäldern nimmt allerdings gebietsweise tendenziell ab und bringt dadurch das ökologische Gleichgewicht ins Wanken. Ein Grund für die Abnahme sind Wildtiere wie Hirsche, Gämsen und Rehe. Denn die Weisstanne steht auf deren Speiseplan sehr weit oben.

Pilatusgebiet stark betroffen

Betroffen vom Verbiss – dem Abfressen der Bäume durch Tiere – ist vorwiegend die Region Pilatus, bestimmte Gebiete der Rigi und der Gütschwald, wie der aktuelle Waldentwicklungsplan der Region Luzern zeigt. Über die Gründe, weshalb Weisstannen in diesen Regionen besonders unter dem Verbiss leiden, kann nur gemutmasst werden. Covi sagt: «Verbiss kann man grundsätzlich überall im Wald beobachten, weil der Wald ein wichtiger Lebensraum für die Wildtiere ist. Knospen und Triebe sind insbesondere im Winter eine wichtige Nahrungsquelle.» Konkrete Zahlen, wie viele Tannen verbissen werden, gibt es nicht. Doch detaillierte Bilder aus «Fotofallen» helfen, den Verbiss der Weisstannen in diesen Regionen zu ermitteln. «Aufnahmen zeigen, dass im Pilatusgebiet der Verbiss an der Weisstanne zu hoch ist», sagt Covi.

Bruno Röösli, Leiter Abteilung Wald beim Bundesamt für Umwelt (Bafu), stützt die Vermutung von Covi: «Es ist auffällig, dass Weisstannen häufiger von Verbiss betroffen sind und dadurch beschädigt werden oder sogar absterben.» Konkretere Angaben findet man im Waldbericht des Bundesamts für Umwelt (Bafu) des laufenden Jahres. Daraus geht hervor, dass die Verbissintensität an Waldbäumen zwischen 1995 und 2013 in den Alpen und insbesondere auf der Alpensüdseite zugenommen hat. Weiter steht im Bericht, dass die Zunahme sich in den Alpen hauptsächlich durch den stärkeren Weisstannenverbiss erklären lässt. Ein wichtiger Grund für die Zunahme des Verbisses sind laut dem Bafu-Bericht die wachsenden Bestände des Rothirsches. Hinzu kommen Fege- und Schälschäden – hauptsächlich durch den Rothirsch verursacht.

Ursachen unklar

Komplex gestaltet sich die Erklärung, warum vorwiegend Weisstannen verbissen werden. Covi sagt: «Der Verbiss ist von vielen Faktoren abhängig. So zum Beispiel von der Anzahl der Tiere, vom Nahrungsangebot, den Lebensräumen ausserhalb des Waldes und den Deckungsmöglichkeiten. Könnten wir die Ursache klar ermitteln, hätten wir das Verbissproblem besser unter Kontrolle.» In der Regel fressen die Wildtiere die Jungbäume. «Diese sind für die Tiere auf der idealen Höhe, und die Weisstanne scheint besonders lecker», so Waldexperte Silvio Covi.

Die Königin der Nadelhölzer ist für unsere Schutzwälder unabdingbar. Mit dem zunehmenden Verbiss ist die ökologische Balance allerdings gefährdet. Könnte man nicht mehr solche Bäume pflanzen, um dem schwindenden Weisstannenbestand entgegenzuwirken? Covi erklärt: «Das Wald- und das Jagdgesetz bestimmen, dass sich unsere Wälder natürlich verjüngen sollen.»

Schutzwald-Qualität leidet

Gemäss Röösli vom Bafu muss man sich um die Quantität der dritthäufigsten Schweizer Baumart derzeit etwas weniger Sorgen machen als um die Qualität. «Die verbissenen Bäume erschweren die Waldverjüngung und schwächen längerfristig den Schutzwald», sagt er. Vermehrtes Pflanzen von Weisstannen sei nur sinnvoll, wenn die naturnahe Mischung der Baumarten nicht mehr gewährleistet sei, sagt Röösli weiter. Laut Bafu-Waldbericht ist eine natürliche Verjüngung der betroffenen Arten ohne teure Schutzmassnahmen wie Zäune und Einzelschütze vielerorts nicht mehr möglich, obwohl das Waldgesetz dies verlangt.

Von zentraler Bedeutung für die Problemlösung ist die Regulierung des Wildes durch Jagd. Aber auch Massnahmen zur Lebensraumaufwertung und -beruhigung sind wichtig, die das Nahrungsangebot des Wildes verbessern und Störungen reduzieren. Das bestätigt auch Covi: «Wir sind in einem engen Austausch mit den Jagdgesellschaften.» Zudem hält er fest, dass die Weisstanne für die Holzverarbeitung lange nicht sehr beliebt war. «Das Holz ist schwer und die Verarbeitung aufwendiger als beispielsweise das Holz der Fichte.»

Kampagnen für mehr Weisstannen

Die Problematik des Verbisses bei Weisstannen ist nicht völlig neu. Covi sagt: «Es liegt in der Natur der Sache, dass es von Jahr zu Jahr Schwankungen gibt.» Im März dieses Jahres hat Proholz Lignum Luzern, die Dachorganisation der Wald- und Holzwirtschaft, eine Kampagne für die Förderung der Weisstanne lanciert. Damit will man sie vermehrt an geeigneten Standorten wie etwa auf schweren Böden im Flachland oder in höheren Lagen fördern. Die Luzerner Wald- und Holzbranche setzt deshalb vermehrt auf das noch nicht ausgeschöpfte Potenzial der Weisstanne. Covi: «Die Weisstanne fristete lange ein Schattendasein. Mittlerweile sind ihre Rolle in den Wäldern und die Vorzüge ihres Holzes besser bekannt – und da soll angesetzt werden.»

Yasmin Kunz

Ein Reh tappt in die Fotofalle. (Bild: pd)

Ein Reh tappt in die Fotofalle. (Bild: pd)