Ein 21-jähriger Schweizer hat während knapp einem Jahr zahlreiche Schüler in Umkleidekabinen gefilmt. Aufgeflogen ist er im Schwimmbad Mooshüsli in Emmen – rein zufällig.
Es ist ein Fall, der gleich mehrere Luzerner Schulen beschäftigt. Ein Mann hat mit seiner Kamera Primarschulkinder in der Garderobe auf Video aufgenommen. Seine Kamera hat er in Umkleideräumen von Schwimmbädern oder Turnhallen positioniert. Teils filmte er auch von aussen ins Gebäudeinnere. Die Kinder wurden in den Schwimmbädern Spitz in Horw und im Mooshüsli in Emmen beim Umziehen und beim Gang unter die Dusche aufgenommen. Simon Kopp, Sprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft, bestätigt entsprechende Recherchen unserer Zeitung.
Betroffen sind drei Klassen der Primarschule in Horw, die im örtlichen Schwimmbad beim Schulhaus Spitz waren, und zwei Klassen in Neuenkirch, die im Mooshüsli in Emmen Schwimmunterricht hatten. Gefilmt wurden auch vier Juniorenmannschaften des Sportclubs Emmen in den Umkleidekabinen. Der mutmassliche Täter, ein 21-jähriger Schweizer und Assistenztrainer des Sportclubs Emmen, hat zwischen November 2017 und Dezember 2018 rund 80 identifizierbare Kinder und zirka zehn Lehrpersonen oder Trainer gefilmt. Simon Kopp sagt:
«Es handelt sich primär um Bilder von männlichen Personen, die auf den Aufnahmen teils nackt sind.»
Zu den Schulen in Horw und Neuenkirch hatte der Mann keinen Bezug. In Horw war er aber als Handwerker tätig und hat sich so Zugang zu den Umkleidekabinen verschafft. Welche Schüler genau betroffen sind, wertet die Luzerner Polizei und Staatsanwaltschaft nun aus. «Wir sind jetzt dabei, die Kinder mit ausgewählten Vertrauenspersonen zu identifizieren. Die Eltern der möglichen Opfer wurden alle schriftlich informiert.» Das Schreiben wurde diese Woche via Post verschickt.
Der Mann wurde festgenommen, nachdem er in einem Schwimmbad in Emmen mit seinem Handy versteckt Aufnahmen gemacht hat. Das von ihm positionierte Gerät wurde von einem Gast entdeckt und an der Kasse abgegeben. Der mutmassliche Täter konnte dann ermittelt, festgenommen und verhört werden. Er ist geständig, wie Kopp auf Anfrage sagt. Weitere ähnliche Straftaten sind keine bekannt. Für den Mann gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Von seinem Amt als Assistenztrainer musste er sofort zurücktreten. Auch wurde ihm gemäss SC Emmen Hausverbot für das gesamte Areal der Sportanlage Feldbreite erteilt sowie der Zutritt zu sämtlichen eingefriedeten Sportanlagen untersagt.
Markus Studer, Präsident SC Emmen, ist schockiert über den Vorfall und verurteilt diese Tat «aufs Schärfste». Der Mann war ab der Saison 2016/17 als Assistenztrainer tätig. Heisst: Er war nie mit den Kindern alleine, sondern immer im Begleitung des Haupttrainers – meist handelt es sich dabei um einen Vater eines der Kinder, wie Studer erklärt. Ob man nichts gemerkt hat? «Nein», sagt Studer. «Der Mann hat sich gegenüber den Kindern nie auffällig verhalten.» Bevor es zu einer Anstellung als Assistenztrainer kommt, werden Referenzen eingeholt, betont der Präsident.
Bei der Hausdurchsuchung – der Mann wohnt in der Agglomeration Luzern – wurden von der Luzerner Polizei weitere Datenträger beschlagnahmt. Ob noch mehr Bildmaterial von Buben entdeckt wurde, kann bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. «Die Auswertungen sind noch am Laufen», so Kopp. Darum sei auch das Strafmass noch nicht bekannt.
Bisher ausschliessen lässt sich gemäss Kopp jedoch, dass es zu sexuellen Übergriffen gekommen ist. Ebenfalls schon fest steht: Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Mann die Videos, die er gemacht hat, ins Internet gestellt und auch sonst auf keinem medialen Kanal verbreitet hat. Die Qualität der Aufnahmen sei ausserdem «schlecht», wie Kopp sagt. Darum gestalte sich die Identifizierung der Kinder sehr schwierig.
Die Eltern der betroffenen Kinder haben laut Simon Kopp die Möglichkeit, Anzeige wegen Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte zu erstatten. Es handelt sich um ein Antragsdelikt. Die Bilder werden nach Abschluss des Verfahrens gelöscht. «Die Eltern und Opfer müssen sich diesbezüglich keine Sorgen machen. Wir behandeln die Fotos sehr vertraulich und sie werden nur ausgewählten Personen gezeigt – zwecks Identifikation», hält der Sprecher der Luzerner Staatsanwaltschaft fest.
Sobald weitere Informationen vorliegen, wird die Staatsanwaltschaft die Eltern erneut kontaktieren. Laut Kopp haben die betroffenen Institutionen «sehr professionell und schnell reagiert». Die Gemeindeschule Horw hat aufgrund des Vorfalls die Sicherheitsmassnahmen bei der Schwimmhalle verschärft, indem die Hochfenster mit einer Folie abgeklebt wurden, wie Rektor Daniel Bachmann auf Anfrage sagt. Zudem sei man offen, mit den betroffenen Eltern darüber zu sprechen. Ein Treffen habe dieser Tage bereits stattgefunden. «Das Spektrum der Verunsicherung ist sehr unterschiedlich», sagt Bachmann und fügt an:
«Für einige Eltern ist der Vorfall sehr schlimm, andere hingegen sind gefasster.»
Bachmann betont, dass man diese Ängste ernst nehme und auch bereits analysiert habe, wo die Schule noch in Sicherheitsmassnahmen investieren könnte. Er weist jedoch darauf hin, dass eine Schule ein öffentlicher Ort sei. «Das bestehende Sicherheitsdispositiv wird deswegen nicht verschärft, die Kinder sollen und müssen sich frei fühlen an der Schule. Wir wollen sie nicht überwachen.» Bachmann betont indes, dass die Lehrer durch den Vorfall noch sensibilisierter geworden seien.
Auch in Neuenkirch bedauert man den Vorfall, wie Rektor Lucien Kraft auf Anfrage sagt. Er geht davon aus, dass bei den betroffenen Schülern und Eltern sowie Lehrpersonen Unsicherheiten aufkommen werden, wofür er Verständnis zeigt. Er hält fest:
«Wer das Bedürfnis hat, über den Vorfall zu sprechen, darf jederzeit auf mich oder die Schulleitung zukommen.»
Man sei zudem in engem Austausch mit der Luzerner Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei. «Wir schätzen die Unterstützung durch die Behörden sehr.» Die Geschehnisse werden wohl noch länger Thema bleiben an den Schulen. In Neuenkirch sind deswegen keine weiteren Vorkehrungen nötig, wie der Rektor sagt. «Schon heute sind die Umkleidekabinen von aussen nicht einsehbar. Zudem ist der Hauswart sensibilisiert, die Kabinen regelmässig zu prüfen.»
Der letzte ähnliche Vorfall ereignete sich im Jahr 2002. Damals hat der Trainer eines Schwimmvereins Dutzende Schwimmerinnen in der Umkleidekabine in der Schwimmhalle Krauer in Kriens gefilmt. Der Mann hat die Sportlerinnen während acht Jahren mit einer versteckten Kamera beim Umziehen aufgenommen. Betroffen waren ausschliesslich Frauen und Mädchen aus der von ihm betreuten Elitemannschaft. Der Trainer hatte das Bildmaterial nur für persönliche Zwecke verwendet, wie die Strafuntersuchungsbehörden damals mitteilten. Er wurde sofort von allen seinen Aufgaben entbunden und musste sich in Behandlung begeben.