Weil er sich um seine Nachbarin und deren Sohn gesorgt hat, meldete sich ein Luzerner mehrfach bei der Kesb. Er gab an, die Frau sei «psychisch in einem desolaten Zustand.» Damit machte er sich gemäss Bezirksgericht der üblen Nachrede schuldig.
Er ist ein pensionierter Lehrer. Dank seinem gesellschaftlichen Engagement hat er in seinem Dorf ein gewisses Ansehen – was ihm wichtig ist. Umso mehr tut ihm weh, was passiert ist: Er wurde wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 1400 Franken verurteilt. Und das, obwohl er nur helfen wollte, wie er gegenüber den Behörden immer und immer wieder versichert hat.
Drehen wir die Zeit ein paar Monate zurück: Der Pensionär hat ein gutes Einvernehmen mit dem Ehepaar, das vor einiger Zeit in sein Haus in seiner Nachbarschaft gezogen ist. Mit dem Mann verbindet ihn sein Hobby, der Kontakt ist freundschaftlich. Und so bekommt er auch mit, als bei den Eheleuten der Haussegen schief hängt. Er versucht zu vermitteln und redet den beiden gut zu, die Ehe nicht leichtfertig aufzugeben.
Die Situation eskaliert trotzdem. Der Ehemann zieht weg und die Mietzinszahlungen bleiben aus. Der Vermieter sieht sich gezwungen, der Frau die Wohnung zu künden. Er will es ihr schonend beibringen und geht persönlich vorbei. Den Eindruck, den sie dabei auf ihn macht, entsetzt ihn. «Sie kam vornüber gebeugt in einem grauen Mantel mit finsterter Miene aus dem Keller. Sie hat ausgesehen wie eine Hexe», schildert der Mann die Situation vor dem Bezirksgericht. «Ich bin völlig fertig. Ich kann nicht mehr und will nicht mehr», soll sie gesagt haben. Daraufhin sei ihm «obermulmig» geworden. «Ich hatte das Gefühl, dass sie ohne Weiteres in die Wohnung hochgehen und sich ein Messer in den Bauch stecken könnte.» Nach Rücksprache mit dem Ehemann der Frau entschied er, bei der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) eine Gefährdungmeldung zu machen: Er teilte dieser mit, die Frau sei in einem «psychisch so desolaten Zustand, dass sie sich und eventuell ihrem Kind ein Leid antun könnte». Sie reagiere «hysterisch» und «schizoid». Zwei Tage später rief der Mann erneut an und bekräftigte, die Frau sei «irre».
Er habe den Eindruck gehabt, dass die Kesb die Sache nicht ernst nehme, erklärte er zu seiner Verteidigung. Deshalb habe er erneut Alarm geschlagen – und nicht, um die Frau anzuschwärzen. Doch obwohl man ihm vonseiten der Behörde versicherte, dass Abklärungen laufen, meldete der Mann sich zwei Wochen später erneut telefonisch. Nochmals gab er an, dass er an der «psychischen Konsitution» der Frau zweifle. Er ging schliesslich sogar so weit, das für das Scheidungsverfahren zuständige Gericht zu warnen, dass die Frau eine Kindesentführung begehen könnte. Dies nachdem die Mieterin ankündigte, mit ihrem Sohn ins Ausland zu ziehen.
Spätestens damit hat der Mann gemäss Bezirksgericht den Bogen überspannt. Es gibt der Frau recht, die ihrem Vermieter eine Ehrverletzung vorwirft. Er habe psychiatrische Fachausdrücke missbraucht, um die Frau als verschroben und abnorm dazustellen – und er habe ihre Fähigkeiten als Mutter implizit in Zweifel gezogen. Das sei beleidigend, zumal die Abklärungen der Kesb sowie Arztzeugnisse bestätigt hätten, dass die Frau nicht unter einer psychischen Störung, sondern nur unter der schmerzvollen Trennung gelitten hatte. «Es wird nicht in Abrede gestellt, dass er mitunter auch helfen wollte», heisst es im Urteil. Das Gesetz erlaube es jeder Person, der Kesb Meldung zu machen, wenn jemand hilfsbedürftig wirke. Aber: der betreffenden Person müsse bei ihrer Wortwahl bewusst sein, dass die Grenzen der Strafbarkeit nicht überschritten werden dürfen. «Andernfalls wäre eine Gefährdungsmeldung ein Freipass für eine Ehrverletzung.»
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es keine offizielle Vorgaben dazu gibt, wie Gefährdungsmeldungen formuliert sein sollen. Verschiedene Kesbstellen geben immerhin Formulare dazu ab. «Den Rahmen gibt das Strafrecht vor», sagt Diana Wider, Generalsekretärin der schweizerischen Konferenz für Kindes und Erwachsenenschutz (siehe Kasten). Sie findet es wichtig, dass bei der Beurteilung solcher Fälle von den Gerichten berücksichtigt wird, dass es sich bei den privaten Meldern meist nicht um Juristen, sondern um Laien handelt. Das sei wichtig, damit keine zusätzliche Hemmschwelle für Gefährdungsmeldungen geschaffen werde – und in der Regel werde es auch so gehandhabt.
Die SVP verlangt derzeit in mehreren Kantonen, darunter Zug, dass künftig nicht mehr jedermann hilfsbedürftige Menschen bei der Kesb melden darf – um genau solche Denunziationen zu verhindern. Der Fall zeigt gemäss Wider klar: Es wird von den Gerichten nicht toleriert, wenn Gefährdungsmeldungen übers Ziel hinausschiessen. «Das Melderecht einzuschränken ist also völlig unnötig.»