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Die Gemeinden im Kanton Luzern haben letztes Jahr für die Gesundheit 318 Franken pro Einwohner ausgegeben – über fünf Mal mehr als zehn Jahre zuvor. Grund ist die 2011 eingeführte Pflegefinanzierung. Die Kommunen sind auch in Zukunft stark gefordert.
Gesundheit hat ihren Preis – und dieser steigt für die Gemeinden jedes Jahr. Fast zehn Prozent ihrer Steuergelder haben die Luzerner Gemeinden letztes Jahr für die Gesundheit ausgegeben, 2007 waren es keine zwei Prozent. Konkret: Die Gesundheit hat die Gemeinderechnungen 2017 netto mit 128,6 Millionen Franken belastet. Das sind 318 Franken pro Einwohner. 2007 waren es nur 58 Franken, wie Zahlen von Lustat Statistik zeigen. Mit Nettobelastung sind die Ausgaben abzüglich allfälliger Einnahmen in diesem Bereich gemeint. In allen anderen Aufgabenbereichen sind die Zahlen entweder rückläufig oder sie stagnieren (siehe Grafik).
Hauptursache für die markante Kostensteigerung bei der Gesundheit ist die auf den 1. Januar 2011 in Kraft getretene Pflegefinanzierung. Seither gibt es für die Kostenanteile von Krankenversicherungen und Heimbewohnern eine Obergrenze. Den Rest müssen die Gemeinden stemmen. Übrigens gibt auch der Kanton Luzern immer mehr für die Gesundheit aus. Er kommt zusammen mit den Krankenkassen für die stationären Spitalbehandlungen auf. 2007 betrug die Nettobelastung noch 489 Franken pro Einwohner, 2016 bereits 841 Franken.
Die Kostensteigerung ist für die Gemeinden keine Überraschung. Schliesslich sei dies die Folge von politischen Entscheidungen, sagt Armin Hartmann, Bereichsleiter Finanzen beim Verband Luzerner Gemeinden. Der Schlierbacher Gemeindeammann und SVP-Kantonsrat fügt aber auch an: «Das Kostenwachstum bei der Gesundheit ist und bleibt ein Problem für die Gemeindefinanzen.» Verteufeln will er die Pflegefinanzierung deswegen nicht – im Gegenteil: Sie habe zu einer besseren Transparenz geführt. Ein Vergleich mit den Zahlen vor 2011 sei mit Vorsicht zu geniessen, weil damals einzelne Kostenanteile zum Teil über Umwege verbucht worden seien. Die neue Regelung sei dank der Obergrenze für die Bewohner auch sozialverträglicher, sagt Paolo Hendry, Leiter der Abteilung Alter und Gesundheit bei der Stadt Luzern.
Welche Rezepte haben die Gemeinden, um das Kostenwachstum zu steuern? Hartmann nennt zwei Beispiele: Auslagerung von Pflegeheimen in eigenständige Aktiengesellschaften und Ausbau des Spitex-Angebots. Ersteres erlaube den Gemeinden mehr Flexibilität, ohne als Alleinaktionär die Kontrolle abgeben zu müssen. Derweil seien die Spitex-Angebote günstiger als Heimaufenthalte. Zwar müsse gewährleistet sein, dass Betroffene die Art der Pflege selber wählen können. «Aber ein gut ausgebautes Spitex-Angebot erlaubt auch Menschen mit höherem Pflegebedarf, zu Hause zu bleiben, was wiederum die Gemeindefinanzen entlastet.»
Hochdorf hat 2007 als erste Gemeinde im Kanton die Alters- und Pflegeheime in eine Aktiengesellschaft ausgelagert, die Residio AG. Und mit dem Zusammenschluss der Seetaler Spitex-Organisationen auf nächstes Jahr wird der dortige Verbund zum kantonsweit drittgrössten. Sozialvorsteher Daniel Rüttimann betont, dass es nicht darum gehe, die beiden Modelle gegeneinander auszuspielen: «Es braucht zwingend beides und dies in guter Qualität.»
«Die Pflegefinanzierung ist für uns zwar eine grosse Belastung, aber auch ein Auftrag, den wir umzusetzen haben.»
Daniel Rüttimann, Sozialvorsteher Hochdorf
Auch der CVP-Gemeinderat stellt sich hinter die Pflegefinanzierung. «Sie ist für uns zwar eine grosse Belastung, aber auch ein Auftrag, den wir umzusetzen haben.» Der Kostenanstieg sei nicht überraschend. «Wir wussten, was auf uns zukommen wird. Die Auslagerung der Heime und das Stärken der Spitex haben uns zu einem gewissen Grad entlastet. Es zeigt sich zudem, dass grössere Institutionen längerfristig besser imstande sein werden, die verschiedenen Bedürfnisse abzudecken.»
Paolo Hendry von der Stadt Luzern erklärt: «Der Kostendruck durch die Pflegefinanzierung und andere Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Stadt Luzern verschiedene Sparpakete geschnürt und auch die Steuern moderat erhöht hat.» Dank dieser Massnahmen habe man die Finanzen aber wieder im Griff. «Diesen Zustand gefährden aber externe Faktoren wie etwa die kantonale Aufgaben- und Finanzreform 2018, gegen die sich der Stadtrat in der vorliegenden Fassung entschieden ausspricht. Die Pflegefinanzierung ist aber nicht unmittelbar von dieser Reform betroffen.»
Zwar wird die Pflegefinanzierung von den Gemeinden akzeptiert. Doch das gilt laut Hartmann nur für die Gegenwart. Denn wegen der Demografie – der Anteil der älteren Bevölkerung nimmt stetig zu – und wegen weiterer gesundheitspolitischer Dossiers hebt Armin Hartmann den Mahnfinger: «Die finanzielle Belastung im Gesundheitsbereich wird für die Gemeinden weiter zunehmen.» Darum erwartet der Gemeindevertreter, dass sich künftig auch die Krankenversicherer und allenfalls die Heimbewohner stärker beteiligen. Sprich: Die Kostendeckel bei diesen Gruppen müssten allenfalls angehoben werden.
In die gleiche Kerbe schlägt Paolo Hendry von der Stadt Luzern: «Was uns und auch die Leistungserbringer aktuell am meisten beschäftigt, sind die teilweise sehr komplizierte Abwicklung sowie rechtliche Fragen, die von den Gerichten über Präjudizfälle geklärt werden müssen, beispielsweise bei ungeklärten Zuständigkeiten von Gemeinden und Versicherern. Da sehen wir Optimierungsbedarf.»
«Bei ungeklärten Zuständigkeiten von Gemeinden und Versicherern sehen wir Optimierungsbedarf.»
Paolo Hendry, Abteilung Alter und Gesundheit Stadt Luzern
Derzeit wird auf Bundesebene über eine gleichwertige Finanzierung von ambulanten wie stationären Behandlungen diskutiert. Die Kantone wünschen hier auch einen Einbezug der Pflege und damit eine Beteiligung der Gemeinden. Hartmann: «Die Entwicklung werden wir genau beobachten und allenfalls auf eine möglichst gerechte Kostenverteilung hinwirken.»
Dem stimmt auch der Hochdorfer Sozialvorsteher Daniel Rüttimann zu. «Alle Beteiligten müssen an diesem Dossier mitwirken – auch die Krankenkassen. Die Kostenfolgen im Gesundheitswesen aufgrund der demografischen Entwicklung sind nicht allein von den Gemeinden zu tragen.»
Doch gerade die Krankenkassen gehen derzeit auf Konfrontationskurs. Weil sie gemäss Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jahrelang zu Unrecht Spritzen, Verbandsmaterial oder Inkontinenz-Einlagen bezahlt haben, stellen die Kassen nun der öffentlichen Hand Rückforderungen in Millionenhöhe. Allein im Kanton Luzern dürfte sich der Betrag auf vier Millionen Franken belaufen (Artikel vom Samstag). Betroffen sind rund 60 Heime – und damit die Gemeinden.
Zwar sind die Gesundheitskosten für die Luzerner Gemeinden im Durchschnitt markant gestiegen. Doch die Unterschiede zwischen den Kommunen sind gross. In Altishofen stieg die Nettobelastung bei der Gesundheit von 1 Franken im Jahr 2007 auf 226 Franken pro Einwohner 2017 an. In der Nachbargemeinde Ebersecken, die bald mit Altishofen fusioniert, ist das Kostenwachstum ähnlich gross: von 4 auf 492 Franken. Umgekehrter Trend in Dierikon: Hier sank die Nettobelastung innert zehn Jahren von 126 auf 104 Franken pro Kopf.
Unterschiedlich haben sich die Kosten auch bei den grösseren Gemeinden entwickelt. Die Stadt Luzern gab 2007 140 Franken pro Einwohner für die Gesundheit aus, 2017 waren es 504 Franken. Es ist gleichzeitig die höchste Pro-Kopf-Belastung aller Gemeinden. In Kriens stieg die Belastung von 37 auf 419 Franken, in Emmen von 43 auf 305 Franken, in Sursee sank sie von 43 auf 37 Franken.
Die grossen Unterschiede haben laut Armin Hartmann, Bereichsleiter Finanzen beim Verband Luzerner Gemeinden, mehrere Gründe. Zum Beispiel, ob und wann Alters- und Pflegeheime ausgelagert worden sind und wie die Gemeinden strukturiert sind. So haben manche Gemeinden mehr stark pflegebedürftige Bewohner als andere. Es komme aber auch darauf an, wie dicht das Angebot an Spitex-Diensten ist.
Hartmann weist zudem darauf hin, dass gerade in kleineren Gemeinden einzelne Fälle von stark pflegebedürftigen Einwohnern sich entsprechend stark auf die Gemeindekasse auswirken. «Das führt zu je nach Situation zu teilweise grossen Schwankungen bei den Kosten», sagt der Schlierbacher Gemeindeammann und SVP-Kantonsrat. (avd)