Musikhörenden Fussgänger angefahren: Bundesgericht spricht Luzerner Autofahrer frei

Das Bundesgericht hat die Verurteilung eines Autofahrers aufgehoben, dem sechseinhalb Meter vor einem Fussgängerstreifen ein musikhörender Fussgänger vor das Auto gelaufen war.

Manuel Bühlmann
Drucken
Das Bundesgericht hat einen Autolenker freigesprochen, dem unvermittelt ein Fussgänger vor das Auto lief. (Symbolbild: Gaetan Bally / Keystone)

Das Bundesgericht hat einen Autolenker freigesprochen, dem unvermittelt ein Fussgänger vor das Auto lief. (Symbolbild: Gaetan Bally / Keystone)

Plötzlich tritt jemand auf die Strasse, direkt vors Auto, die Vollbremsung kommt, doch sie kommt zu spät. Das Horrorszenario ist für einen Autofahrer wenige Tage vor Weihnachten 2014 im Kanton Luzern Realität geworden. Der angefahrene Fussgänger erlitt ein Schädelhirntrauma sowie Prellungen an Ellbogen und Oberschenkel.

Der Autofahrer erhielt über ein Jahr nach dem Vorfall Post von der Staatsanwaltschaft Emmen. Per Strafbefehl wurde er zu einer Busse von 600 Franken verurteilt. Der Vorwurf: Nichtgewähren des Vortritts mit einem Personenwagen gegenüber einem Fussgänger auf einem Fussgängerstreifen. Dagegen wehrte sich der Beschuldigte und erreichte vor dem Bezirksgericht Hochdorf zumindest eine Reduktion der Busse auf 200 Franken. Der Schuldspruch jedoch blieb, nun allerdings wegen «Nichtbeherrschens des Fahrzeugs infolge mangelnder Aufmerksamkeit». Das Luzerner Kantonsgericht bestätigte das Urteil mit der Begründung, der Autofahrer hätte den Fussgänger früher bemerken, eine Sekunde eher bremsen und auf diese Weise die Folgen der unvermeidbaren Kollision mildern können.

Sechs Meter vor dem Fussgängerstreifen

Eine Argumentation, die der Beschuldigte nicht akzeptieren wollte. Vor Bundesgericht verlangte er einen Freispruch. In seiner Beschwerde verteidigte er sich damit, er habe nicht damit rechnen müssen, dass der Mann mehr als sechs Meter vor dem Fussgängerstreifen unvermittelt auf die Strasse hinaustrete. Das Verhalten des Fussgängers sei überraschend gewesen, diesen treffe «ein grobes Selbstverschulden». Aus dem am Freitag veröffentlichten Urteil gehen Details zu den Hintergründen des Unfalls hervor.

«Ursache des Verkehrsunfalls ist das unvorhersehbare, überraschende Verhalten des Fussgängers.»
Bundesgericht

Der Fussgänger hörte Musik, war dunkel gekleidet und trat unvermittelt auf die Strasse, um diese auf dem kürzesten Weg zu überqueren. Ausserdem waren Wetter und Sicht schlecht. Eine Kollision hätte der Autofahrer aber auch dann nicht verhindern können, wenn er den Mann früher gesehen hätte, befinden die Bundesrichter. Die Geschwindigkeit von 35 bis 40 Stundenkilometern sei den Verhältnissen angepasst gewesen.

Wie wenig Zeit zum Reagieren geblieben ist, wird an einer Zahl deutlich: 0,8 Sekunden vergingen zwischen dem Betreten der Strasse und dem Zusammenprall. Das Fazit des Bundesgerichts: «Ursache des Verkehrsunfalls ist das unvorhersehbare, überraschende Verhalten des Fussgängers.» Der Autofahrer hat Erfolg mit seiner Beschwerde, der Schuldspruch gegen ihn wird aufgehoben – und er erhält vom Kanton Luzern 3000 Franken Parteientschädigung.

(Urteil 6B_1294/2017 vom 19.09.2018)