Die 16-jährigen Lernenden haben das Schicksal von zwei jüdischen Deutschen während des Zweiten Weltkriegs kennen gelernt. Dabei haben sie auch den Bogen zu aktuellen Ereignissen gespannt.
Anlässlich des nationalen Holocaust-Gedenktags hat die Kantonsschule Reussbühl am Donnerstag ein Treffen mit Margalith Altmann, der Tochter von zwei Holocaustüberlebenden, organisiert. Die 53-Jährige erzählte den Jugendlichen einer 4. Klasse vor allem von den Erfahrungen ihres Vaters. Er war mit seiner Familie in den 1930er-Jahren von Deutschland in die Niederlande geflüchtet. Dort wurden sie verraten, woraufhin sie ins Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht wurden. Kurz vor Kriegsende waren sie – im Effort der Nationalsozialisten, noch möglichst viele Juden zu vernichten – während zwölf Tagen in einem Zug ohne Essen und Trinken gefangen, der nach Auschwitz fahren sollte. Sie überlebten nur mit Glück.
Ein Schüler zeigte sich nach der Erzählung insbesondere darüber schockiert, wie die Nazis damals ihre «horrenden Taten gerechtfertigt» und dabei «jegliche Fakten hinter sich gelassen» hätten. Eine Schülerin betont, dass auch heute noch ähnliche Tendenzen zu beobachten seien. «Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns damit befassen, was während des Zweiten Weltkriegs geschah.» Ihre Kollegin ergänzt: «Dieser Blick in die Geschichte zeigt für mich auch, dass wir zum Beispiel bei den Uiguren-Lagern in China jetzt handeln müssen.» Und was nicht zu unterschätzen sei:
«Es ist auch eine Frage des Respekts gegenüber den Opfern, dass wir noch darüber sprechen. Wenn wir es vergessen, wird es unwichtig.»
So wurde in der Fragerunde nach Altmanns Schilderung auch die aktuelle Präsenz von Antisemitismus angesprochen. Dies sei häufig ein Thema, erklärt sie anschliessend – sie war schon in rund 15 Klassen in der ganzen Schweiz zu Besuch, um die Geschichte ihrer Eltern wiederzugeben.
Das Gespräch wurde von der SET Stiftung Erziehung zur Toleranz organisiert. Diese hat Kontakt zu über 20 Nachkommen von Holocaustüberlebenden, die auf Anfrage in Schulklassen gehen, um ihre Familiengeschichte zu erzählen. «Das kann natürlich den einordnenden Geschichtsunterricht nicht ersetzen, bietet aber eine Alternative zur Verwendung von Videos, um die individuellen Schicksale der Schoah weiterzugeben», sagt Urs Urech, Geschäftsleiter der Stiftung. Die Rückmeldungen der Lernenden seien bisher sehr positiv. In naher Zukunft soll in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Zürich die Wirkung dieser Gespräche evaluiert werden.
Als einzige Kantonsschule im Kanton Luzern organisiert Reussbühl jährlich einen Thementag zum Holocaust für alle Lernenden der 4. Klasse zum nationalen Holocaust-Gedenktag vom 27. Januar. In den anderen Kantonsschulen wird in unregelmässigen Abständen etwas zum Gedenktag organisiert, im aktuellen Jahr finden keine weiteren Projekttage statt.
Zum Holocaust-Gedenktag vom 27. Januar veröffentlicht die Pädagogische Hochschule (PH) Luzern die erste «IWalk»-App der Schweiz zum Thema «Das jüdische Luzern 1933-1945». Das geht aus einer Mitteilung der PH hervor. Präsentiert werden in der kostenlosen App Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie andere Quellen. Die App führt während einer Stunde zu historischen Orten in der Stadt Luzern und verbindet die Materialien mit historischen und zeitgenössischen Orten. Unter dem Namen «IWalk – USC Shoah Foundation» kann die App im Appstore heruntergeladen werden. Sie eigne sich laut der Mitteilung auch für die Vermittlung an Schulen und Hochschulen – die Anwendung sei nicht ortsgebunden.