Der Bau der Seewasserleitung ermöglichte einen archäologischen Einblick in den Luzerner Seegrund. Dabei wurden Spuren eines Dorfes aus der Bronzezeit gefunden. Es ist ein Sensationsfund.
Was Archäologen schon seit längerem vermutet haben, können sie nun endlich belegen: In der Stadt Luzern leben nicht erst seit dem Frühmittelalter Menschen, sondern deutlich länger. Beim Bau einer Leitung für die EWL-Energiezentrale beim Inseli quer durchs Seebecken wurden in vier Metern Tiefe rund 30 Pfähle und 5 Scherben gefunden. Deren Alter haben die Archäologen auf 1000 vor Christus datiert. Das entspricht der späten Bronzezeit. Die Geschichte der Stadt erweitert sich damit auf einen Schlag um fast 2000 Jahre.
«Auf den ersten Blick erscheint der Fund vielleicht nicht sehr umfangreich, doch er hat es in sich», sagte Anna Kienholz vom Fachbereich Ur- und Frühgeschichte der Kantonsarchäologie Luzern am Donnerstag vor den Medien. Eine der Scherben ordnet die Expertin einer spätbronzezeitlichen, glatt polierten Schale zu, eine weitere einem prähistorischen Kochtopf. Die 3000 Jahre alten Holzpfähle seien ausserordentlich gut erhalten, die Bearbeitung mit Bronzewerkzeugen gut sichtbar.
Die Siedlung habe möglicherweise ausgesehen wie jene im Surseer Zellmoos: Mehrere Hütten, dicht an dicht gebaut, umgeben von einer Palisade. Die wohl feuchten Zufahrtswege waren mit Hölzern ausgelegt. Die Luzerner Pfahlbausiedlung ist erst die zweite, die am Vierwaldstättersee entdeckt wurde. Die Erste fand man 2003 im nidwaldnerischen Kehrsiten.
Der Fund sei aussergewöhnlich, weil sich die Stadtgeschichte archäologisch bislang nur ungefähr ins 10. Jahrhundert zurückverfolgen liesse, erklärte Fabian Küng, stellvertretender Luzerner Kantonsarchäologe. «Es gibt zwar aus prähistorischer Zeit Einzelfunde wie Steinbeile oder römische Münzen, jedoch keine Überreste von Bauten oder Gräbern», so Küng. Die Wissenschaftler folgerten, dass sich die Landschaft stark verändert haben muss. Konkret, dass der Seespiegel einige Meter tiefer lag.
Den Nachweis erbrachten vor 25 Jahren Bauarbeiten für das Parkhaus Casino-Palace. Alte Verlandungsschichten zeigten, dass der Seespiegel bis ins Frühmittelalter rund fünf Meter tiefer war als heute. Der Seeanstieg liege wohl darin begründet, dass bei Unwettern Geröll und Geschiebe aus dem Krienbach Richtung Reuss geschoben wurde und den Seeausfluss zunehmend einengten. «Bis ins Frühmittelalter war das Luzerner Seebecken eine zum grössten Teil bewohnbare Fläche. Sie war etwa elf Mal so gross wie die heutige Altstadt», so Küng.
Das Seeufer verlief ungefähr vom Verkehrshaus zum Tribschen. Bislang fehlten Hinweise auf Siedlungen, weil der Seegrund mit einer dicken Schlammschicht bedeckt ist. Die Baggerarbeiten für die Seeleitung bedeuteten nun den Durchbruch. Die Funde würden endlich bestätigen, was schon länger vermutet wurde. «Die Geschichte der Stadt Luzern darf neu geschrieben werden», so Küng.
«Beim Fund handelt es sich um einen kulturgeschichtlichen Paukenschlag, und er ist von ausserordentlicher Bedeutung», sagte der Luzerner Bildungs- und Kulturdirektor Marcel Schwerzmann (parteilos). «Die ersten Luzerner waren demnach nicht Mönche des Klosters, sondern Pfahlbau-Menschen.»
Die Baggerarbeiten für die Seeleitung fanden grösstenteils vergangenes Jahr statt und wurden von Taucharchäologinnen und -archäologen der Stadt Zürich im Auftrag der Kantonsarchäologie Luzern begleitet. Wie diese Profi-Equipe arbeitet, demonstrierte sie eindrücklich im zweiten Teil des Medienanlasses. Er fand mitten auf dem See auf Booten bei der Fundstelle statt, die rund 400 Meter vom Ufer entfernt liegt. Prompt entdeckten die Taucher in vier Metern Tiefe einen weiteren, rund 30 Zentimeter langen prähistorischen Pfahl.
«Nach unserer Erfahrung zu schliessen verbirgt sich an der Fundstelle eine grössere Siedlung aus der Bronzezeit», sagte Andreas Mäder, Leiter der Zürcher Unterwasserarchäologie. Weitere Erkenntnisse könnten mittels Sonar- und Akustikverfahren oder mit Tiefenbohrungen gewonnen werden. Laut dem Luzerner Kantonsarchäologen Jürg Manser sind weitere Ausgrabungen im Seebecken momentan nicht geplant. Die Kantonsarchäologie werde in der Regel erst aktiv, um Bauprojekte zu begleiten, bei denen archäologische Fundstellen vermutet werden. «Ich freue mich, dass wir beim Seeleitungsbau die Gunst der Stunde nutzen konnten und nun wie erhofft diese sensationelle Entdeckung gemacht haben.»
Laut Anna Kienholz werfen die Funde viele Fragen auf, insbesondere, ob Luzerns Geschichte noch weiter zurückreicht. Das sei aufgrund der verkehrstechnisch günstigen Lage zu vermuten. «Der Fund stammt aus der späten Pfahlbauzeit, doch diese dauerte insgesamt 3500 Jahre», so Kienholz. Indizien für eine weitere Siedlung im Luzerner Seebecken gibt es jedenfalls bereits. 500 Meter weiter entfernt entdeckte die Zürcher Tauch-Equipe diesen Frühling einen weiteren Pfahl.