POLIZEIKRISE: Die Chronologie der Eskalation

Yvonne Schärli und Beat Hensler waren laut einem internen Verbandsschreiben schon im Januar über die Vorfälle im Bild. Haben sie den Ernst der Lage unterschätzt?

Alexander von Däniken
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Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli und Beat Hensler, Kommandand der Luzerner Polizei. (Bild: Nadia Schärli / Neue LZ)

Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli und Beat Hensler, Kommandand der Luzerner Polizei. (Bild: Nadia Schärli / Neue LZ)

Die Luzerner Polizeikrise macht seit Ende Juni schweizweit Schlagzeilen. Jüngstes Beispiel ist ein Fall von schweren Vorwürfen an einen Kaderpolizisten, der von jungen Polizistinnen sexuelle Leistungen gefordert und im Gegenzug ein gutes Zeugnis in Aussicht gestellt haben soll, wie Recherchen unserer Zeitung ergeben haben (Ausgabe von gestern). Der externe Untersuchungsleiter Jürg Sollberger ermittelt nun in diesem Fall. Für die Aufarbeitung aller bisher bekannten Fälle eingesetzt worden ist er von SP-Regierungsrätin Yvonne Schärli am 8. Juli. Rund eine Woche zuvor hat Schärli angekündigt, den Vorfall des Polizisten, welcher an Heiligabend 2010 seine Freundin verprügelte, neu aufzurollen (Ausgabe vom 28. Juni).

Schärli wusste allerdings schon mindestens ein halbes Jahr vor ihren eingeleiteten Massnahmen zumindest teilweise über den Fall des Prügel-Polizisten und weitere Fälle Bescheid. Dies geht aus einer Sonderausgabe der «VLP-News» vom 14. November hervor, dem Mitteilungsorgan des Verbands der Luzerner Polizei (VLP), welches unserer Zeitung vorliegt. Es liest sich wie ein Protokoll einer angekündigten Eskalation.

Dienstag, 15. Januar 2013

Der VLP ist erzürnt: Sechs Tage zuvor hat Polizeikommandant Beat Hensler an den «Kick Ass Awards» des Jugendsenders Radio 3fach einen Preis für die «schönste Nachtruhestörung» an eine Gruppe verliehen, welche eine illegale Party veranstaltet hatte. Nun kommt es zu einer Aussprache zwischen dem VLP und Hensler. Dabei macht der VLP den Polizeichef erstmals auf mehrere Vorfälle aufmerksam, welche dem VLP zuvor von Mitgliedern zugetragen wurden und im Korps «für Missstimmung sorgen».

Der Verband empfiehlt Hensler, die bestehenden Regelungen und Dienstbefehle umzusetzen, bei Fehlverhalten sofort zu reagieren und bei Personalentscheiden mehr Fingerspitzengefühl zu zeigen. Das entspricht ziemlich genau den Empfehlungen, welche der externe Untersuchungsleiter Jürg Sollberger bei der Präsentation seines Zwischenberichts am 20. August machen wird. Hensler und der Verband einigen sich auf monatliche Aussprachen zwischen dem VLP und dem Kommandanten, um sich über den aktuellen Stand der Aufarbeitung auszutauschen.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Wegen der fragwürdigen Preisverleihung trifft sich der VLP auch mit Yvonne Schärli – und schildert ihr ebenfalls die ihm bekannten Vorfälle. Im Verbandsblatt heisst es: «Während der Aufzählung signalisierte Regierungsrätin Schärli, dass sie von den Vorfällen Kenntnis hätte, sodass auf nähere Ausführungen und Erklärungen verzichtet werden konnte.» Der Verband wiederholt die an Hensler gerichteten Empfehlungen und fordert eine korrekte Aufarbeitung der Vorfälle.

Donnerstag, 21. Februar 2013

Monatliche Aussprache zwischen dem VLP und Beat Hensler. Laut dem Verband werden Lösungsvarianten diskutiert. An weiteren Gesprächen soll Hensler konkrete Lösungen präsentieren und den Dienstbefehl 4.01.07 (Ermittlung gegen Korpsangehörige) überarbeiten.

Montag, 14. April 2013

Seit Februar findet laut VLP keine monatliche Aussprache mehr statt. Der Verband wird aber wegen Recherchen von der «Rundschau» kontaktiert – erstmals, wie er versichert. Der VLP leitet die Medienanfrage an die Luzerner Polizei weiter. Dieses Vorgehen wurde im Januar zwischen Hensler und dem Verband vereinbart.

Mittwoch, 15. Mai 2013

Beim Jahresrapport der Sicherheitspolizei Stadt treffen sich der VLP und Hensler. Der Kommandant soll dem Verband Terminvorschläge für weitere Aussprachen unterbreiten. Ausserdem informiert der VLP den Kommandanten über die «Rundschau»-Recherchen.

Mittwoch, 26. Juni 2013

SRF berichtet über zwei happige Vorfälle. Im Fernsehbericht wird auch aus einer schriftlichen Stellungnahme des VLP zitiert. Damit verstiess der VLP gegen die Abmachung vom Januar. Immerhin hat der Verband Hensler und Schärli zwei Tage vor der Ausstrahlung über die Stellungnahme informiert. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist das Verhältnis zwischen dem Verband und Hensler/Schärli gestört. Letztere vermuten, der Verband habe Details der Fälle den Medien zugespielt, was der Verband vehement bestreitet.

Schärli «nur spärlich informiert»?

Schärli sagte bei der Präsentation des Zwischenberichts von Jürg Sollberger am 20. August: «Über die Beförderungen im Allgemeinen und jene, welche jetzt untersucht werden, wurde ich nur spärlich informiert – wenn überhaupt.» Und zur Kritik, sie habe zu lange zugeschaut, sagte sie drei Tage später unserer Zeitung: «Weder früher noch heute gelte ich als jemand, der wegschaut. Wenn ich umfassend und genau informiert bin, dann entscheide und handle ich.»

Die Regierungsrätin wusste – wie der Kommandant –, dass sich die Krise anbahnt. Was sagt sie dazu? Hat sie den Ernst der Lage zu spät erkannt? «Nein, diesen Eindruck habe ich im Moment nicht», sagt Schärli und betont, dies habe sie schon mehrmals gesagt. Zu konkreten Fragen über das in der Verbandsschrift stehende Protokoll könne sie sich nicht äussern. Sie bezieht sich dabei auf die laufenden Verfahren – vor allem jenes in der Aufsichts- und Kontrollkommission des Parlaments.

Schärli sagt hingegen: «Es ist und war uns – und so verstehen wir auch den VLP – immer ein grosses Anliegen, dass die Zusammenarbeit mit dem Personalverband dialog- und lösungsorientiert stattfindet. Einige der in der Verbandsschrift aufgeführten Punkte wurden bereits angegangen.» So habe das Departement zum Beispiel zusammen mit der Geschäftsleitung der Luzerner Polizei bereits Anfang Juli 2013 beschlossen, die Art und Weise der Zusammenarbeit mit dem VLP zu verbessern und eine paritätische Projektgruppe eingesetzt. «Auf Anfrage habe ich erfahren, dass das Projekt gut laufe.» Und: «In den vergangenen zehn Jahren stand ich mit dem VLP in gutem Austausch.»