Startseite
Zentralschweiz
Luzern
Fälle von sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld sind auch im Kanton Luzern bekannt. Zum Schutz und zur Prävention hat die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Dokumente dazu ausgearbeitet – doch kaum eine Kirchgemeinde nutzt sie.
Es sind Vorwürfe, die von sexuell gefärbten Äusserungen bis hin zu Vergewaltigungen reichen: Letztes Jahr haben sich hierzulande 65 Personen gemeldet, die von Kirchenleuten sexuell belästigt oder missbraucht wurden (Ausgabe vom Donnerstag). Zahlen für den Kanton Luzern gibt die Statistik führende Schweizer Bischofskonferenz nicht bekannt. Doch klar ist: Auch hier kommt es zu Missbrauch. Erst vor einem Jahr wurde ein katholischer Gefängnis-Seelsorger wegen mehrfacher Begünstigung und versuchter sexueller Handlungen verurteilt.
Die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Luzern hat im Jahr 2013 zum Schutz vor sexueller Belästigung und Ausbeutung eine sogenannte Selbstverpflichtung erarbeitet. Alle rund 25 Mitarbeitenden der Landeskirche mussten diese unterzeichnen. Sie verpflichten sich damit, die «sexuelle, seelische und körperliche Unversehrtheit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen» zu schützen. Mögliche Übergriffe werden einer dafür bestimmten, externen Vertrauensperson gemeldet.
Besteht ein begründeter Tatverdacht, wird die verdächtige Person zur Selbstanzeige aufgefordert. Wird dem nicht Folge geleistet, erstattet die Landeskirche Anzeige nach staatlichem Recht. Je nach Schwere des Delikts reichen die personalrechtlichen Massnahmen von einem schriftlichen Verweis bis zur fristlosen Kündigung. Zivil- und strafrechtliche Schritte bleiben vorbehalten. «Das Ziel ist, dass alle kirchlichen Mitarbeiter eine solche Erklärung unterschreiben», sagte Synodalrätin Renata Asal-Steger damals.
«Aus Sicht der Landeskirche wäre es wünschenswert, dass weitere Kirchgemeinden die Selbstverpflichtung einführen. Aber wir können nur Empfehlungen abgeben.»
Renata Asal-Steger, Synodalrätin
Fünf Jahre später sieht die Bilanz allerdings mager aus: Synodalrätin Asal-Steger weiss nur von den Kirchgemeinden der Stadt Luzern, Hochdorf und Hitzkirch, die bereits mit dem Regelwerk arbeiten. «Aus Sicht der Landeskirche wäre es wünschenswert, dass weitere folgen. Aber wir können nur Empfehlungen abgeben. Die kommunale Autonomie gilt es zu respektieren.» Über Gründe für die fehlende Resonanz kann sie nur mutmassen: «Vielleicht, weil keine Vorfälle im Umfeld bekannt sind. Vielleicht auch schlicht aus Überlastung.»
Immerhin: Mit Sursee besitzt nun eine weitere Kirchgemeinde eine Selbstverpflichtung. Der Kirchenrat hat sie am Dienstag verabschiedet. «Die Selbstverpflichtung ist sehr positiv aufgenommen worden, denn im Verdachtsfall gibt sie Sicherheit und klare Handlungsanweisungen», sagt Kirchenratspräsident Anton Kaufmann. 70 Personen – vom Seelsorger, über die Katechetin bis hin zum Organisten – stehen auf der Lohnliste der Kirchgemeinde und müssen das Dokument nun unterzeichnen.
«Ich hoffe nicht, dass nun Fehltritte gemeldet werden. Aber ich rechne damit.»
Claudio Tomassini, Gemeindeleiter Pfarrei Sursee
Bereits im April hatten sie eine Weiterbildung zu «Nähe und Distanz» zu besuchen. Diese habe im Vorfeld etwas Skepsis ausgelöst, sei dann aber auf ein sehr positives Echo gestossen, sagt Gemeindeleiter Claudio Tomassini. «Man muss die Dinge beim Namen nennen. Die Selbstverpflichtung wird nun auch auf der Website der Pfarrei publiziert, ein wichtiges Signal. Wir verfolgen eine Null-Toleranz-Politik.» Er hoffe nicht, dass nun Fehltritte gemeldet werden. «Aber ich rechne damit.»
Kirchenratspräsident Kaufmann betont die Wichtigkeit der Regelung: «Missbräuche im kirchlichen Umfeld sind nicht tolerierbar und müssen strafrechtlich geahndet werden. Wegen solcher Vorfälle geht die gute Arbeit, die in einer Pfarrei geleistet wird, völlig unter. Wir müssen aktiv dafür sorgen, dass das Image der Kirche nicht weiter leidet und Seelsorger nicht unter Generalverdacht geraten.» Bereits heute werden Personen, die sich um eine Stelle bewerben, genau geprüft. «Von den engsten Kandidaten verlangen wir einen ausführlichen Strafregisterauszug.»
«Die Selbstverpflichtung stand aufgrund von anderen Projekten nie zuoberst auf der Prioritätenliste.»
Anton Kaufmann, Präsident Kirchgemeinde Sursee
Die Surseer Selbstverpflichtung entspricht grosso modo der Vorlage der Landeskirche. Warum hat man die Unterzeichnung derart lange hinausgezögert? «Unserem Gemeindeleiter Claudio Tomassini war dies schon lange ein Anliegen, aber es stand aufgrund von anderen Projekten nie zuoberst auf der Prioritätenliste», sagt Kaufmann, der seit 2014 im Kirchenrat ist. Wohl auch, weil Sursee bislang von Übergriffen verschont blieb. «Mir sind jedenfalls keine Vorfälle bekannt und ich habe auch keinen Grund, daran zu zweifeln», sagt Kaufmann.
Tomassini pflichtet ihm bei und fügt an: «Dass die Unterzeichnung just in Tagen erfolgt, an denen das Thema der sexuellen Übergriffe medial wieder hohe Wellen wirft, ist Zufall.» Die Kirchgemeinde prüft nun, ob die Verpflichtung auch auf die Freiwilligenarbeit ausgeweitet wird.
Synodalrätin Renata Asal-Steger freut sich über jede Kirchgemeinde, die dem Beispiel Sursee folgt. Aber: «Das Unterzeichnen eines Papiers alleine bringt wenig.» Es brauche Sensibilisierung, Weiterbildung und stetes Thematisieren. «Die Mitarbeitenden der Landeskirche werden beispielsweise bei jedem Jahresgespräch zu möglichen Nähe-Distanz-Problemen befragt. Bei Neuanstellungen holen wir – mit Einverständnis der Bewerbenden – dazu weitere Auskünfte ein.» Diese Rückversicherung habe aber bislang noch nie zu einer Absage geführt.