Kolumne
Randnotiz: Rom und das menschliche Herdenverhalten

Menschen folgen oft der Masse. Dieses Phänomen konnte unser Autor kürzlich in Rom beobachten – und er ertappte sich selber dabei.

Arno Renggli
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Arno Renggli.

Arno Renggli.

Kürzlich hatte ich in Rom Gelegenheit, menschliches Herdenverhalten besonders gut zu beobachten. Etwa beim Überqueren der Strasse: Die Ampel steht noch auf Rot, aber sobald der Erste losläuft, geht die Herdenmehrheit mit, sofern sich nicht akute Todesgefahr abzeichnet.

Bei der Engelsburg spielten 100 Meter voneinander entfernt zwei Strassenmusiker «Someone Like You» von Adele, mit exakt gleicher Inbrunst und exakt gleichem Playback. Der Erste fand kaum Beachtung, um den Zweiten scharten sich immer mehr Leute. Vielleicht lag’s auch daran, dass der 50-jährige Mann bar jeder Ästhetik, aber PR-trächtig Minirock und High Heels trug.

Offenbar fühlen sich die Leute im Kollektiv wohl, sogar in der gigantischen Schlange vor dem Kolosseum. Stoisch standen sie da. Derweil ich mir im benachbarten Forum Romanum bei viel kürzerem Zulauf ein Kombi­ticket holte und flugs im Kolosseum war (aber nicht weitersagen!). Dass ich überhaupt rein wollte, zeigt: Auch ich folge der Masse. Und so buchte ich auch noch eine Vatikan-Führung.

Dabei wurde ich selber Opfer des Massenwahns. Derweil die Museen interessant waren, erwies sich die hochgepriesene Sixtinische Kapelle – bei allem Respekt vor Michelangelos Leistung – als klaustrophobisch voller, ausdünstungsgeschwängerter Ort mit übereifrigen Aufsehern. Und die gross­­artigen Bilder kann man wunderbar im Internet betrachten, aber nicht weit oben an der Decke. Was einmal mehr zeigte: Die Masse ist leicht verführbar und hat nicht immer recht. Die gequälten Mienen der anderen Touristen schienen mir recht zu geben.