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Luitgardis Sonderegger-Müller hat die Luzerner Stiftung Rodtegg während ihrer Zeit als Direktorin stark geprägt. Die 65-jährige Surseerin scheute auch nicht davor zurück, finanzielle Missstände anzuprangern.
Es falle ihr schwer, an ihre letzten Arbeitstage zu denken. Denn es gäbe noch vieles, das sie umsetzen wolle. Doch Mitte Juli ist es so weit: Nach 14 Jahren als Direktorin der Luzerner Stiftung Rodtegg für Menschen mit körperlicher Behinderung geht Luitgardis Sonderegger-Müller in Pension. Etwas einfacher fällt der 65-Jährigen dieser Schritt beim Gedanken, «dass mein Team und ich in den vergangenen Jahren viel erreicht haben», wie sie sagt.
In der Tat. Sonderegger, gross gewachsen, liebevolle Ausstrahlung mit etwas Schalk in den Augen, hat die 1965 gegründete soziale Einrichtung stark geprägt. Das zeigt nicht zuletzt eine 24-seitige Chronik, welche eigens zu ihrem Abschied erstellt worden ist. Seit ihrem Stellenantritt im Mai 2005 hat sich die Anzahl Mitarbeiter und Klienten fast verdoppelt, auf rund 300 respektive 240, das Budget wurde aufgestockt, die Organisationsstruktur vereinfacht. Diese richtet sich nicht mehr nach dem Angebot, sondern stellt den Menschen mit Behinderungen ins Zentrum.
Für die gute Unternehmensführung wurde die Stiftung erst kürzlich beim renommierten Esprix-Award als Finalistin ausgezeichnet. Ein Wirtschaftspreis für eine soziale Einrichtung: Das gibt es nicht alle Tage. Und zeugt von einem guten Management.
Doch Sonderegger möchte die Lorbeeren nicht für sich alleine einheimsen. «Ich habe eine super Führungscrew und engagierte Mitarbeitende», betont die Surseerin immer wieder. Auf deren Rückhalt musste sie in den vergangenen Jahren besonders zählen. Denn die kürzere Vergangenheit war geprägt von Sparmassnahmen des Kantons, welche die Rodtegg direkt zu spüren bekam. «Wir hatten zwei Möglichkeiten: Entweder wir sparen beim Personal und damit bei der Qualität – oder beim Angebot.» Der Entscheid fiel auf Letzteres. So musste die Stiftung 2015 das Zusatzangebot für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen an Wochenenden und während der Schulferien stark reduzieren.
Die Sparmassnahmen kritisierte Sonderegger immer wieder mit pointierten Stellungnahmen, was nicht ganz unproblematisch war. Schliesslich war und ist die Stiftung darauf angewiesen, auch künftig Geld vom Kanton zu erhalten. Für ihre Äusserungen erntete sie deshalb nicht nur Lob – extern wie intern. «Diese Zeit war nicht einfach. Doch wenn man weiss, wofür man kämpft, dann hält man so was aus.» Ihr sei es nie darum gegangen, möglichst allen zu gefallen. Sie habe sich eingesetzt, auch wenn sie wusste, sich damit Kritik auszusetzen, formulierte es jüngst Emil Ziegler, Bereichsleiter Dienste bei der Rodtegg, in seiner Rede zum Abschied seiner Chefin, wie in der Chronik zu lesen ist.
Als Sonderegger diese Passage vorliest, schiessen ihr Tränen in die Augen – die Verbundenheit mit ihren Mitarbeitern und der Stiftung ist gross. Sie spricht daher auch lieber davon, was die Organisation als Ganzes während ihrer Zeit als Direktorin erreicht hat. Sie nennt etwa den Aufbau des internen Kommunikationsnetzwerkes, der Ausbau des Bereichs Erwachsene mit Behinderungen mit einem 365-Tage-Angebot sowie die Etablierung einer Willkommens- und Diskussionskultur.
Gerade auf Letzteres ist Luitgardis Sonderegger stolz. «In der Geschäftsleitung pflegen wir – im positiven Sinne – eine Streitkultur. Ich erwarte von allen Mitarbeitern, sich kritisch einzubringen.» Nur so komme man auf Lösungen, die von allen getragen werden. Sie selber könne dabei durchaus auch hartnäckig sein – «oder wie mein Mann oft sagt: manchmal auch sturköpfig», sagt Sonderegger und lacht.
Ihr Mann ist es auch, mit dem die 65-Jährige bald in die Ferien geht. Die beiden Hunde, Frau Muff und Herr Meier, seien auch dabei. Doch untätig bleiben wird Luitgardis Sonderegger nach ihrer Pensionierung nicht. Im Gegenteil. Im Herbst wird sie sich fünf Wochen bei einem Sozialhilfeprojekt im Inselstaat Samoa im Südpazifik ehrenamtlich engagieren.
Längerfristig kann sie sich zudem vorstellen, ein Kinderhospiz zu gründen. Und sie liebäugelt mit einem Uni-Studium. «Ethik würde mich interessieren.» Das dafür nötige Rüstzeug und die Ausdauer nimmt die gelernte Primarlehrerin bestimmt mit – schliesslich begann sie mit 47 Jahren neben ihrer damaligen Management-Funktion noch ein Jus-Studium. Dazu sagt sie: «Man hat nie ausgelernt.»