19 Jahre war Walter Christen als Quartierpolizist an der Baselstrasse mit Drogen und Prostituierten konfrontiert. Dennoch fühlte er sich stets gut aufgehoben.
Walter Christen hat sich immer vor einem Arbeitstag in einem viereckigen Bürozimmer gefürchtet. Er will nach draussen, den Kontakt zu den Leuten suchen und etwas bewirken. Als Quartierpolizist kann er das, jedenfalls noch ein paar Tage lang. Denn am 7. März ist Schluss. Christen, 61-jährig, geht in Pension und verlässt seine Quartiere Kleinstadt, Säli-Bruch-Obergütsch und Wächter am Gütsch nach 19 Jahren.
Soll man nun Mitleid haben mit einem Polizisten, der jahrelang zu Fuss und alleine am vermeintlich schlimmsten Ort der Stadt, der Baselstrasse, patrouillierte? Überhaupt nicht, findet der gelernte Metzger Walter Christen. «Der Ruf der Baselstrasse war immer viel schlechter als die Realität.» Klar, als er nach 16 Jahren bei der Polizei in den Quartierbereich wechselte, wurde die Strasse von einer neuen Drogenszene heimgesucht, die bis heute ihre Spuren hinterlassen hat. «Ganz zerschlagen kann man den Drogenhandel nicht, solange sich so viele Abnehmer und Anbieter im Quartier aufhalten.» Und ja, der Drogenstrich und seine Auswirkungen habe die Anwohner mehrere Jahre geplagt, bis er im letzten Jahr durch das neue städtische Reglement ins Industriegebiet verbannt worden ist. «Aber ich habe kein anderes Quartier erlebt, in dem so viele verschiedene Leute am gleichen Karren ziehen», sagt Christen und spricht damit etwa den Verein Basel-Bernstrasse-Luzern (BaBeL) oder den Sentitreff an. Zudem herrsche hier eine grosse Herzlichkeit.
In seiner Zeit als Quartierpolizist ist Christen nie in eine gefährliche Situation geraten. «Zwei-, dreimal ist es hitzig geworden, doch immer haben sich Bewohner in diesen Situationen vor mich hingestellt und Dinge gesagt wie ‹Hey, lass den Quartierpolizisten in Ruhe›.» Das sei ein gutes Gefühl gewesen.
Walter Christen hatte nie Mühe, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. «Ich wurde von Anfang an gut in meinen Quartieren aufgenommen.» Dass er bis vor kurzem alleine unterwegs war, hat sicher geholfen. Seit der Fusion der Kantons- und der Stadtpolizei 2010 ist immer auch ein Kollege aus dem jeweiligen Einsatzzug dabei. Die Leute hätten seither zwar eher Probleme, ihm etwas Vertrauliches mitzuteilen, da eine Zweierpatrouille abschreckend wirken könne. Trotzdem sieht Christen auch Vorteile: «Seit der Eingliederung der Quartierpolizisten wissen die Kollegen viel besser über die Probleme in den verschiedenen Gebieten Bescheid.» Zudem sei man in einem Notfall nicht mehr auf sich alleine gestellt.
Besonders wichtig war Christen immer, dass die Leute im Quartier zueinander schauen. Denn mehrfach hat er Fälle von Vereinsamung erlebt. Einmal, so erzählt er, seien an einem Tag gleich zwei Verstorbene aus einem Wohnblock geholt worden. Einer der beiden sei schon seit Wochen tot gewesen. «Daraufhin habe ich die Bewohner sensibilisiert, immer einen Blick auf den Briefkasten des Nachbarn zu werfen.
Den Respekt der Bevölkerung hat er sich nach und nach verdienen müssen. In einem Quartier mit 70 verschiedenen Nationalitäten nicht immer einfach. Junge ausländische Männer hätten früher oft auf den Boden gespuckt, nachdem sie den Quartierpolizisten passierten. Auch weil Polizisten in ihrem Land teils mit einem negativen Ruf behaftet sind. Das musste Christen zuerst lernen. Er weiss inzwischen aber auch, dass der Weg zu den Leuten über die ganz Kleinen führt. «Zuerst grüssen dich die Kinder, dann die Mutter und ganz am Schluss auch noch der Vater.»
Was beschäftigt die Leute rund um den Kasernenplatz und den Kreuzstutz am meisten? «Der Verkehr», sagt Christen ohne zu zögern, «weit vor Gewalt- oder Drogenproblemen.» Der stetige Fluss von Autos bringe Lärm und vor allem Dreck ins Quartier. «Oftmals werden die Hausfassaden an der Baselstrasse kritisiert. Aber man muss auch sehen, dass eine frisch gestrichene Fassade in anderen Quartieren viel länger gut aussieht.» Und natürlich sei der Abfall ganz allgemein immer wieder ein Thema. «Zu Zeiten des Drogenstrichs war es wirklich schlimm.»
Walter Christen wird auch nach seiner Pensionierung ein Auge auf «seine» Quartiere haben, wenn er durchfährt. «Meine Frau sagt zwar heute schon, dass ich nicht immer die Güselsäcke zählen soll, wenn ich an einem freien Tag durch die Bernstrasse fahre», sagt er und schmunzelt. Gedanken über die Zukunft der Quartierpolizisten – heute sind es sechs – macht er sich keine. «Ich bin überzeugt, dass es weiterhin Quartierpolizisten in der Stadt Luzern geben wird.» Sein Nachfolger wird von der Polizei noch ermittelt.