Nach den Olympischen Spielen soll 2015 die Luzerner Fasnacht in Sotschi stattfinden. Die russische Delegation ist begeistert, wie Facebook-Einträge zeigen.
Jetzt wird klar, was es mit dem Besuch einer russischen Delegation an der Luzerner Fasnacht (Ausgabe von gestern) auf sich hat: Im russischen Sotschi soll 2015 ein «Carneval» nach Luzerner Vorbild stattfinden. Das hält zumindest eine Gruppe potenter russischer «Kulturförderer» auf ihrer Facebook-Seite im Internet fest, die in diesen Tagen aufgeschaltet wurde. Einem Fotografen unserer Zeitung ist gestern ein Banner mit der Aufschrift «facebook.com/carneval2015russia» aufgefallen (siehe Bild). Dieses schätzungsweise drei Meter lange Ding hängt an einer Hausfassade am Stadtluzerner Mühlenplatz. Hier haben wohl Exponenten der Wey-Zunft Schützenhilfe geleistet. Sie stehen ja gemäss Recherchen unserer Zeitung mit den Russen in engem Kontakt.
Die Beiträge und Bilder auf dem Social-Media-Portal sind aufschlussreich. So will die russische Delegation hier vor Ort Kontakte knüpfen um dann, so offenbar die Vorstellung, die Möglichkeiten auszuloten, ganze Luzerner Fasnachtsgruppen inklusive Material nächstes Jahr nach Russland zu verfrachten. Grund für diese doch ziemlich spezielle Idee: Man wolle dafür sorgen, dass die «moderne und fantastische Destination Sotschi» am Schwarzen Meer auch nach den Olympischen Spielen nachhaltig genutzt wird. Das deutet darauf hin, dass es sich hier um Investoren handeln könnte, die ein Interesse daran haben, dass ihre Aufwände auch nach Olympia Profit abwerfen.
Nachdem die Wey-Zunft am Mittwoch auf Anfrage auf «Kein Kommentar» machte, musste Mediensprecher Roger Gehri gestern – auch aufgrund des bestens sichtbaren Russen-Banners in der Altstadt – bestätigen: «Ja, die Wey-Zunft ist an den Fasnachtstagen punktuell mit einer Gruppe Gäste aus Russland unterwegs.» Die Facebook-Einträge und hochgeladenen Fotos zeigen auch: Den Russen scheint es an der Luzerner Fasnacht recht gut zu gefallen.
Laut unbestätigten Angaben soll es sich um eine Gruppe mit vier oder fünf Personen handeln, auch die Bezeichnung «Oligarchen» ist zu hören. Die Delegation wird wohl von einem Russen mit Vornamen Igor geleitet, wie ein unserer Zeitung vorliegender Reservierungs-Fax zeigt. Wer genau diese Personen sind, will Zunftsprecher Gehri indes nicht sagen. Er bittet «um Verständnis, dass die Delegation um Diskretion gebeten hat, die wir selbstverständlich respektieren wollen». Konkret heisst das auch: Selbst innerhalb der Zunft sind nur einige wenige Zunfträte eingeweiht, wie eine Umfrage bei Zunft-Exponenten ergab.
Klar ist inzwischen auch: Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang mit dem Besuch der Luzerner Regierung, Wirtschaftsvertretern und Kulturschaffenden in Moskau vom letzten November. Wie ein Facebook-Eintrag zeigt, soll der Moskauer Gesundheitsminister Georgy Golukhov den Kontakt initiiert haben. Ihn hatte die Luzerner Delegation getroffen. Und bei ihm als «Förderer und Gönner» bedanken sich die Russen im Internet.
Doch wie sind die Russen überhaupt auf die Wey-Zunft gekommen? Laut Zunftsprecher Gehri sei man Ende November erstmals kontaktiert worden. Innerhalb des Zunftrats sei entschieden worden, sich auf den Besuchswunsch der Russen einzulassen – «allerdings, ohne irgendwelche Verpflichtungen einzugehen. Wir haben da überhaupt keine Erwartungen.» Es seien der Wey-Zunft auch kein Geld oder sonstige Leistungen in Aussicht gestellt worden. In ersten Reaktionen aus Fasnachtskreisen waren nämlich Befürchtungen laut geworden, wonach es hier um ein «lukratives Geschäft» gehen könnte.
Was die Idee betrifft, Luzerner Fasnächtler und ihre Sujets nach Sotschi zu verfrachten, so stellt sich aber dennoch die Frage nach den Kosten. Roger Gehri formuliert vorsichtig: «Eine Gruppe Investoren würde wohl für die Reise- und Transportkosten aufkommen. So viel haben die Russen bis dato durchblicken lassen.» Auf weitere Fragen gibts von Seiten Wey-Zunft keine Auskünfte.
Doch funktioniert das überhaupt, Fasnacht in Sotschi mit Luzerner Beteiligung? Bruno Spörri, Mediensprecher des Lozärner Fasnachtskomitees, ist skeptisch: «Mit dem nötigen Geld ist vieles möglich. Das haben die Russen gezeigt. Aber die Olympischen Spiele von Sotschi haben auch gezeigt, dass es an Emotionen fehlt.» Und auf das Herauslassen aller Gefühle, komme es bei der Fasnacht an. «Der Luzerner Fasnachtsvirus kann nicht transportiert werden. Es reicht ein Blick nach Zürich, um das zu sehen», so Spörri. Für Tourismus-Direktor Marcel Perren ist klar, «dass es sicher einige Jahre brauchen wird, bis die Fasnacht in Sotschi erfolgreich wird». Auch er glaubt, dass es in Sotschi «nie so rüüdig-verreckt sein kann wie in Luzern». Aber: «Es ist eine Ehre, wenn man kopiert wird.» Die touristische Bedeutung schätzt Perren für Sotschi grösser ein als für Luzern: «Wir konzentrieren uns im russischen Markt hauptsächlich auf Moskau und St. Petersburg. Dort ist das Potenzial grösser.»
Der Luzerner Stadtrat Adrian Borgula sagte gestern kurz vor dem Nachmittagsumzug auf Anfrage: «Es würde uns freuen, wenn ein so lebendiges Kulturgut wie die Luzerner Fasnacht in Russland Fuss fasst.» Auf offizielle Hilfe seitens der Stadt müsste die russische Delegation aber vorerst verzichten. Denn: «Bevor wir das Projekt unterstützen, stellen wir zur Bedingung, dass zuerst die Gütsch-Bahn betriebsbereit sein muss.»
Die russische Delegation an der Luzerner Fasnacht – die «Genossen» – wollen anonym bleiben. Doch wir wollen wissen, wer die Luzerner Fasnacht ans Schwarze Meer nach Sotschi exportieren will: Haben Sie die Russen gesehen? Frauen mit blonden Russenzöpfen? Männer mit Pelzmänteln oder -mützen? Wodkabrenner? Balalajka-Spieler? Schicken Sie uns die Fotos per E-Mail an stadt@luzernerzeitung.ch, oder laden Sie sie hoch unter www.luzernerzeitung.ch/leserbilder.