Manch einer hätte momentan genügend Zeit, um dringende Aufräumarbeiten zu tätigen. Warum es trotzdem nicht gelingt, darüber weiss unser Autor bestens Bescheid.
Nach jetzt doch schon fünf Wochen Lockdown mit weitgehendem Hausarrest bin ich etwas beschämt, dass ich es noch nicht geschafft habe, dringende Aufräumarbeiten zu tätigen. Arbeiten, die bereits vor fünf Wochen überfällig waren. Mein Bürozimmer würde ich nicht gerade als Saustall bezeichnen, aber es fehlt an einer ordnenden Hand. Was dieses (und nur dieses) Zimmer betrifft, hat es meine Frau schon früher aufgegeben, irgendetwas zu sagen. Augen zu und durch.
Umgeben von schiefen Papierbeigen und hinterrücks belagert von zwischengelagertem Elektroschrott ist mir schon nicht ganz wohl. Aber wenn ich mir mal einen Schubs gebe und versuche, wenigstens eine der Beigen abzutragen, kommt das einer Puffverlagerung gleich. Vom Pult auf den Tisch. Und umgekehrt. Ich habe mich einfach nicht im Griff, auch, weil alle paar Minuten eine Push-Meldung eintrifft, mit neuen Zahlen der Johns-Hopkins-Universität oder weiss der Kuckuck was. Johns Hopkins (1796–1873) hiess tatsächlich so. Nicht John. Johns hat es zu Ruhm und Reichtum gebracht, aber das Liebesglück fehlte. Stark zugeneigt war er einzig seiner Cousine Elizabeth. Die beiden durften nicht heiraten, schworen sicher aber, nie jemand anderes zu ehelichen. Sie hielten Wort.
Johns Hopkins wird es vielleicht im Himmel oben etwas trösten, dass sein Name seit kurzem in der Welt herumgeistert, ähnlich wie jene von (lebenden) Koryphäen, denen man nun permanent begegnet. Koch, Althaus, Aguzzi, Eichenberger, Drosten, Streeck, Kekulé, Salathé, und selbst den Namen des Hamburger Top-Virologen kann ich ohne zu stocken dahersagen: Jonas Schmidt-Chanasit. Wahnsinn. Schmidt-Chanasit.
Netterweise gibt es immer noch Fernsehsendungen, die sie nicht ums Virus drehen. Sorglos geniessen kann ich aber selbst diese nicht. Ich erschrecke mittlerweile immer ein wenig, wenn sich im TV die Menschen zu nahe kommen, weil die Sendung halt gedreht wurde, ehe es Abstandsregeln gab. Bei uns zwei Meter, in Deutschland anderthalb. Auch so eine Merkwürdigkeit.
Sicheren Abstand gehalten habe ich bislang wie erwähnt auch zu meinen Papierbeigen. Ein Ausweg wäre, alles in eine Kiste zu schmeissen und vors Haus zu stellen. «Zum Mitnehmen». Mit den alten Betty-Bossi-Kochbüchern hat das super geklappt, die gingen im Nu weg, jene mit starken Gebrauchsspuren («Kochen für Gäste») ebenso wie die weniger benutzten (unter anderem «Niedergaren leicht gemacht», «Lustvoll vegetarisch»).
Überhaupt hat sich unsere Strasse in den letzten Wochen zu einem kleinen Flohmarkt entwickelt. Die Leute entrümpeln ihre Wohnungen. Nur ich ziere mich noch. Dafür bin ich Vorreiter in einem Bereich, der anderen Kummer bereitet: dem Hochfahren. Das kann ich. Je länger die Krise dauert, desto besser. Hochfahren. Täglich. Mehrfach. Händeringend. Haareraufend. Hochfahren, bis zur Decke. Und manchmal schreie ich dazu. «Gopfschmidtchanasit nochmal!» oder so ähnlich.