SCHÜPFHEIM: Drei Generationen auf der Alp

Im Sommer zügeln die Portmanns mit der ganzen Familie auf die Alp. Sogar der 91-jährige Grossvater packt mit an.

Luzia Mattmann
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Auf der Alp vereint: (Von links) Käthi Portmann, Josef und Lisbeth Portmann, Josef Portmann senior und die Kinder Petra, Julia und Jonas Portmann. (Bild Pius Amrein)

Auf der Alp vereint: (Von links) Käthi Portmann, Josef und Lisbeth Portmann, Josef Portmann senior und die Kinder Petra, Julia und Jonas Portmann. (Bild Pius Amrein)

Die Alpen im Kanton Luzern weisen eine Besonderheit auf: Anders als in anderen Kantonen sind die meisten in Privatbesitz (siehe Kasten). So auch die Alp Äbnistettili auf 1320 Metern über Meer, weit oberhalb von Schüpfheim. Hier zieht im Sommer während vier Monaten die achtköpfige Familie Portmann-Ammann samt Grossmutter, Grossvater und Grossonkel ein. Mit ihnen auf der Alp: rund 50 Stück Vieh, dazu 7 Geissen, 3 Hasen, 3 Katzen samt Nachwuchs, 10 Hühner und Hund Shila.

Räuber unterwegs

Letzterer ist besonders wichtig, wenn es darum geht, einen Räuber vom Hof fernzuhalten. «Wenn sich der Fuchs dem Haus nähert, schlägt Shila an», weiss der 11-jährige Jonas. Vor Jahren hat der Fuchs 13 Hühner geholt und einen stolzen Gockel – seitdem sind Portmanns vorsichtig, und auch die Türen zu den Hasenkäfigen werden mit einem schweren Stein verbarrikadiert. Der Wolf hat sich zwar im Sommer noch nicht bemerkbar gemacht, doch Vater Josef Portmann (53) erzählt von Spuren im Schnee, wenn er im Winter auf der Alp zum Rechten sieht.

Doch die positiven Seiten der Natur überwiegen für die Familie: «Wenn wir nach dem Winter wieder zum ersten Mal hier rauf kommen, tun wir das, wenn immer möglich, an einem schulfreien Tag», sagt Lisbeth Portmann (49). Die Kinder strahlen. Für Julia (16), Petra (13) und Jonas (11) gehört die Alp einfach zum Sommer, auch wenn sie selbst anpacken müssen. Die Tage auf der Alp seien lang, aber auch schön, meint Lisbeth Portmann. Als Erste stehen Grossonkel Theodor (77) und Vater Josef um 5.15 Uhr auf und verrichten Arbeiten im Stall, um 6 Uhr folgt Mutter Lisbeth, und um 6.20 Uhr werden während der Schulzeit die Kinder geweckt. In den ersten paar Alpwochen ab Mai besuchen sie nämlich noch die Schule. Der Schulbus holt sie von der Nachbars-alp ihres Onkels Peter ab und bringt sie nach Schüpfheim.

Für die restlichen Familienmitglieder geht die Arbeit dann erst richtig los. Nach dem Zmorge wird Brot gebacken und das Mittagessen vorbereitet, ausserdem wird das Vieh auf die Weiden getrieben. Dann steht Zäunen, Futter schneiden oder Gärtnern auf dem Programm: Der «Pflanzblätz» im Tal will auch während der Abwesenheit der Familie auf der Alp bewirtschaftet werden, und ab und zu steht ein Einkauf in Schüpfheim, 10 Kilometer die gewundene Strasse hinunter, an.

Seit fast einem Jahrhundert ziehen Portmanns auf die Alp. «1900 hat sie mein Grossvater gekauft», sagt Josef Portmann. Zusammen mit dem Talbetrieb zählt der Hof rund 60 Hektaren. «Dank der Alp können wir im Sommer das Futter im Tal für den Winter einlagern», erklärt er. Das bedeutet aber auch, dass die ganze Familie anpacken muss, um die doppelte Arbeit mit der Futtereinlagerung im Tal und mit den Tieren auf der Alp zu bewältigen. Der Unterhalt von zwei Häusern und Scheunen im Tal und auf der Alp ist teuer, immer wieder fallen Reparaturen an, geschafft hat man es trotzdem irgendwie.

Weihwasser bei Donner

Vor allem beim Emden ist jede Hand gefragt, und beim Melken – die Familie zügelt die Melkanlage vom Tal jeweils auf die Alp – packt sogar der 11-jährige Jonas an. Die Milch wird teils auf der Nachbarsalp von Josef Portmanns Bruder Peter verkäst und teils ins Dorf transportiert. Den Hobelkäse aus der Alpmilch serviert man den Gästen.

Jedes Familienmitglied hat seine Ämtchen und Spezialitäten. So ist Grossvater Josef (91) zuständig für das Dängeln der Sense, mit welcher Grossonkel Theodor die steilen Hänge mäht. Die Grossmutter Käthi (86) hat bei Gewittern eine wichtige Aufgabe: Sie spritzt Weihwasser und bittet für den Segen von Mensch, Tier und Haus. Jeden Frühling bekommt die Familie dafür einen Vorrat Weihwasser von Pater Chrispin aus Heiligkreuz, gleich hinter dem nächsten Hügel.

Dass die Naturgewalten hier oben stärker sind als im Tal, weiss Lisbeth Portmann nur zu gut: «Wenn es so richtig chlöpft um die Fluh, ist unser Schlafzimmer meist recht voll.» Auch der Regen kann gefährlich werden auf der Alp: Das frühere Haus, das etwas oberhalb des jetzigen Gebäudes stand, wurde 1915 von einem Erdrutsch mitgerissen. Die neue Hütte wurde im gleichen Jahr an flacher und weniger exponierter Lage neu aufgebaut. Aber als es 2005 tagelang regnete und dicke Bäche am Haus vorbeirauschten, sei es ihnen trotzdem etwas mulmig geworden, erzählt Lisbeth. Das Telefon war unterbrochen, ein Erdrutsch hatte den Weg verschüttet und ausser Fenster und Türen geschlossen halten, konnte die Familie wenig tun. Solch brenzlige Situationen kann man sich an einem schönen Sonnentag kaum vorstellen. Die jungen Büsi wuseln neugierig über den Platz, dazwischen picken sich die Hühner ihren Weg und eine Kuh schreitet gemächlich über den Vorplatz.

Eine Idylle sondergleichen – aber auch viel Arbeit und Entbehrungen. Trotzdem geniesst die Familie die Zeit auf der Alp. Bis im September der Alpabzug ansteht und der ganze Tross von Mensch und Tier wieder zu Tale zieht. «Wenn der Bisennebel kommt, wird es ungemütlich. Dann sind wir froh, ins Tal zu ziehen», sagt Vater Josef, und tätschelt Shila den Kopf, die neugierig am Hosenbein schnüffelt.