Seilbahnen gegen den Verkehrskollaps

Luzern sucht seit Jahren verzweifelt nach sinnvollen Verkehrslösungen. Anderswo ist man weiter – da setzt man Seilbahnen nicht nur in Berggebieten, sondern als öffentliche Verkehrsmittel in Städten ein.

Hugo Bischof
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Die «Portland Aerial Tram» ist eine Luftseilbahn in Portland (Oregon) / USA. Sie ist 1033 Meter lang und bewältigt einen Höhenunterschied von 145 Metern. Die beiden Kabinen fassen 78 Personen und können bei Windgeschwindigkeiten bis zu 80km/h fahren. (Bild: Tim Jewett / Garaventa)
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Die «Linea Azul» verbinden die bolivianischen Städte La Paz und El Alto miteinander. Die Seilbahn ist 4893 Meter lang und kann 300 Personen pro Stunde und Richtung transportieren. Es ist die längste Stadtseilbahn der Welt. (Bild: PD / Vassil Anastasov)
Die «Linea Amarilla» befindet sich ebenfalls in La Paz und verbindet zwei Stadtteile miteinander. Die Seilbahn ist 3883 Meter lang. Die Fahrzeit beträgt 13,5 Minuten. (Bild: PD)
Die «Linea Naranja» ist bereits die fünfte Linie, die die Doppelmayr/Garaventa Gruppe in La Paz/El Alto realisierte.
Die «Linea Roja» in La Paz ist 2664 Meter lang. Die Fahrzeit beträgt 10 Minuten (Bild: PD).
Das Umsteigen zwischen den beiden Linie ist schnell und komfortabel. Es ist das grösste, urbane Seilbahnnetz der Welt.
Die «Emirates Air Line» verbindet die Stadtteile Greenwich und Docklands in London (Bild: PD).
Sie ist rund 1100 Meter lang und hat eine Höhe von rund 77 Metern. (Bild: PD / Matt Cetti-Roberts)
Eine Fahrt kostet rund 6 Franken (Bild: PD)
Die Seilbahn Koblenz ist 890 Meter lang, befördert pro Stunde und Richtung 3800 Personen. Eine Fahrt kostet 7,20 Euro. (Bild: PD)

Die «Portland Aerial Tram» ist eine Luftseilbahn in Portland (Oregon) / USA. Sie ist 1033 Meter lang und bewältigt einen Höhenunterschied von 145 Metern. Die beiden Kabinen fassen 78 Personen und können bei Windgeschwindigkeiten bis zu 80km/h fahren. (Bild: Tim Jewett / Garaventa)

Bypass, Spange Nord, Parkhaus Musegg, Metro Luzern, Seeparking Schweizerhofquai: Das sind einige Projekte, mit denen man den lästigen Verkehrsstaus in der Stadt Luzern Herr werden will. Ob je eines realisiert wird, steht in den Sternen. Zeit also, eine neue Variante ins Spiel zu bringen: die Stadt-Seilbahn.

Verrückt, utopisch, unrealisierbar, werden viele einwenden. Seilbahnen sind gut für Skigebiete, als urbane Alternative zum erdgebundenen öffentlichen Verkehr (Bus, Tram, Bahn) aber ungeeignet. An einer Tagung der Schweizerischen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft im Verkehrshaus Luzern, organisiert vom ÖV-Fachjournalisten Kurt Metz, zeigte sich aber: Seilbahnen können ein taugliches Mittel zur Lösung städtischer Verkehrsprobleme sein. Und es gibt Städte, in denen solche bereits funktionieren. Hier eine Auswahl.

Brest: In der französischen Hafenstadt in der Bretagne mit 140 000 Einwohnern ging am 19. November 2016 die erste städtische Seilbahn in Frankreich in Betrieb: «Les Capucins de Brest» (Erbauer ist die Schweizer Firma Bartholet). Die Gondelbahn überquert in dreiminütiger Fahrt auf 420 Metern Länge den Fluss Penfield und verbindet die Stadtteile Siam und Capucins. Zwischen der Ein- und der Aussteigestation gibt es eine einzige, 82 Meter hohe Stütze. Kennzahlen: Zwei verglaste Kabinen für je 60 Passagiere, maximale Förderkapazität 6000 Passagiere pro Stunde und Richtung, Spitzengeschwindigkeit 27 Stundenkilometer, Investitionskosten 19,1 Millionen Franken. Projektziel: Verbesserung der Erreichbarkeit der zweitgrössten Metropole der Bretagne im Hinblick auf die rund 400 000 Einwohner der Umgebung. Speziell ist: Die beiden Kabinen pendeln nicht parallel nebeneinander, sondern übereinander. Das spart Platz bei den Stationen und beim Mastfundament, was für die Stadt Brest als Bauherrin zu erheblichen Kosteneinsparungen geführt hat. Zudem erlaubt dies den Betrieb auch bei hohen Seitenwinden (bis 108 Stundenkilometer). Die Laufwerke der Gondeln laufen auf zwei Seilen und werden von einem dritten gezogen. Die Seilbahn ist ins Verkehrsnetz der Verkehrsbetriebe von Brest eingebunden und kann vollautomatisch betrieben werden. Eine Besonderheit: Die Kabinenscheiben lassen sich während der Fahrt an einigen Passagen verdunkeln, um die Privatsphäre der Bewohner unterhalb der Seilstrecke zu bewahren.

London: Für die Olympischen Spiele 2012 wurde eine 1103 Meter lange Seilbahn gebaut, welche die Stadtteile Greenwich und Docklands verbindet. Sie blieb nach Ende der Spiele bestehen und befördert heute rund 1,5 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Einige Kennzahlen: Drei Seilbahnstützen (zwei in den Docklands, eine in der Themse am Südufer), 34 Gondeln für je zehn Personen und zwei Fahrräder, Beförderungsleistung 2500 Personen pro Stunde und Richtung, 21,6 Stundenkilometer Maximalgeschwindigkeit, Investitionskosten rund 60 Millionen englische Pfund (zum Zeitpunkt der Eröffnung 76 Millionen Euro, davon zahlte der Sponsor «Emirates» 36 Millionen Pfund). Die «Emirates Air Line» ist ins öffentliche Verkehrsnetz integriert; Bus- und U-Bahn-Stationen befinden sich in Gehdistanz. Vor allem Geschäftsleute und Pendler nutzen die Seilbahn heute als öffentliches Verkehrsmittel. Der Tarif für eine Einzelfahrt beträgt für Erwachsene 4,50 Pfund. Dass Zonenabo-Inhaber (Oyster-Card, Travelcard) nur einen Teilrabatt für die Nutzung der Seilbahn erhalten, sorgt für Kritik. Tagsüber dauert die Überfahrt fünf Minuten, abends fährt die Seilbahn langsamer (13 Minuten Überfahrt), sodass die Fahrt «bei Sonnenuntergang und Dämmerung zu einer romantischen Angelegenheit wird», so Tagungsleiter Kurt Metz.

Berlin: Die 2017 für die internationale Gartenausstellung gebaute Seilbahn im Stadtteil Marzahn soll künftig urbane Verkehrsaufgaben übernehmen. Sie ist 1,5 Kilometer lang. Einzelfahrt 4 Euro (hin und zurück 6,50).

Koblenz: Die städtische Seilbahn führt vom Rheinufer nahe dem Deutschen Eck auf die Festung Ehrenbreitstein. Die Förderkapazität beträgt 3800 Passagiere pro Stunde in jede Richtung. Im Winter ist sie aber nur an Wochenenden und Feiertagen in Betrieb, was den touristischen Charakter der Seilbahn unterstreicht. Einzelfahrt 7,20 Euro (hin und zurück 9,90).

Ankara: In der türkischen Hauptstadt wurde 2014 die längste urbane Horizontal-Seilbahn Eurasiens fertiggestellt. Sie ist 3228 Meter lang, hat vier Stationen und verbindet den Stadtteil Sentepe mit der U-Bahn-Station Yeni Mahalle. Zehn Minuten dauert die Fahrt in einer der 108 Kabinen à je zehn Passagieren. Mit dem Auto brauchte man für dieselbe Strecke auf der völlig überlasteten Strasse bisher 30 bis 60 Minuten. Pro Stunde und Richtung können 2400 Personen transportiert werden. Aus den Kabinen bietet sich auf bis zu 60 Metern Höhe eine spektakuläre Aussicht auf das Häusermeer darunter. Im Vergleich zu anderen Personentransportsystemen soll die Stadt bis zu 80 Prozent an Betriebskosten sparen.

La Paz: In der bolivianischen Metropole existiert das grösste urbane Seilbahnnetz der Welt. Die Gondelbahnen verbinden den Talkessel des Regierungssitzes La Paz (3600 Meter über Meer) mit der 4000 Meter über Meer gelegenen Millionenstadt El Alto. Die vielen Pendler, die zur Arbeit nach La Paz fahren, blieben früher in Bussen regelmässig im Verkehrsstau stecken. Die Seilbahn ermöglicht ihnen einen Zeitgewinn von mehr als einer Stunde pro Tag. Die erste Linie wurde 2014 eröffnet; inzwischen sind sieben Linien in Betrieb, drei weitere im Bau. Bis 2019 entsteht ein fast durchgängiges Seilbahnnetz von rund 30 Kilometern Länge. Die gesamten Investitionen sollen sich dereinst auf schätzungsweise 800 Millionen Franken belaufen. Die einzelnen Linien befördern pro Stunde und Richtung 3000 Passagiere. Zum Einsatz kommen kuppelbare Einseilumlaufbahnen mit Platz für zehn Personen pro Gondel. Im Endausbau der Phase II sollen insgesamt rund 1400 Gondeln verkehren. Sie ähneln im Aussehen europäischen Skilift-Gondeln. Die Seilbahn wurde innerhalb kürzester Zeit zum beliebtesten Verkehrsmittel der Stadt und zugleich zum neuen Wahrzeichen. Eine Fahrt kostet umgerechnet etwa 45 Rappen; in 20 Jahren sollen die Erstellungskosten refinanziert werden.

Erbauer der Stadt-Seilbahnen in London, Koblenz und La Paz ist das österreichisch-schweizerische Unternehmen Doppelmayr/Garaventa. Es ist mit einem Markanteil von 60 Prozent Weltmarktführer im Seilbahnbereich. Es gibt zahlreiche weitere urbane Seilbahnen, unter anderem in Mexiko, Portland USA, Algerien, Kolumbien, Venezuela.

Günstiger als das Tram

Die Kosten einer Seilbahn entsprechen grob geschätzt einem Drittel jener eines Trams und einem Zehntel jener einer Metro. Für einen Kilometer Tramstrecke rechnet man mit 35 Millionen Franken Investitionskosten. Es gibt aber starke Schwankungen. Die Ende 2017 in Betrieb genommene 1,3 Kilometer lange neue Tramverbindung Hardbrücke in Zürich kostete 130 Millionen Franken. Für Trolleybusse muss mit Investitionen von 1 Million Franken pro Kilometer neue Fahrleitung gerechnet werden. Die geplante Verlängerung der Trolleybuslinie von Luzern-Maihof bis zur Mall of Switzerland (knapp 10 Kilometer) wird 11,6 Millionen Franken kosten. Zahlen für Seilbahnen sind schwierig zu vergleichen. Experten nennen einen Seilbahntrassee-Preis pro Kilometer von 15 Millionen Franken.

Der Betrieb eines Doppelgelenktrolleybusses kostet jährlich circa 650000 Franken, ein Tram rund 800000 Franken. Bei einer Seilbahn sind die Betriebskosten abhängig von der Anzahl der Stationen. Eine simple Seilbahn mit Berg- und Talstation verursacht jährlich 1,5 Millionen Franken Betriebskosten. (hb)