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René Unternährer produziert seit fünf Jahren Ski in aufwendiger Handarbeit – als Einziger im Kanton, wie er betont. Inzwischen blickt er zuversichtlich in die Zukunft – und in den Fernen Osten.
Raphael Zemp
raphael.zemp@luzernerzeitung.ch
Eigentlich spricht alles gegen Skibauer René Unternährer: Es werden mehr Ski produziert als nachgefragt, gleichzeitig fahren immer weniger Leute Ski – und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ist da auch noch die Klimaerwärmung: Die Winter werden milder, kürzer und setzen später ein, die Schneefallgrenze steigt. «Drei der letzten fünf Winter waren miserabel fürs Skigeschäft», erinnert sich Unternährer noch ganz genau. Trotzdem fräst und schleift er unermüdlich Holzkern um Holzkern, schichtet diese zwischen Alu, Fiberglas, Eisenkanten, Boden- und Deckbelag und presst schliesslich Ski-Sandwiches. Es riecht nach Leim und Holz, aus der Stereoanlage säuselt amerikanischer Pop.
Der 54-Jährige ist der Einzige im Kanton, der auftragsmässig Ski in aufwendiger Handarbeit herstellt. Bis ein Paar fertig ist, sind 15 Produktionsschritte vergangen und acht Stunden Arbeit, verteilt auf knapp vier Wochen. Mittlerweile 300 Paar Edellatten verlassen pro Jahr die Werkstatt in Doppleschwand, eingerichtet in ausgebauten Lagerräumen einer ehemaligen Bäckerei, umzingelt von Entlebucher Voralpenhügeln.
«Rüüdig hart» sei der Start gewesen, so Unternährer, nicht nur wegen der schwierigen Marktsituation. «Auf einen arbeitslosen Fabrikarbeiter hat niemand gewartet.» Viele hätten ihn erst als Bastler belächelt, als er vor fünf Jahren den Schritt in die Eigenständigkeit wagte. Drei Jahrzehnte war Unternährer zuvor in der Produktion eines grossen Zentralschweizer Skiherstellers tätig.
Positiv reagiert hat hingegen sein privates Umfeld. «Ohne diese Unterstützung hätte ich den Anfang nie durchgestanden», gesteht Unternährer. Doch er liess sich nicht entmutigen, «jedes Kompliment wirkte wie Doping». Aber auch als sich diese häuften, merkte Unternährer: Von positiven Rückmeldungen allein kann man nicht leben. Um an seinem Traum der eigenen Skiproduktion festhalten zu können, verdiente sich Unternährer lange Zeit ein Zubrot mit dem Beladen und Entladen von Zügen. Mit seiner vorherigen Arbeit in der Skifabrik hatte das nicht viel zu tun. Ebenso wenig wie mit seiner Ausbildung als Bäcker.
Aber Unternährer war getrieben von seinem Ziel: ein robuster, geschmeidiger und ruhiglaufender Ski, ökologisch, regional und mit modernen Methoden produziert. Dazu experimentierte er mit unkonventionellen Materialien. Und zwar schon Jahre bevor er seine Swiss-Massiv-Skimanufaktur gründete. Besonders angetan hat es ihm dabei der Werkstoff Faserbambus, wie man ihn auch in Terrassendielen findet. Dabei werden Baumbusfasern mechanisch gelöst, in Kunstharz getränkt und schliesslich gepresst. «Das Resultat ist ein extrem widerstandsfähiges und trotzdem flexibles Material – wie geschaffen für den Skibau.» Er habe als Erster überhaupt Faserbambus in Ski verbaut, insistiert Unternährer. Allerdings: So begeistert er von seiner Entdeckung war, so wenig liess sie sich in die automatisierte Skiproduktion einbauen – «zu aufwendig», bremste man ihn.
Eingeschränkt wird Unternährer heute lediglich vom Markt. Trotzdem hat sein «kleines Budeli» nach schwierigem Start Fahrt aufgenommen. Unternährer produziert doppelt so viele Ski wie zu Beginn, ist kein Bastler mehr, sondern Firmenführer mit zeitweise zwei Angestellten, einem Praktikanten und noch einem IV-Bezüger, der zurück in die Arbeitswelt sucht. «Trotzdem reicht es noch nicht, um mir einen vollen Lohn auszuzahlen», bemerkt Unternährer.
Angewachsen ist auch die Produktpalette: Zum Allroundski haben sich ein breiterer Touren- und ein spritziger Slalomski gesellt. Auf breite Freerideski aus dem Hause Swiss Massiv braucht man hingegen nicht zu warten: «Mit meinen Arbeitsmaterialien müsste ich dafür unvertretbare Kompromisse machen», winkt Unternährer ab. Wählen können seine Kunden auch aus verschiedenen Deckbelägen: uni, schwarz oder weiss, Bambus, aber auch Entlebucher Eibe oder Ulme. «Dieses Holz ist besonders beliebt und kommt zu hundert Prozent von hier, teilweise sogar aus dem Dorf», sagt Unternährer stolz. Er sei stets auf der Suche nach dem Speziellen, nach dem, was sonst niemand mache. Nur so sei die Kundschaft bereit, 20 bis 30 Prozent mehr zu bezahlen. In der Tat sind diese nicht ganz billig: 1400 bis 1900 Franken kostet ein Paar Spezialski.
Die letzten fünf Jahre hat Unternährer auch gelernt, als Verkäufer zu denken: Er versteht mit seinen Verkaufsargumenten zu hausieren. Etwa bei jenen Besuchern, die an diesem Nachmittag unregelmässig in seinen Ausstellungsraum platzen – und ihn allesamt mit du ansprechen. Oder auch auf den Pisten vieler Zentralschweizer Wintersportorte, wo Interessierte seine Ski testen können. Dann läuft Unternährer zu Höchstform auf, erklärt, dass jeder Ski ein handgefertigtes Unikat sei, wie er persönlich die Bäume fürs Deckholz aussuche. «Das fasziniert die Leute, die dann wiederum anderen davon erzählen», weiss Unternährer.
Auf diese Weise verkauft er rund die Hälfte seiner Ski direkt in seinem Fabrikladen. Die andere Hälfte geht an Sportgeschäfte von Sörenberg über Saas-Fee bis Zermatt, «meist für die Vermietung». Übers Internet hingegen setzt er kaum Ski ab – «zu unpersönlich».
Das Geschäft verlangt viel vom passionierten Skifahrer, der nur selten noch auf der Piste anzutreffen ist – meist als Berater bei Skitests. Immerhin gönnt sich Unternährer im Sommer jeweils ausgedehntere Ferien mit seiner Frau («um die Welt ein wenig kennen zu lernen»), zwischendurch auch gerne einen Städtetrip mit seinen zwei erwachsenen Kindern. «Meine Familie ist ein wichtiger Ausgleich – quasi mein Hobby.»
Seine Umtriebigkeit und der Glaube an sein Produkt haben sich aber ausbezahlt: Unlängst hat er seine Entlebucher Edelski sogar auf einer Wintersportmesse in Peking ausgestellt. Der Unternehmer Unternährer hat Appetit bekommen auf mehr und will sich auch ein Stück vom riesigen chinesischen Markt sichern. Sein Auftritt hat denn auch einen chinesischen Händler überzeugt – das erste Paar Ski ist bereits in den Fernen Osten verfrachtet worden. Viele weitere sollen folgen. Das ist für Unternährer nicht nur eine grosse Genugtuung, sondern auch ein grosser ökonomischer Erfolg.