Eine Umfrage bei Luzerner Reiseunternehmen zeigt, wie sich Ferienmachen verändert hat

Fernere Destinationen, individuellere Angebote, Ferien mit Weiterbildung: Wir reisen heute anders als in den letzten Jahrzehnten, wie Reiseunternehmen und ein Professor für Tourismus bestätigen.

Roseline Troxler
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Auf der Piazza San Marco in Venedig ist der Rummel normalerweise grösser. (Bild: Getty Images)

Auf der Piazza San Marco in Venedig ist der Rummel normalerweise grösser. (Bild: Getty Images)

Ein Kurztrip nach Portugal, Badeferien in Griechenland oder ein Road Trip durch Spanien – dies sind gängige Ferienziele, zeigt sich bei Buchungsplattformen. Entsprechend lang sind die Schlangen zum Ferienstart an den Flughäfen. Gefühlt werden sie alljährlich länger. Doch wo und wie verbrachten wir früher unsere Ferien? Die Reisebranche hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert (siehe Tabellen). Eine Umfrage bei langjährigen Luzerner Reisebüros, einem Carunternehmen und einem Tourismusexperten liefert Anhaltspunkte.

Serge Brunner, Geschäftsführer von Baumeler Reisen Luzern, sagt: «Die Leute waren früher weniger gut informiert. Der Fokus lag auf nahe gelegenen Destinationen mit wenig Sprachbarrieren.» Baumeler Reisen wurde vor knapp 60 Jahren gegründet. «Früher waren Städtereisen und Bahnreisen an die Adria bereits ein Highlight», sagt Franz Beckmann vom Reisebüro Mondial Hochdorf, das seit 34 Jahren existiert. Von einer enormen Entwicklung spricht Marco Gössi, Inhaber und Geschäftsführer von Gössi Carreisen. Er sagt:

«Vor fünfzig Jahren hat man mit dem Car höchstens Tagesausflüge gemacht, vor dreissig Jahren fuhr man ins benachbarte Ausland, heute sind zweiwöchige Erlebnisrundreisen in Skandinavien oder Marokko sehr beliebt.»

Der Komfort für die Fahrgäste sei stark ausgebaut worden. «Seit zehn Jahren haben wir eine Luxusklasse mit nur 29 statt 50 Sitzplätzen.» Gaby Petermann von Bucher Travel mit Sitz in Dierikon arbeitet seit 1977 in der Reisebranche. Den wichtigsten Unterschied zur Vergangenheit sieht sie darin: «Früher sparte man für Ferien, insbesondere für Langstreckenflüge, die doppelt so teuer waren. Familien konnten sich kaum Ferien mit dem Flugzeug leisten.»

Früher wurde ab Stange gekauft, heute individuell

Ganz anders sieht es heute aus: «Weiter, schneller, teurer», fasst Serge Brunner das Credo vieler Reisenden zusammen. «In den letzten rund 50 Jahren wurde das Ferien machen mit dem Wohlstand im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen immer günstiger. Wir konnten entsprechend ein grosses Wachstum im Reiseverhalten beobachten.» Franz Beckmann betont die Entwicklung vom Pauschal- zum Individualtouristen. «Kaufte man dazumal ab Stange, wird die Reise heute individuell zusammengestellt.»

Auch Baumeler Reisen beobachtet diese Entwicklung: «Luzerner haben sich früher kaum getraut, im Ausland alleine Wanderferien anzutreten. Heute kommen sie vermehrt wegen individueller Reisen zu uns.» Gaby Petermann ergänzt:

«Es gab früher weniger Kunden mit exklusiven Wünschen. Man liess sich weniger von Verwandten und Bekannten beeinflussen.»

Verändert haben sich auch die Destinationen. Beckmann meint: «Man will Neues entdecken, sei es in Albanien, Rumänien oder in Übersee. Die Destinationen werden immer exotischer.» Die Reisefachleute sehen aber auch bei der Art der Reisen einen Wandel. Im Trend lägen sinnstiftende Reisen mit «echten Begegnungen und Auseinandersetzungen mit dem Reiseland», so Brunner. Gestiegen sei auch die Nachfrage nach Weiterbildung während der Ferien – von Mountainbike-Technik übers Malen oder Yoga bis hin zu Naturerlebnissen.

Steigende Einkommen als Treiber fürs Reisen

Gössi Carreisen spürt auch aufgrund des Klimawandels eine höhere Nachfrage und rechnet mit einer weiteren Zunahme. Dennoch sagt Gössi: «Gerade die Kombination einer Carreise mit dem Flugzeug, Schiff oder der Fähre kommt bei unseren Kunden sehr gut an.»

Christian Laesser, Titularprofessor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St. Gallen, sieht mehrere Treiber für die erwähnten Entwicklungen des Reiseverhaltens in den letzten fünf Jahrzehnten:

«Steigende Einkommen bei abnehmenden Arbeitszeiten im Verbund mit einer sozialen Absicherung haben unsere Reisenachfrage über die Jahre hinweg stark erhöht. Die gleiche Entwicklung können wir heute bei den Schwellenländern beobachten.»

In den 60er-Jahren stand in der Mehrheit der Arbeitsverträge ein Ferienanspruch von drei Wochen, wie ein Blick ins Historische Lexikon der Schweiz zeigt.

Christian Laesser

Christian Laesser

Ausserdem erwähnt Laesser technologische Faktoren: Das Fliegen wurde produktiver und damit günstiger. «Heute kostet ein Langstreckenflug in der Business-Klasse real gleich viel wie ein Flug in der Economy-Klasse in den 1980er-Jahren», führt er aus. Weiter sei die Luftfahrt zuerst in den USA – Ende der siebziger Jahre – und dann in Europa liberalisiert und dereguliert worden. Diese Entwicklung habe zur Verbreitung von Lowcost-Airlines, wieder zuerst in den USA und dann in Europa, beigetragen. Lowcost-Airlines hätten mehr Personen das Fliegen ermöglicht. In den letzten Jahren habe auch der Anteil der Interkontinentalflüge zugenommen. Der Reiseradius habe sich stark erhöht: von bis 1000 Kilometer in den 60er- und 70er-Jahren zu einem globalen Radius.

Einen dritten Treiber ortet Laesser in der Entwicklung vom industriellen Tourismusverständnis hin zu individuellen Anbietern. «Heute partizipieren viele Private kommerziell am Geschäft, etwa mit Airbnb oder Uber.» Dies habe zusätzliche Nachfrage stimuliert. Er warnt allerdings vor einer Romantisierung solcher Dienstleistungen. «Fakt ist, und dies zeigt eine Studie der US-Notenbank: Viele Menschen wollen oder können sich bei ihren vielen Reisen Hotels und Taxis gar nicht leisten und weichen auf Alternativen aus.» Einen weiteren Einfluss auf die Zunahme sieht Laesser in den sozialen Netzwerken. «40 Prozent der Reisen werden heute unternommen, um auch jemanden zu besuchen.» Im angelsächsischen Raum sei die Zahl gar noch höher.

Gewisse Regionen verlieren bei Verteuerung

Der St. Galler Professor wagt auch einen Ausblick in die Zukunft: «Flugreisen könnten sich aufgrund ökologischer Gründe deutlich verteuern, wodurch weit entfernte Regionen wie Australien oder Neuseeland an Attraktivität einbüssen könnten.»

Ein zentrales Problem neben dem Klimawandel sei die Konzentration von Touristen auf eine beschränkte Zahl von Top-Destinationen, welche sich nicht einfach erhöhen lasse. «Insbesondere wenn Reisende eine Region zum ersten Mal aufsuchen, geben sie sich nicht mit zweitklassigen Attraktionen zufrieden.» Auch Serge Brunner ist überzeugt, dass das Wachstum, welches wir in Europa und den USA in den letzten 50 Jahren gehabt hätten, in dieser Form in China und Indien nicht stattfinden könne:

«Die Piazza San Marco in Venedig wird nicht grösser, nur weil immer mehr Leute sie sehen möchten.»

Gaby Petermann erwartet, dass es künftig wieder zurück zu den Wurzeln geht und Reisende für die Planung vermehrt ein Reisebüro aufsuchen. «Streik, Krieg und Konkurse von Airlines hinterlassen Spuren.»