Seit 22 Jahren gibt es die Kinderspitex Zentralschweiz. Am nationalen Spitex-Tag vom Samstag stellte die Organisation ihre Angebote vor. Von diesen profitiert seit ihrer Geburt auch die 6-jährige Aimee-Lou aus dem Kanton Schwyz.
150 Kilometer hat Vreni Truttmann (45) an diesem Tag schon zurückgelegt – und zahlreiche Patienten besucht. Nun, kurz vor 19 Uhr, passiert die Pflegefachfrau aus Altdorf das Ortsschild Galgenen. Sie klingelt an der Tür einer Wohnung, das kleine Mädchen wartet bereits am Eingang. «Hallo Aimee, wie geht es dir?», fragt Truttmann. «Gut», antwortet die 6-jährige Kindergärtnerin.
Mit einer schweren Darmerkrankung kam Aimee-Lou zur Welt. Über einen zentralen Venenkatheter wird sie ernährt. Jeden Tag versorgt die Mutter sie mit den überlebenswichtigen Nährstoffen, zwölf Stunden lang tröpfelt dann die weisse Flüssigkeit in den Körper. Einmal die Woche kommt eine Pflegefachfrau der Kinderspitex Zentralschweiz zu Besuch – übernimmt diese Arbeit, kontrolliert, steht für Fragen bereit und schaut, wie es dem Kind geht. Heute hat Truttmann Dienst. Seit zehn Jahren arbeitet sie für die Kinderspitex. «Es ist ein spannender Job», sagt sie. «Und ein dankbarer.» Viele Familien seien extrem froh, dass sie ihr Kind zu Hause behandeln können. Noch vor wenigen Jahren sei das undenkbar gewesen. Der Fortschritt in der Medizin habe es ermöglicht, dass auch Kinder mit komplexen Krankheiten daheim leben können.
Am nationalen Spitex-Tag vom Samstag stellte sich die 1995 gegründete Kinderspitex Zentralschweiz unter anderem in Sarnen vor. Der breiten Öffentlichkeit sei wenig bekannt, dass die Spitex nicht nur Senioren, sondern auch jüngere Personen betreut, heisst es in einer Medienmitteilung der Spitex Schweiz. Mit den landesweit organisierten Veranstaltungen wollte der Verband unter dem Slogan «Überall für alle – für Jung und Alt» auf das Thema aufmerksam machen. Wie stark in unserer Region Kinder die Dienste der Spitex beanspruchen, machen Zahlen der Kinderspitex Zentralschweiz deutlich. Arbeiteten bei der Gründung 3 Pflegefachpersonen für die Institution, sind es heute rund 35 Mitarbeiterinnen. «Unsere erbrachten Leistungsstunden haben sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt», sagt Geschäftsleiterin Helene Meyer-Jenni. 144 Kinder aus den Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Zug sowie Ob- und Nidwalden haben die Mitarbeiterinnen im vergangenen Jahr betreut und über 13 500 Stunden gepflegt. Mehr als ein Fünftel der Kinder sind unter einem Jahr alt und teilweise rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Der Bedarf an Nachtwachen stelle sodann eine grosse Herausforderung dar, sagt Meyer-Jenni. Hatten die Pflegefachfrauen in den letzten 5 Jahren im Durchschnitt rund 2250 Stunden Nachteinsätze geleistet, lag die Zahl 2016 bei 4175 Stunden. Eine weitere grosse Herausforderung sei die Sicherstellung der Finanzen, so Meyer-Jenni. Die Leistungen der Kinderspitex Zentralschweiz werden von den Krankenkassen oder der Invalidenversicherung sowie den Kantonen und Gemeinden finanziert. Doch diese Beiträge reichen nicht aus. «Manchmal braucht ein Einsatz mehr Zeit und Aufwand, als für ihn geplant ist und abgegolten wird. Kommt hinzu: Je nach Situation sind zusätzliche Pflegestunden und Absprachen mit Ärzten nötig. Wichtig ist uns auch die Nachbetreuung, wenn zum Beispiel ein Kind stirbt.» Für diese Aufwände ist die Kinderspitex auf Spenden angewiesen. 2016 wurden 20 Prozent des Gesamtaufwandes mit solchen Spendengeldern gedeckt, was rund 400 000 Franken entspricht.
Zurück in Galgenen: Pflegefachfrau Vreni Truttmann steckt jetzt den Beutel mit der flüssigen Nahrung an den Venenkatheter. Aimee-Lou kümmert das wenig. Ihr Augenmerk richtet sich auf eine Kartonkiste. Verbände liegen darin, farbige und solche mit Motiven drauf: «Welchen willst du heute? Den mit den Herzen, den Dinosauriern oder den Bienen?», fragt das Mädchen. Darauf hat sich Aimee schon lange gefreut. Rollentausch: Jetzt darf sie die Pflegefachfrau spielen und legt Truttmann einen Verband um. «Das darf ich immer machen, wenn die Spitex zu Besuch ist», sagt Aimee und lächelt.
Christian Hodel
christian.hodel@luzernerzeitung.ch
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