Im Rahmen des 1. Schweizer Landschaftskongresses trafen sich auf der Rigi Protagonisten mit unterschiedlichen Interessen. Eine Exkursion mit Zündstoff wurde erwartet. Doch es kam ganz anders.
Als die Veranstaltung zu Ende war, standen sie beim Restaurant Bahnhöfli auf Rigi Staffel beisammen und genehmigten sich ein Getränk wie drei Freunde, die Ferien machten. Eine herzliche Atmosphäre herrschte zwischen ihnen allerdings nicht, als sie in den letzten Monaten die touristische Zukunft des Berges diskutierten. Auf der einen Seite stand Karl Bucher, der Verwaltungsratspräsident der Rigi Bahnen AG. Auf der anderen der auf der Rigi beheimatete Kulturwissenschaftler René Stettler und der Schwyzer Kantonsförster Theo Weber, die führend waren bei der Petition «Nein! zu Rigi-Disney-World».
Damit wehrten sie sich gegen die umfangreichen Ausbaupläne der Rigi Bahnen AG. Ende des letzten Jahres kam es zu Gesprächen an einem runden Tisch mit allen Beteiligten, die schliesslich in die Erstellung der Charta Rigi 2030 mündeten. Sie soll ein gemeinschaftliches Vorgehen und den schonungsvollen Umgang mit der Natur gewährleisten.
Nun trafen sie sich also wieder, und zwar im Rahmen einer von 13 Exkursionen, die für die Teilnehmer des 1. Landschaftskongresses in Luzern durchgeführt wurden (siehe Kasten). «Es könnte kontrovers werden», sagte Herbert Bühl, der die Kurzvorträge unter freiem Himmel moderierte. Einer im Expertenpublikum freute sich diebisch, als er mit Blick auf Bucher und Stettler anmerkte: «Die haben sich doch im Schweizer Fernsehen duelliert.»
Bereits auf der Anreise konnten sich die Kongressteilnehmer ein Bild davon machen, wessen Bedürfnisse es unter einen Hut zu bringen gilt: ausländische Touristen – vornehmlich aus Asien – Einwohner, Wanderer, Kühe und eine atemberaubende Landschaft. Viele können von der «Königin der Berge» nicht genug kriegen, «die Rigi macht süchtig», sagte Weber sogar. 850 000 Besucher zählte man 2017, das ist Rekord. Und nun, im Jahr des Hitzesommers, wird diese Zahl bereits wieder übertroffen werden. Karl Bucher erklärte indes, dass dies nicht reiche, grosse Investitionen stünden an, «und um diese zu stemmen, sind wir noch immer auf Kredite angewiesen». 60 bis 80 Millionen Franken sollen vor allem in die Infrastruktur gesteckt werden. Geplant sind ein Bahnhof auf Rigi Kulm, die Ersetzung der Luftseilbahn ab Weggis durch Gondelbahnen und die Erneuerung der über 80 Jahre alten Zahnradbahn nach Vitznau.
Dann zeigte Bucher hinüber auf den eher spärlich frequentierten Bahnhof Rigi Staffel und hielt fest: «Ein Teil der Bevölkerung denkt, dass wir mit Touristen überfüllt sind. Heute haben wir schönes Wetter und überfüllt sieht es hier nicht aus.» Ihnen gehe es nicht darum, die Spitzen zu erhöhen, «vielmehr wollen wir dafür sorgen, dass es keine Tage mehr gibt, an denen wir weniger als 500 Leute begrüssen». Zu viele solcher Tage seien für sie katastrophal. Der Berg soll attraktiver werden, wenn es regne, bleibe der Schweizer der Rigi nämlich fern, «die internationalen Gäste hingegen kommen auch, wenn es Katzen hagelt». Dann schloss Bucher sein Referat und einige wunderten sich: Was ist mit der Besucherplattform auf dem Sendeturm? Oder dem historischen Bergdörfli? War nicht auch mal von einem Streichelzoo und einer Baumhüttenwelt die Rede? Gerade diese Themen mobilisierten in der Vergangenheit doch die Gegner.
«Es schien, als ob die Protagonisten darum bemüht waren, nichts eskalieren zu lassen.»
Herbert Bühl, Exkursionsleiter
Als Nächstes ergriff Theo Weber das Wort. «Nachhaltigkeit» sei wohl der am meisten missbrauchte Begriff, meinte der Vorsteher des Amts für Wald und Naturgefahren im Kanton Schwyz. «Alle reden davon, wenige wissen, worum es geht und noch weniger wird sie umgesetzt.» Weber betonte, dass die Rigi keine Inszenierung brauche, weil sie sich selber in Szene setze. Bauliche Eingriffe müssten sehr schonungs- und respektvoll vorgenommen werden, meinte er und erwähnte lobend die Schlittenstrecke, die im Sommer nicht erkennbar sei. Auch beim Rückbau des Skilifts Dossen hätten die Rigi Bahnen Sensibilität bewiesen. «Ja, und wo sind denn jetzt die Kontroversen?», rief einer der Zuhörer. Weber antwortete lachend: «Die sind alle ausgeräumt. Karl und ich sprechen die gleiche Sprache, auch in Kontroversen. Vor einem Jahr schien es, als würden das Heididorf oder die farbigen Tannzapfentürme bald realisiert werden. Zum Glück hauten wir auf den Putz, diese Diskussion hallt nun nach.»
Alles in Minne also? Wohl kaum. Der Schaffhauser Herbert Bühl, der die Exkursion leitete, meinte später: «Es schien, als ob die Protagonisten darum bemüht waren, nichts eskalieren zu lassen.» Als ehemaliger Präsident der eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission kennt er solche Fälle, als Beispiel nennt er den Rheinfall in Neuhausen, der Vermarktungsexperten immer wieder über teilweise utopische Projekte sinnieren lässt.
Zusammenfassend hielt Bühl fest: «Wenn ein Unternehmen seine wirtschaftlichen Ziele nicht erreicht, kommt es zur Möblierung des Berges.» Dagegen wehren sich auf der Rigi die Petitionsführer, die nun mit «Ja! zu Regina Montium» einen Verein gegründet haben. Vereinspräsident Weber hielt vor dem Getränk mit Vorstandskollege Stettler und Karl Bucher denn auch vielsagend fest: «Wir werden schon noch Kontroversen haben.»
Am 1. Schweizer Landschaftskongress trafen sich am Donnerstag und am Freitag 400 Landschaftsfachleute aller Richtungen in Luzern. Auf dem Messeareal bei der Allmend fanden 200 Fachvorträge statt sowie 13 Exkursionen in der Region. Im Zentrum die Frage: Wie lassen sich Landschaften besser analysieren, planen und gestalten?
«Die Region Luzern bietet viele tolle Möglichkeiten, vor Ort die Themen aufzubereiten», sagt Urs Steiger, Präsident des Forums Landschaft, das den Kongress gemeinsam mit Partner- und Trägerorganisationen durchführte. Steiger nennt etwa «eine dynamische Agglomerationsentwicklung in Luzern Nord und Süd». Mit dem Pilatus und dem Vierwaldstättersee sind aber auch zwei Gebiete in unmittelbarer Nähe, die im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung eingetragen sind. «So lassen sich viele Aspekte, die in der Landschafts-Community aktuell diskutiert werden, praxisnah aufgreifen.»
Diese Aspekte sind vielseitig, wie ein Blick ins Programm verriet: Klimawandel, Energiewende, Tourismus, Stadtentwicklung, Strukturwandel im Alpenraum – nur um einen kleinen Ausschnitt zu nennen. «Mit Landschaft meinen wir eben nicht nur schöne grüne Wiesen am Pilatus», erklärt Steiger, «wir verstehen darunter den ganzen Raum − das Stadtzentrum ebenso wie die Agglomeration, die Horwer Halbinsel und das Hochgebirge.»
Vielfältig sei auch das Zielpublikum, das man mit dem Kongress zusammenbringen wolle. Landschaftsarchitektinnen, Politiker, Biologen oder Umweltfachleute setzen sich in unterschiedlicher Art und Weise mit der Landschaft auseinander. Rege politische Aktivitäten zur Zersiedelung, raumplanerische Konzepte, aber auch die Zweitwohnungsinitiative oder zum Kulturlandschutz, zeigten den Bedarf auf. «Wir wurden von Anfragen von Referentinnen und Referenten überrannt – mit 360 Personen pro Tag, die unsere Veranstaltungen besuchten, sind wir zudem schon leicht überbucht.»
Mit dem Landschaftskongress wolle man den Dialog zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Praxis fördern. «Wir müssen lernen, Ideen und Visionen zu entwickeln, wie unsere Landschaften aussehen sollen, und sie über Grenzen hinweg gestalten.»
Steiger zieht ein äusserst positives Fazit der ersten Ausgabe, die Ziele seien erreicht. «Wir sind sehr motiviert, in rund zwei Jahren den Kongress zu wiederholen.» Wo und wann dies der Fall sein wird, kann Steiger noch nicht sagen. Aber: «In Luzern hat es uns sehr gefallen.» (uus)